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Politik: Antifaschismus und Bauernkrieg: Politische Mythen in der DDR

Dass Programme und Grundwerte existenzielle Bestandteile von Parteienpolitik sind, gilt als Binsenweisheit. Dass solche Ideenkataloge jedoch stets auch Elemente des Mythischen in sich tragen und mittels politischer Rituale auf das öffentliche Bewusstsein einwirken, wird eher selten diskutiert.

Dass Programme und Grundwerte existenzielle Bestandteile von Parteienpolitik sind, gilt als Binsenweisheit. Dass solche Ideenkataloge jedoch stets auch Elemente des Mythischen in sich tragen und mittels politischer Rituale auf das öffentliche Bewusstsein einwirken, wird eher selten diskutiert. Die Berliner Politikwissenschaftlerin Raina Zimmering vertritt die Ansicht, dass Mythen durchaus ein konstitutiver Teil von Politik sind.

In ihrem Buch "Mythen in der Politik der DDR" beleuchtet sie diese These ausführlich im Rückblick auf das gesellschaftliche Selbstverständnis der DDR. Belegt durch Materialien aus dem Schulunterricht und Beispiele politischer Denkmäler und Gedenkstätten analysiert sie die Installation des Mythos vom "ersten antifaschistischen Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden" im kollektiven Bewusstsein der DDR-Bürger - und dessen Scheitern.

Neben dem Antifaschismus als prägendem Gründungsmythos der DDR werden besonders die Neuinterpretation der Bauernkriege und der Reformation sowie die Aneignung des Preußenmythos für die sozialistische Bewusstseinsbildung ausführlich betrachtet. So wurde zum Beispiel die Bodenreform von 1948 mit Bezug auf den Bauernkrieg und den "revolutionären" Thomas Müntzer (als Gegenfigur zum "feigen Luther") von oben gerechtfertigt.

Die Relativierung der Gründungsmythen durch die neuen DDR-Eliten in den 70er und 80er Jahren, vor allem Luther und Preußen betreffend, wird von Zimmering als Beitrag zum Untergang der DDR gewertet, weil sie die geistige Legitimation des Staates vor allem für die Aufbaugeneration unglaubwürdig machte. Es ist jedoch fraglich, ob solche ideologischen Widersprüche ernstlich als Ursachen für den Niedergang des Systems geltend gemacht werden können.

Bei der Lektüre des Buches stellt sich unwillkürlich die Frage nach dem Funktionieren aktueller politischer Mythen. Leider erfährt man wenig darüber, inwieweit diese sich in der DDR tatsächlich auf das Denken und Handeln der Indoktrinierten ausgewirkt haben.

Martin Jankowski

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