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Soziale Kontrolle und technische Überwachung sollen in den Städten Sicherheit schaffen.

© Arno Burgi/dpa

Angst vor Terror: Die Stadt wird zur digitalen Burg

Wer eine Gesellschaft im Innersten treffen will, greift ihre Städte an. Zu mehr Kontrolle und Überwachung gibt es keine Alternative. Aber wie gehen Sicherheit und Freiheit zusammen? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Arno Makowsky

Stadtluft macht frei, hieß es im Mittelalter. Raus aus dem Dorf, aus der Enge, Flucht vor den Nachbarn, die alles wissen, die einen kontrollieren. An dieser Faszination hat sich nichts geändert. Wer in Großstädten lebt oder sie besucht, genießt den Reiz der Anonymität, das Gefühl der Freiheit. Doch mit der großen Freiheit ist es längst vorbei, auch wenn viele von uns es noch gar nicht bemerkt haben. Und immer stärker macht sich ein neues Stadtgefühl breit: Angst.

Kann ich als Berlintourist noch das Brandenburger Tor besuchen, in die Menschenmenge eintauchen, gleich neben der amerikanischen Botschaft? Sollen wir das lange geplante Wochenende in Paris absagen? In München diskutieren sie gerade darüber, ob es beim Oktoberfest ein Rucksackverbot und Eingangskontrollen geben soll. Dazu müsste man das gesamte riesige Gelände einzäunen. Wahrscheinlich wird es so kommen.

Städte sind verwundbar. Alles, was wir als Leben bezeichnen, spielt sich dort auf engem Raum ab, Alltag, Verkehr, Kriminalität, Feste; es gibt riesige Einkaufscenter und Wohnblöcke, U-Bahnen und Flughäfen. Wer eine Gesellschaft im Innersten treffen will, greift ihre Städte an.

Der Wassergraben reicht nicht mehr - heute sollen Video und Computer schützen

Früher baute man Mauern und Wassergräben, um sie zu schützen. Der neue Feind kommt aber nicht von außen, sondern lauert mittendrin. Um ihn zu bekämpfen, werden wir aus den Städten neue Festungen machen. Digitale Burgen, in denen überwacht, kontrolliert und aufgezeichnet wird, in denen Computer jede Bewegung speichern und Unregelmäßigkeiten sofort nachgehen. Man wird auch damit nicht jeden Anschlag verhindern können, aber doch manche Bedrohung frühzeitig erkennen. Und weil Sicherheit ein ebenso lebensbestimmendes Gefühl ist wie Freiheit, gibt es zu diesem Szenario überhaupt keine Alternative.

Die Frage ist: Wie schaffen die Städte es, ihren Bürgern die beiden subjektiven Gefühle Sicherheit und Freiheit zu vermitteln, obwohl das eine nicht ohne Überwachung und das andere nicht ohne den Verzicht auf Überwachung zu haben ist?

Die Städter haben sich längst an Polizei und Überwachung gewöhnt

Eine mögliche Antwort gibt der britische Städteforscher Stephen Graham von der Universität Newcastle. Er sagt sinngemäß: Die Aufgabe des Staates wird sein, dass die Bürger die Systeme der Überwachung nicht als „Big Brother“ erleben, als Orwell’sche Bedrohung, die alle Freiheiten beschneidet, sondern als „tausend kleine Brüder“, die sie beschützen. Schon jetzt denken viele Menschen in diese Richtung; Videoüberwachung im öffentlichen Raum wird zunehmend positiv bewertet. Eine Gesellschaft, die ihr Innerstes auf Facebook der Öffentlichkeit präsentiert, scheint keine großen Bedenken gegenüber Datenmissbrauch zu haben.

Voraussetzung für dieses Vertrauen in Polizei und Sicherheitsbehörden ist aber wohl, dass die Menschen tatsächlich davon überzeugt sind, dass all die gewonnenen Daten, das Videomaterial nur ihrer Sicherheit und nicht ihrer Unfreiheit dienen. Was der Staat dafür tun kann, um dieses Gefühl zu bestärken? Transparenz schaffen, die Bürger informieren, allen Polizeistaatverschwörungstheorien Fakten entgegensetzen.

An hohe Polizeipräsenz bei Großveranstaltungen haben sich die Menschen inzwischen gewöhnt, finden es sogar gut. Aber dabei wird es nicht bleiben. Wie sich die Städte schleichend verändern, ist vielen Bewohnern gar nicht bewusst. Wird heute ein neues Shoppingcenter konzipiert, sehen die Pläne eine lückenlose Kameraüberwachung vor, Zufahrten können blockiert und wieder geöffnet werden. Verkehrsströme lassen sich unauffällig analysieren, um ungewöhnliche Bewegungen zu registrieren.

Wer die Großstadt, ihre Anonymität und Liberalität liebt, muss aber nicht verzweifeln. Das Gefühl der individuellen Freiheit wird nicht dadurch eingeschränkt, dass man beim Konzertbesuch eine Sicherheitsschleuse passieren muss. Der Alltag dagegen wird sich verändern. Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Großstadt widersprüchliche Gefühle produziert.

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