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Spaßfreie Zone: Der abgesperrte Rathausplatz in Braunschweig.

© Peter Steffen/dpa

Anschläge und Karneval: Kopenhagen bringt die Zweifel zurück

Im Angesicht des Terrors: Was aus Karikaturen, Karneval und der Meinungsfreiheit wird. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Juliane Schäuble

Es hört nicht auf. Gerademal fünf Wochen ist es her, dass bei Terroranschlägen auf die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt in Paris 17 Menschen ermordet wurden, Polizisten, Karikaturisten, und ganz gezielt französische Juden. Die Stadt hat sich davon noch längst nicht erholt. Vor neun Monaten erst gab es das Attentat auf das Jüdische Museum in Brüssel, bei dem vier Menschen starben. Jetzt Kopenhagen mit offenbar geplanten Anschlägen – auf einen Mohammed-Karikaturisten, Polizisten, eine gut gefüllte Synagoge. Dem Attentäter gelingt es zwar nicht, seinen teuflischen Plan bis zum Ende umzusetzen, aber zwei Menschen sind tot. Davor: London, Madrid, Moskau …
Der Terror trifft Europas Herz, in seinen Hauptstädten schlagen die zum Äußersten entschlossenen Dschihadisten besonders gerne zu. Mal als Einzeltäter, mal als Zelle organisiert, für die Opfer beziehungsweise deren Angehörige ist das egal. War das Ziel in London und Madrid noch der öffentliche Nahverkehr, sind es bei den jüngsten, in der Dimension etwas kleineren Attacken Karikaturisten, Sicherheitskräfte – und immer wieder Juden. Keiner von ihnen soll sich mehr sicher fühlen, und mit ihnen gleich die ganze westliche Gesellschaft. Das ist das erklärte Ziel der Islamisten.

Die Karikaturisten machen weiter - die Karnevalisten auch?

Doch das werden sie nicht erreichen. Oder? Die Karikaturen-Zeichner machen weiter, wollen sich ihre Freiheit nicht nehmen lassen (unvergessen wird die erste bewegende „Charlie Hebdo“-Ausgabe nach dem Anschlag bleiben), genauso wie schreibende Journalisten, Polizisten, U-Bahn-Fahrer, Museums- und Synagogenbesucher – und Karnevalisten. Oder?
In Braunschweig wurde der Karnevalsumzug am Sonntag in letzter Sekunde abgesagt. Die Sicherheitskreise begründen das mit Hinweisen auf eine „konkrete Gefährdung“, die durch Kopenhagen eine ganz neue Brisanz bekommen habe. Sicherheit geht vor, oder? In Köln sollen die Rosenmontags-Wagen zwar heute rollen, aber bitte keiner mit „Charlie Hebdo“-Motiv. Obwohl man dazu eigens einen Wettbewerb via Facebook ausgelobt hatte. Doch die Zahl der besorgten Jecken wurde zu groß, als auf einmal die Rede von zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen war, die ergriffen werden müssten. Die „Welle der Angst“ ließ die Organisatoren vor ihrer eigenen Courage zurückschrecken. Zu Recht?

Nein, findet Aiman Mazyek, Chef des Zentralrats der Muslime. Der Verzicht auf den Kölner Karnevalswagen habe ihn „irritiert“. Die Auseinandersetzung mit Extremismus sei nun, nach Paris, erst recht wichtig, gerade für Karikaturisten und Karnevalisten. Das hat Mazyek dieser Zeitung gesagt, allerdings vor Kopenhagen.
Natürlich hat er im Grundsatz recht, und das nicht nur, weil er als deutscher Muslim gesprochen hat. Denn es wäre falsch, denen, die unsere Freiheit zerstören wollen, aus Angst nachzugeben. Und doch bleibt ein leiser Zweifel, ob es sich lohnt, im Kampf für die Freiheit allzu große Risiken einzugehen. Schon gar, wenn die Risiken offenbar so schwer zu kalkulieren sind.
Der andere Zweifel setzt sich mehr und mehr bei Europäern jüdischen Glaubens fest. Ob das Leben in Europa es tatsächlich wert ist, allzu große Risiken einzugehen. Ob die Staaten wirklich in der Lage sind, für ihre Sicherheit zu sorgen – und man überhaupt unter solchen abnormalen Sicherheitsvorkehrungen leben will. Oder ob sie nicht doch besser dem Lockruf des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu folgen sollten, der auch nach Kopenhagen zum „Massenexodus“ aus Europa aufruft.

Was passiert nach den nächsten Anschlägen?

Keiner der Zweifel wird schnell widerlegt sein. Schon gar nicht, wenn in der Liste der Anschlagsziele auf Brüssel, Paris, Kopenhagen bald schon eine andere Stadt folgt. Organisatoren von Großveranstaltungen und Sicherheitskräfte mit ihren ganz eigenen Informationen müssen das Recht haben, sich aus Vorsicht für eine Absage zu entscheiden. Und natürlich haben Juden das Recht, nach Israel auszuwandern. Dennoch bleibt zu hoffen, dass es in beiden Fällen Einzelentscheidungen sind - und daraus eben kein „Massen“-Phänomen wird. Dass die Wagen in Köln, Mainz und anderswo am heutigen Rosenmontag rollen werden, freut daher nicht nur Jecken und Narren. Ebenso, dass die Redaktion von „Charlie Hebdo“ nach Kopenhagen „Jetzt erst recht“ ruft. Und genauso wird es immer wieder auch Diskussionsrunden wie jene in Kopenhagen geben, die sich mit Meinungsfreiheit, Gotteslästerung und Tabubrüchen beschäftigen. Auch wenn sie vielleicht unter Polizeischutz stattfinden werden.

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