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Trauer und Trotz in Barcelona.

© Matthias Oesterlex/Imago/ZUMA Press

Anschläge in Spanien: Eine neue Qualität des Terrors

Die Anschläge von Barcelona und Cambrils sind offenbar Folge eines größeren Terror-Plans in Spanien. Was ist über die Täter bekannt und was bedeuten die Taten für Spanien?

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Der islamistische Terror hat Spanien am Donnerstag so heftig getroffen wie seit vielen Jahren nicht mehr. Bei den Taten in Barcelona und weiteren Orten starben mindestens 14 Menschen, mehr als 100 wurden verletzt. Fünf Täter wurden von der Polizei getötet, einer davon könnte der Täter von Barcelona sein. Bis Freitagnachmittag wurden vier Islamisten festgenommen. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ reklamierte den Angriff für sich.

Am Freitag bildeten sich vor den Blutspende-Stationen der Krankenhäuser lange Schlangen. Hoteliers boten den überlebenden Terroropfern und ihren Familien kostenlose Unterbringung an und auf dem Boulevard Las Ramblas versuchten Geschäftsleute, Anwohner und Touristen, den Alltag zurückzugewinnen. Die Sicherheitsmaßnahmen in Barcelona, das jedes Jahr von mehr als 30 Millionen Touristen besucht wird, werden verstärkt – denn ausgerechnet auf der Rambla, dem touristischen Zentrum der Stadt, gab es noch keine Betonblöcke oder Stahlpoller, um Kamikazefahrer zu stoppen.

Wie ist der Stand der Ermittlungen?

Die spanischen Sicherheitsbehörden halten offenbar den aus Marokko stammenden 17-jährigen Moussa Oukabir für den Attentäter von Barcelona, der am Donnerstag gegen 17 Uhr von der Placa de Catalunya aus mit einem weißen Lieferwagen in den Boulevard Las Ramblas gerast ist. Erst nach mehr als einem halben Kilometer kam der Transporter zum Stehen; der Fahrer flüchtete zu Fuß.

Oukabir ist untergetaucht. Möglicherweise hat er Donnerstagabend auf der Flucht noch in der Umgebung von Barcelona einen Pkw gekapert und den Besitzer erstochen, um mit dem Wagen entkommen zu können. Auf Oukabir als Tatverdächtigen kam die Polizei über seinen Bruder Driss Oukabir: Auf dessen Namen war der Lieferwagen gemietet, der über die Ramblas fuhr, sowie ein weiteres Fahrzeug, das möglicherweise für die Flucht vorgesehen war. Driss Oukabir meldete sich selbst bei der Polizei und gab an, ihm sei der Ausweis gestohlen worden.

Was weiß man über die Täter und mögliche Hintermänner?

Nach bisherigen Erkenntnissen geht die spanische Polizei davon aus, dass Moussa Oukabir und womöglich sein Bruder einer Terrorzelle mit ungefähr einem Dutzend Mitgliedern angehören. Die vier Festgenommenen sind drei Marokkaner und ein Spanier – keiner der 21- bis 34-Jährigen ist laut Polizei bislang im Zusammenhang mit Terrorismus in Erscheinung getreten. Der mutmaßliche Haupttäter Moussa Oukabir, am Freitag der meistgesuchte Terrorist Europas, hat vor zwei Jahren in einem sozialen Netzwerk auf die Frage von Netzwerkfreunden kundgetan, was er als „absoluter König der Welt als Erstes machen würde“: „Ich möchte so viele Ungläubige wie möglich töten.“

Die Wohnung der Familie Oukabir nach einer Durchsuchungsaktion der spanischen Polizei in Ripoll, nördlich von Barcelona.
Die Wohnung der Familie Oukabir nach einer Durchsuchungsaktion der spanischen Polizei in Ripoll, nördlich von Barcelona.

© Francisco Seco/AP/dpa

Der Terrorgruppe werden auch die Personen zugeordnet, die in der Nacht zu Freitag im Badeort Cambrils mit einem Fahrzeug mehrere Menschen anfuhren. Eines der Opfer starb am Freitag im Krankenhaus an seinen schweren Verletzungen. Ein Polizist erschoss offenbar alleine vier Täter, der fünfte Mann der Gruppe erlag später seinen Schussverletzungen. Die mutmaßlichen Islamisten trugen Attrappen von Sprengstoffgürteln.

Ein dritter Tatort ist offenbar die Gemeinde Alcanar im Süden Kataloniens. Hier kam es schon in der Nacht zu Donnerstag zur Explosion eines Wohnhauses. Mindestens ein Mensch starb. Laut Polizei sollen hier Personen mit Verbindungen zum Anschlag in Barcelona versucht haben, Gasflaschen zu Sprengkörpern umzurüsten – zwischen den Trümmern des Gebäudes fand die Polizei mindestens 20 Butangasflaschen. Zunächst hatten die Ermittler an einen Gasunfall gedacht; schon in der Nacht zu Freitag verdichteten sich dann die Hinweise auf einen zusammenhängenden Anschlagsplan. Womöglich wollte die Terrorzelle noch mehr Anschläge verüben als die in Barcelona und Cambrils. Nach dieser Explosion hätten die Attentäter „nicht mehr das Material gehabt, um Anschläge noch größeren Ausmaßes zu verüben“ und hätten sich gezwungen gesehen, ihre Planungen und Taten zu beschleunigen.

Ist das eine neue Dimension des Terrors?

Deutsche Sicherheitskreise sprechen von einer neuen Qualität des „Do-it-yourself-Terrors“. Damit sind Anschläge gemeint, die von den Tätern weitgehend auf eigene Faust vorbereitet und verübt werden. Ein Beispiel ist die Todesfahrt von Anis Amri am 19. Dezember 2016 auf dem Breitscheidplatz in Berlin. Bei den Angriffen in Katalonien sehen Sicherheitsexperten nun eine andere Dimension, weil mutmaßlich eine ganze Terrorgruppe den „Modus operandi“ von Einzeltätern wie Anis Amri potenziert hat. Auch für die Anschläge in Paris am 9. Januar 2015 auf die Redaktion des Satiremagazins „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt und am 13. November 2015 auf ein Fußballspiel im Stade de France, ein Rockkonzert im Bataclan- Theater und Gäste vieler Bars, Cafés und Restaurants waren zwischen den Attentätern abgesprochen.

Welche Rolle spielt der IS?

Die Terrormiliz meldete sich Donnerstagabend schon bald nach der Todesfahrt von Barcelona. Die vom IS genutzte, islamistische Nachrichtenstelle Amaq stellte eine Selbstbezichtigung der Terrormiliz ins Internet. Darin heißt es, „die Ausführer des Anschlags in Barcelona sind Soldaten des Islamischen Staates“. Sie hätten die „Operation“ gemäß einem Aufruf zum Angriff auf „Staaten der Koalition“ ausgeführt – gemeint sind damit offenbar die Staaten, die sich in Syrien am Militäreinsatz gegen den IS beteiligen. Spanien spielt da allerdings keine Rolle. Das Bundeskriminalamt hält das Bekenntnis aber für authentisch. Deutsche Sicherheitskreise vermuten, der IS habe entweder vorab bereits Kenntnis von einem geplanten Anschlag gehabt – oder die Terrormiliz habe sich „draufgesetzt“, um mit dem Angriff ihr Ansehen in der militanten Islamistenszene weiter zu steigern.

Warum wird Spanien attackiert?

Für die islamistische Terrorszene ist Spanien ein herausragendes Ziel, weil die Fanatiker das Land immer noch für einen Teil der muslimischen Welt halten. Sie nennen es „Al Andalus“, in Erinnerung an die islamischen Königreiche auf der iberischen Halbinsel. Dass 1492 die christlichen Reconquistadores (Rückeroberer) das Emirat Granada eroberten und die jahrhundertelang Präsenz muslimischer Macht in Spanien beendeten, ist für die Terrormiliz IS wie auch für Al Qaida eine Schmach, die auch heute noch nicht hingenommen werden kann.

Die Terrorszene finde in Spanien ein besonders großes Rekrutierungspotenzial vor, sagen Sicherheitskreise. Im Land leben viele junge Männer aus Nordafrika, vor allem aus Marokko. Ihre Lebensverhältnisse sind oft prekär, außerdem schwelt bei vielen Einheimischen ein zuweilen rassistisch gefärbter Hass. Mehrere Täter der großen Anschlagsserie von 2004 waren gebürtige Marokkaner.

Dass die Angreifer in Katalonien gezielt den Tourismus treffen wollten, halten deutsche Sicherheitskreise für weniger wahrscheinlich. „Die Strategie ist, möglichst viele Menschen zu töten“, sagt ein Experte. Ein anderer Fachmann betont, die Ramblas in Barcelona, gerade in den Sommermonaten mit Menschenmassen gefüllt und für Fahrzeuge leicht zugänglich, seien „leider ein ideales weiches Ziel“ für den islamistischen Terror.

Das nordspanische Katalonien, in der die Terroristen nun zuschlugen, ist Spaniens touristische Hochburg, in der mehr als ein Viertel aller ausländischen Spanien-Besucher ihren Urlaub verbringen. Und gleichzeitig ist die politisch eigenwillige Region mit 7,5 Millionen Einwohnern, die sich von Spanien abspalten will, schon länger ein Brennpunkt des islamistischen Fundamentalismus: Seit Jahresbeginn und vor der jüngsten Anschlagsserie wurden in Katalonien 14 Terrorverdächtige festgenommen, in keinem anderen Landesteil gibt es so viele Razzien gegen die radikale islamistische Szene. Katalonien ist die wirtschaftsstärkste Region Spaniens, nahezu 15 Prozent der Bevölkerung haben einen ausländischen Pass, in einigen Gemeinden sogar mehr als 20 Prozent. Angefacht wurde der Einwanderungsboom in die Region über Jahrzehnte durch den Arbeitskräftebedarf in Industrie und Landwirtschaft.

Verändert sich die Sicherheitslage?

Aus Sicht der deutschen Behörden ist die Gefährdung schon so hoch, dass sie sich kaum noch steigern lässt. Deutsche Politiker und Gewerkschafter forderten am Freitag so schnell wie routiniert mehr Poller und bessere Überwachung. Befürchtet werden Taten von Nachahmern, die ebenfalls ein Fahrzeug für einen Angriff missbrauchen. Dennoch sei die „Nachahmergefahr“ nicht mehr ganz so hoch wie vor einem Jahr, heißt es. Die makabere Begründung: Auch die Salafisten hätten sich an die Medienmeldungen über Anschläge mit Fahrzeugen gewöhnt und seien vermutlich nicht mehr so elektrisiert wie nach dem ersten Anschlag dieser Machart in Nizza.

Die Tatorte der Terroranschläge in Spanien
Die Tatorte der Terroranschläge in Spanien

© Gitta Pieper

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