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© EPA

Anschlag in Russland: Explosion bringt Zug zum Entgleisen

Terroristen sollen für das Unglück auf der Strecke zwischen Moskau und St. Petersburg verantwortlich sein. 39 Menschen starben bisher. Der "Newski Express" war schon einmal Ziel eines Anschlags.

Obwohl IT-Technikerin, konnte Anastassia ihren Drucker am Freitagabend partout nicht dazu bringen, das E-Ticket für den Nachtzug Moskau-St.-Petersburg auszuspucken. Auch durch ihr Versprechen, dies gleich nach der Ankunft im Internet-Cafe des Bahnhofs nachzuholen, ließ sich der Zugbegleiter nicht erweichen. Mit Tränen der Wut in den Augen musste Anastassia daher vom Bahnsteig aus zusehen, wie sich die blauweißen Waggons langsam in Bewegung setzten.

Heilfroh sei sie inzwischen, dass sie nicht mitfahren konnte, sagte die Mittzwanzigerin am Samstag dem russischen Staatsfernsehen. Denn die Reise des „Newski Express“ war zwischen Twer und Nowgorod, nordwestlich von Moskau, zu Ende. Als der Zug einen Damm passierte, detonierte unter der Lok ein Sprengsatz. Der Lokführer leitete – der Zug fuhr nahe an der Höchstgeschwindigkeit – eine Notbremsung ein, vier Waggons entgleisten und brannten teilweise aus. Mindestens 26 Menschen starben, knapp 100 der über 600 Reisenden wurden verletzt. Viele von ihnen liegen mit Schädeltraumata und schweren Knochenbrüchen in den Krankenhäusern. Rettungsmannschaften des Ministeriums für Katastrophenschutz konnten sich nur mit Schneidbrennern Zugang zu den durch den Brand und die Wucht der Explosion ineinander verkeilten Wagen Zugang verschaffen.

Die Staatsanwaltschaft, sagt Wladimir Jakunin, der Chef der russischen Staatsbahn, habe ein Verfahren wegen Terrorismus und illegalem Besitz von Sprengstoff eingeleitet. Auf der gleichen Strecke – sie ist circa 700 Kilometer lang und die mit Abstand am meisten befahrene in ganz Russland – hatte es bereits im August 2007 und nur ein paar Dutzend Kilometer weiter nördlich einen Anschlag gegeben. Auch er galt dem „Newski Express“, einem der modernsten Züge Russlands, der Geschwindigkeiten von bis zu 180 Stundenkilometern erreicht. Die Regel sind angesichts hoffnungslos veralteter und maroder Schienen allerdings nur 60 Stundenkilometer. Damals hatten die Terroristen jedoch nur zwei Kilogramm TNT und einen selbst gebastelten Zünder verwendet, 60 Menschen wurden leicht verletzt. Jetzt hatte die Bombe eine Sprengkraft von sieben Kilogramm TNT.

Damals wurde der Anschlag islamischen Extremisten aus dem Nordkaukasus angelastet, er ist bisher jedoch nicht aufgeklärt. Diesmal tappen die Ermittler bei Tätern und deren möglichen Motiven noch im Dunkeln. Gennadi Gudkow, Chef des parlamentarischen Ausschusses für Sicherheit, schloss in einem Interview im Radio Echo Moskwy nicht aus, dass er auf das Konto ultrarechter Nationalisten gehen könnte. Sie hatten auf ihren Websites bereits des öfteren mit Derartigem dunkel gedroht, um Kreml und Regierung zu einer Politik zu zwingen, die sich stärker an den Interessen der russischen Bevölkerungsmehrheit orientiert und den Zustrom von Gastarbeitern aus den Ex-Sowjetrepubliken stoppt.

Kritische Beobachter dagegen warnen bereits seit längerem, zunehmende Willkür der Polizei habe Spannungen und die latente Unzufriedenheit in der russischen Gesellschaft in gefährliche Nähe zum Bürgerkrieg eskalieren lassen. Dessen Vorgeplänkel sei der Anschlag auf den Zug gewesen, bei dem offenbar Profis am Werk waren. Immerhin wurden rund 1200 Meter Gleise zerstört.

Ein Augenzeuge berichtete, er habe auch nur einen heftigen Ruck gespürt, so als ob ein Rad sich gelöst hätte oder der Zug auf ein Hindernis gefahren sei. Danach habe der Zug scharf gebremst. Den für eine Sprengstoffexplosion typischen Knall habe er indes nicht gehört, so der Augenzeuge. Andere Mitfahrende wollen dagegen einen Explosionsknall gehört haben. Das Staatsfernsehen strahlte den Notruf des Lokführers aus, der darin von einer „Explosion unter dem Zug“ sprach.

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