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Polizeifahrzeuge in Ottawa.

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Update

Terror in Ottawa: Attentäter galt als Sicherheitsrisiko

Kanadas Hauptstadt Ottawa steht unter Schock, nachdem ein Attentäter im Regierungsviertel einen Soldaten getötet und sich im Parlament verschanzt hatte. Der Angreifer wurde dort von Sicherheitskräften erschossen. Der mutmaßliche Täter war den Sicherheitsbehörden offenbar bekannt.

Der Rasen vor dem imposanten Parlamentsgebäude in Ottawa ist normalerweise ein Ort, an dem junge Menschen Frisbee oder Fußball spielen. Ein Ort, an dem Touristen sich gerne auf Decken niederlassen. Der Charme Ottawas, der kanadischen Hauptstadt, besteht für viele Besucher eben gerade in der Ungezwungenheit. Ungehindert kann man bis ans Parlament gelangen, erst im Gebäude müssen Besucher Sicherheitsschleusen passieren. Ob diese Idylle aufrechterhalten werden kann, ist jetzt fraglich.

Dass ein Attentäter einen Soldaten am nahegelegenen Kriegsdenkmal töten und dann bewaffnet ins Parlament eindringen konnte, versetzt die Menschen im Land in einen Schock. Der Mittwoch war ein dramatischer Tag in der sonst meist ruhigen Hauptstadt Kanadas. Noch Stunden nach den ersten Schüssen befand sich die Stadt am Ottawa-Fluss in einem Belagerungszustand. Die Schüsse, die durch die Gänge des im Westminister-Stil gebauten Parlaments hallten, waren verklungen, aber weite Teile der Innenstadt blieben weiterhin abgesperrt.

Die Polizei riegelte das gesamte Regierungsviertel ab.
Die Polizei riegelte das gesamte Regierungsviertel ab.

© AFP

Das Entsetzen der Politiker und vieler Menschen, die sich im Stadtzentrum befanden, ist groß. „Wir warteten auf eine Stadttour und plötzlich hörte ich vier Schüsse“, erzählte Jan Luchtenburg, ein Tourist aus den Niederlanden, dem kanadischen Rundfunk CBC. Und der sozialdemokratische Oppositionsabgeordnete Charlie Angus sagte, während die Polizei noch das Parlamentsgebäude durchkämmte: „Dieser Ort gehört dem Volk. Wir können diesen wunderbaren Ort nicht schließen.“ Es dauerte Stunden, bis die Polizei etwas Klarheit in den Ablauf der Ereignisse brachte.

Wohl doch keine Schüsse in Einkaufszentrum

Die Schüsse am Kriegsdenkmal fielen kurz vor 10 Uhr Ortszeit. Augenzeugen berichteten zunächst, der Täter habe ein weißes Kopftuch getragen, was später nicht bestätigt wurde. Einer der beiden Soldaten, die am Kriegsdenkmal Wache hielten, wurde schwer verletzt. Er verstarb wenig später im Krankenhaus. War zunächst von möglichen zwei oder drei Tätern ausgegangen worden, so deuteten die Indizien am Abend auf einen Einzeltäter hin. Dieser könnte nach den ersten Schüssen am Denkmal entweder mit einem Auto zum nahegelegenen Parlament gefahren oder dorthin gerannt sein.

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Wie es ihm gelingen konnte, mit der Waffe ins Parlament einzudringen? „Es ist zu früh, dazu etwas zu sagen“, erklärte die Polizei. Was sich nach dem Eindringen des Attentäters abspielte, war Chaos. Augenzeugenberichten zufolge wurden 40 bis 50 Schüsse abgegeben, was durch das Echo in den Parlamentsgängen aber ein falscher Eindruck sein kann. Abgeordnete, die gerade tagten, und Besucher flohen in Panik oder verbarrikadierten sich in Sitzungsräumen. Der Mann, der die tödlichen Schüsse auf den Soldaten abgegeben hatte, wurde im Parlament erschossen. Die Polizei bestätigte den Tod eines „männlichen Verdächtigten“.

Ein zum Islam konvertierten Mann im Verdacht

Aber zur Person und möglichen Motiven und Hintergründen wurde unter Hinweis auf die Ermittlungen anfangs nichts gesagt. Einem Insider zufolge steht ein zum Islam konvertierten Mann im Verdacht. Dies sei den amerikanischen Sicherheitsbehörden mitgeteilt worden, verlautete am Mittwoch aus US-Regierungskreisen. Demnach handelt es sich um Michael Zehaf-Bibeau aus der Provinz Quebec, der schon mehrfach vorbestraft wurde und als Sicherheitsrisiko galt. Angeblich wurde Zehaf-Bibeau vor Kurzem der Reisepass entzogen.

„Ich denke, er war geisteskrank“, zitierte die kanadische Zeitung „The Globe and Mail“ einen Bekannten des Täters. Er sei nicht extremistisch gewesen, habe aber oft davon gesprochen, vom Teufel verfolgt zu werden. Der mutmaßliche Schütze habe auch vor etwa sechs Wochen von Plänen erzählt, nach Libyen zu reisen, hieß es in dem Bericht weiter.

Vor diesem Hintergrund sagte Verteidigungsminister Rob Nicholson, Kanada werde an seiner Militärstrategie festhalten. Das Land will sich an den von den USA angeführten Luftangriffen auf Stellungen der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) im Irak und in Syrien beteiligen. Die Behörden gehen daher derzeit von einer erhöhten Anschlagsgefahr aus.

Auch darüber, wer den Eindringling erschossen hat, herrscht noch keine Klarheit. In Ottawa hieß es, dass der 58-jährige Kevin Vickers, der als „Sergeant-At-Arms“ für die zeremonielle Akte und Sicherheit im Parlament zuständig ist, den mutmaßlichen Täter erschossen haben könnte. Der erfahrene Sicherheitsbeamte ist seit 2006 im Amt und war laut CNN zuvor Mitglied der berittenen Polizei.

Als unzutreffend bezeichnete die Polizei Berichte, wonach auch am nahegelegenen Einkaufszentrum Rideau Centre Schüsse fielen. Dies deutet darauf hin, dass es nur einen Täter gibt. Festlegen wollte sich die Polizei aber nicht. Sie fahndete bis zum Abend nach weiteren Tätern.

Fast alle der mehr als 300 Abgeordneten waren am Mittwoch im Gebäude. Vom Zentralblock mit dem Sitzungssaal führt ein Tunnel zum Premierministeramt. Offenbar wurde Premierminister Stephen Harper durch diesen Tunnel aus dem Parlament gebracht. Harpers Sprecher teilte später mit, dass der Regierungschef in Sicherheit sei und sich von den Leitern der Sicherheitsbehörden über die Lage informieren lasse. In Ottawa wurden Schulen und Regierungsgebäude sowie Botschaften geschlossen, auch die kanadische Botschaft in Washington wurde unter besondere Bewachung gestellt. Zudem wurde das nordamerikanische Luftverteidigungsbündnis Norad eingeschaltet.

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