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Der Vorsitzende des NSU-Ausschusses Sebastian Edathy (SPD) und der Präsident der Verfassungsschutzes Heinz Fromm am Donnerstag vor der Anhörung.

© dpa

Anhörung vor NSU-Ausschuss: Verfassungsschutz-Chef Fromm leistet Offenbarungseid

"Wir waren borniert", sagt Heinz Fromm, Präsident des Verfassungsschutzes. Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss zeichnet er das Bild einer Behörde, die sich immer an die Regeln gehalten hat und in der es trotzdem drunter und drüber ging.

Für einen Verfassungsschützer ist die Welt hier im zweiten Stock des Reichstagsgebäudes eigentlich noch in Ordnung. Präsidialebene, Protokollsaal Nummer 2. Graue Stellwände verbarrikadieren den Eingang, ein regelrechtes Spalier ist da aufgebaut. Dahinter, nicht einzusehen für Beobachter, wird M., der Verfassungsschützer, in den Raum geführt, wo die Mitglieder des Untersuchungsausschusses auf ihn warten. Sie haben ein paar wichtige Fragen an ihn. Es geht um etwas Unerklärliches.

Jedenfalls bislang hat es niemand so recht erklären können, warum M. am 11.11.2011 in Köln, nur wenige Tage nach Auffliegen des Nazi-Trios, die Vernichtung wichtiger Akten angeordnet hat. Mit dem Beginn der Karnevalssaison ist diese Aktion Konfetti nicht zu begründen. Vor dem Saal sitzen Sicherheitsbeamte und wahren das, was Verfassungsschützer als Grundlage ihrer Arbeit sehen: die Geheimhaltung. Denn M. wird von den Mitgliedern des NSU-Untersuchungsausschusses in nicht-öffentlicher Sitzung vernommen. Oder anders gesagt, man tagt geheim.

Sein Chef, der die Aktenvernichtung ebenfalls erklären soll, hat dieses Privileg nicht. Er muss dorthin, wo kein Geheimdienst gerne hin will, in die Öffentlichkeit. Paul-Löbe-Haus, vierter Stock, Raum 4900. Eigentlich heißt der Saal Europasaal. Doch mittlerweile ist dies der angestammte Tagungsort des NSU-Untersuchungsausschusses. Heinz Fromm, der als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz bereits seinen Rücktritt eingereicht hat, aber noch bis Ende des Monats im Dienst ist, tritt als Zeuge auf. Nur ist dieser halbrunde Tisch für ihn wohl eher eine Anklagebank. Denn sowohl die Mitglieder des Ausschusses als auch die zahlreichen Besucher auf der überfüllten Besuchertribüne stellen sich eine Frage: Wie konnte es sein, dass eine Gruppe Nazis über Jahre untertauchen und Morde sowie Sprengstoffanschläge verüben konnte, ohne dass irgendeine Sicherheitsbehörde im Land einen Bezug zu dem Trio herstellen konnte.

Gibt es für genau diesen Fall nicht den Verfassungsschutz?

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Ruhig steht Fromm vor dem Tisch, eine grüne Mappe in der Hand und einen weinroten etwas abgewetzter Aktenkoffer auf dem Stuhl neben sich. Beinahe stoisch lässt er das Blitzlichtgewitter über sich ergehen. Es ist ja sowieso bald vorbei für ihn, er ist vorbereitet.

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Vorbereitet auf einen Offenbarungseid. Nachdem der Ausschussvorsitzende zur Eröffnung geläutet hat und Fromm über die Formalien belehrt, setzt Fromm an. Sein Manuskript hat er an vielen Stellen handschriftlich ergänzt. Er spricht von „beispiellosen Taten der NSU“, von einer „schweren Niederlage für die deutschen Sicherheitsbehörden“, und dann sagt Fromm den Satz, der in Erinnerung bleiben wird: „Wir waren borniert.“

Ob das der Satz ist, den die Ausschussmitglieder hören wollen? Aktenberge stapeln sich vor ihnen. Einige rollen mit ihren Stühlen vor und zurück, andere hören konzentriert und auf eine Weise zu, die auch aus ihren Gedanken ein Geheimnis macht. Der Verfassungsschutz, setzt Fromm seine Bilanz fort und meint sowohl das Bundesamt als auch die Landesämter, hätten über Jahre keine Anhaltspunkte für rechten Terror in Deutschland gesehen. Und vor dem Hintergrund dieser, wie sich nun zeigt, falschen Wahrnehmung der Lage, habe es auch eine „analytische Engführung“ gegeben bei den Ermittlungen. „Das war ein Fehler.“

Fromm kommt ohne Umschweife zur Sache. Seine Ausführungen sind unglaublich.

28 Minuten spricht Fromm zum Auftakt. Es geht um eine der schrecklichsten Mordserien in Deutschland mit zehn Toten und einem Nagelbombenanschlag. Es geht um Ermittlungen, in die der Verfassungsschutz von den zunehmend ratlosen Mordkommissaren einbezogen worden war und nicht half. Kein Holpern, kein Stottern beeinträchtigt Fromms Ausführungen. Besonnen und ohne Umschweife kommt er zur Sache.

Hinter ihm steht, fast wie eine Drohung, ein großer Wagen mit blauem Gitter. Darin stapeln sich die Akten. Andere sind zuvor in großen Ikea-Tüten in den Sitzungssaal getragen worden. Tags zuvor hatten die Ausschussmitglieder erstmals überhaupt Einsicht in Papiere mit den Klarnamen von geheimen Informanten genommen. Wann musste sich ein Geheimdienst jemals so outen?

Dass Geheimdienstler Hüte tragen und auf der Straße die Mantelkrägen hochschlagen, ist ja ohnehin nur ein Mythos. Aber das hier passt auch nicht gerade ins Bild. Fromm muss offen Fragen beantworten. Bei wissentlichen Falschaussagen macht er sich strafbar. Aber egal von welcher Seite oder mit welchem Zungenschlag die Frage gestellt wird, Fromm behält die Tonlage. Nur beim Rest wird das Murmeln lauter. Das Kopfschütteln vernehmbarer. Zu unglaublich sind die Ausführungen.

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Da fragt der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) sarkastisch, ob es beim Bundesamt für Verfassungsschutz eigentlich einen Datenschutzbeauftragten gebe und ob der dieses Amt hauptberuflich oder als Hobby ausübe. „Der Mann ist hauptberuflich bei uns“, antwortet er korrekt und muss dann zugeben, dass beim Verfassungsschutz über Jahre Akten, die über die Beschaffung von V-Leuten informieren, nicht vernichtet wurden. Genau das aber ist gesetzlich vorgeschrieben. „Das ist nicht gut“, sagt Fromm. Man habe das versucht zu ändern. Einmal hat das auch prima geklappt als nämlich jener Referatsleiter M., der am Morgen geheim vernommen worden war, Akten vernichtet hat. Die aber sind dummerweise vielleicht noch relevant gewesen. Wollte da einer etwas vertuschen? Wie kann so etwas passieren?

„Ich habe keine befriedigende Antwort.“ Das ist jetzt bestimmt nicht der Satz, den sie im Europasaal hören wollten. Getäuscht fühlt sich Fromm von seinen Mitarbeitern. Denn er selbst wusste von der Aktenvernichtung nichts. Das sei auch der Grund gewesen, weshalb er Anfang der Woche um seinen Rückzug ersucht hat. Gibt es nicht noch weitere Gründe? Nein. Das reicht Fromm.

Er sitzt da in dem Bewusstsein, dass er und seine Leute sich immer an die Regeln gehalten haben. Sie haben die Landesämter informiert. Es war nicht vorgesehen, dass es umgekehrt ebenso läuft. Welche V-Leute die Kollegen in Thüringen, Sachsen oder Bayern bei gemeinsamen Operationen führen, wisse man beim Bundesamt nicht, gesteht Fromm. Die Namen einiger V-Leute habe er selbst erst aus der Presse erfahren.

Genüsslich zitiert der Obmann der Grünen im Ausschuss aus dem Mailverkehr zwischen den Ermittlern.

Immer wieder macht sich Fromm Notizen. Nur gegen Wolfgang Wieland, Obmann der Grünen im Ausschuss, hilft das nun nicht mehr. Genüsslich zitiert der aus einem Mailverkehr zwischen den Ermittlern in Bayern und dem Verfassungsschutz. Die Bayern behaupten, nach den Morden den Verfassungsschutz eingebunden zu haben. Doch ging die allgemein gehaltene Anfrage nur an folgende Adresse: info@bfv.de. Das Amt schickte eine förmliche Antwort zurück. Ein absurder Austausch, ohne inhaltliche Auseinandersetzung zu den Mordfällen folgte.

Fromm rutscht plötzlich nervös auf seinem Stuhl hin und her, mit seiner Hand wischt er sich über die Mundwinkel. Dann hebt er an, zu einer „spitzen Bemerkung“, wie er einleitet: „Wer dumm fragt, bekommt eine dumme Antwort.“

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Wieland hält dagegen: „Das stimmt, aber es gibt kein Recht, auf eine dumme Frage noch dümmer zu antworten.“

Nur einmal ist es zu viel der Öffentlichkeit. Sogar für den Ausschussvorsitzenden. FDP-Obmann Hartfrid Wolff befragt Fromm nach einer möglichen Anwerbung von Beate Zschäpe, der einzigen Überlebenden des NSU. Wolff will dabei aus als geheim eingestuften Akten zitieren. Er lässt Fromm die Akte bringen, und der blättert ungeniert darin, während sie oben auf der Besuchertribüne ihre Köpfe über die Brüstung strecken. Edathy unterbricht das und schickt Wolff mit Fromm in einen Nebenraum. Nach einigen Minuten kehren sie zurück. Aber auch nicht schlauer als zuvor.

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Er wolle den Sachverhalt noch mal klären, kündigt Fromm daraufhin an. Anhaltspunkte, dass Zschäpe für den Verfassungsschutz gearbeitet hat, sehe er aber nicht.

Überhaupt ist es Edathy, der die größte Mühe mit der Öffentlichkeit hat. Immer mal wieder klingeln Mobiltelefone, die im Saal streng verboten sind. Und als eine Besucherin auch noch mit einem iPad ein Foto machen will, reicht es ihm. Er schmeißt die Besucherin raus und droht mit rechtlichen Konsequenzen.

Den ganzen Nachmittag zieht sich die Befragung hin, die Einblick ins Innenleben des Verfassungsschutzes gewährt. Beruhigend ist dieser Blick nicht. Das sagt Fromm selbst. Es gebe großen Reformbedarf. Man müsse Informationen besser austauschen. Die Bemerkung, dass scheinbar erst eine solch grausame Mordserie passieren müsse, ehe sich etwas ändert, findet Fromm zwar „scharf formuliert“, aber im Kern zutreffend.

Vielleicht braucht der Geheimdienst in der Krise genau das: Öffentlichkeit.

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