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Politik: Ankara macht lieber Pause

Nach dem Eklat um die Strafrechtsreform geht das Parlament in die Ferien – die Opposition ist empört

Nach seiner scharfen Kritik an der EU und seinem Verzicht auf ein wichtiges Reformwerk gerät der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan innenpolitisch unter Druck. Der sozialdemokratische Oppositionschef Deniz Baykal forderte, das Parlament solle – anders als von Erdogan angekündigt – die für die türkische EU-Bewerbung wichtige Strafrechtsreform noch vor Oktober verabschieden. Auch aus der türkischen Wirtschaft gab es Kritik an Erdogans jähem Kurswechsel in der Europapolitik. Das Parlament in Ankara beendete am Samstag jedoch seine Sondersitzung und ging bis zum 1. Oktober erneut in die Ferien. Damit sinken die Chancen, dass die Türkei die Strafrechtsreform bis zur Vorlage des nächsten Türkeiberichts der EU-Kommission am 6. Oktober verabschieden kann.

Erdogans Regierungspartei AKP hatte die Sondersitzung des Parlaments anberaumt, um die Strafrechtsreform beschließen zu können, verhinderte dann aber selbst die Abstimmung, weil der religiös-konservative Parteiflügel nicht auf die Bestrafung des Ehebruchs verzichten wollte. Ein entsprechendes Gesetz war nach massiver Kritik aus der EU zurückgezogen worden. Mit der Verschiebung des gesamten Reformwerks, bleiben aber auch andere wichtige Projekte auf der Strecke: Eine weitere Lockerung der Meinungsfreiheit etwa. Doch Erdogan bleibt stur: Er wies die Kritik der EU als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei zurück und erklärte, sein Land wolle ohnehin nicht um jeden Preis in die EU. Zeitungsberichten zufolge hält Erdogan beim Thema Ehebruch an seiner EU-feindlichen Haltung fest, um ein Abwandern besonders konservativer AKP-Parlamentarier zu anderen Rechts-Parteien zu verhindern.

Oppositionsführer Baykal sagte am Samstag, Erdogan sei zwischen dem Ziel der EU-Mitgliedschaft und dem Einfluss radikal-islamischer Bruderschaften hin- und hergerissen. Er rief den Ministerpräsidenten auf, „Vernunft anzunehmen“ und die von Regierung und Opposition gemeinsam getragene Strafrechtsreform möglichst schnell vom Parlament beschließen zu lassen. Dazu wäre nun allerdings eine neue Sondersitzung noch vor dem 1. Oktober notwendig, weil die Volksvertretung am Samstagvormittag ihre Beratungen beendete und die Abgeordneten in ihre Wahlkreise zurückkehrten. In Ankara gab es zunächst keinen Hinweis darauf, dass eine erneute Sondersitzung einberufen werden könnte.

Der Industriellenverband TÜSIAD, der auf einen Investitionsschub nach einem möglichen Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der EU hofft, erklärte, wenn die Strafrechtsreform nicht vor dem EU-Bericht am 6. Oktober verabschiedet werde, stärke dies die Gegner eines türkischen EU-Beitritts.

Und die Gegner sind überaus aktiv – allen voran CDU-Chefin Angela Merkel, die in einem Brief an alle Regierungschefs, Kommissionsmitglieder und Vorsitzenden der konservativ-bürgerlichen Volkspartei (EVP) gegen die Türkei Stellung bezogen hat. Zwar gibt es innerhalb der Union auch Kritik an Merkels Vorstoß, aus Sicht des außenpolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Friedbert Pflüger, handelt es sich dabei aber um Einzelmeinungen. „Die Haltung der Unionsfraktion ist eindeutig: Wir unterstützen mit überwältigender Mehrheit das Konzept der privilegierten Partnerschaft von Angela Merkel.“ Auch der CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, und der Europapolitiker Peter Hintze stellten sich hinter Merkel.

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