zum Hauptinhalt

Politik: Antisemitismus als Knüppel?

Von Christian Böhme Um deutliche Worte ist Norbert Blüm selten verlegen. Anfang April hatte der langjährige Arbeitsminister erstmals die Politik der Israelis indirekt mit der der Nazis verglichen.

Von Christian Böhme

Um deutliche Worte ist Norbert Blüm selten verlegen. Anfang April hatte der langjährige Arbeitsminister erstmals die Politik der Israelis indirekt mit der der Nazis verglichen. In einem Schreiben an den israelischen Botschafter Schimon Stein warf der CDU-Politiker der Regierung Scharon vor, sie führe einen „hemmungslosen Vernichtungskrieg“ gegen die Palästinenser. Die Empörung, selbst bei den Parteifreunden, war groß. Viele gingen damals auf Distanz zu Blüm. Am Dienstag taten sie es auf dem CDU-Parteitag wieder. Denn der 67-Jährige hat seine Einschätzung in einem Interview mit dem „Stern“ bekräftigt – und die Kritik an Israel in einen Zusammenhang mit der aktuellen Antisemitismus-Debatte gebracht.

Im Gespräch mit dem Magazin sagte Blüm: „Ich kann in den Aktionen der israelischen Militärs keinen Abwehrkampf gegen den Terrorismus sehen, sondern nur Vernichtung. Wenn Kinder getötet werden, wenn eine Mutter mit ihrem lebensgefährlich erkrankten Kind nicht in die Klinik darf, dann nenne ich das Vernichtung.“ Starker Tobak. Aber Blüm, der sich selbst als Freund Israels sieht und (anders als FDP-Vize Jürgen W. Möllemann) palästinensische Selbstmordanschläge verurteilt, hält solche provokative Kritik durchaus für angebracht. Denn auch in seiner Partei sei die Diskussion zu „akademisch“ und diene nur der Beruhigung des eigenen Gewissens.

Die Debatte über Israels Vorgehen gegen die Palästinenser läuft also aus Blüms Sicht nicht gut. Einen Grund sieht er wohl auch darin, dass der Antisemitismus-Vorwurf teilweise „als Knüppel benutzt wird, um jeden Hinweis auf die Missachtung der Menschenrechte totzumachen“.

Und Norbert Blüm rät dazu, vorsichtiger mit dem Begriff Antisemitismus umzugehen: „Die Ressentiments, die über Jahrhunderte gewuchert sind, sind leider nicht total überwunden. Aber unser Land ist kein Land der Antisemiten.“

Das sieht auch Paul Spiegel so. Der Präsident des Zentralrats der Juden hat ebenfalls generell nichts gegen Kritik an Israels Politik einzuwenden. Doch Blüms Äußerungen hält Spiegel schlichtweg für „ungeheuerlich“. Wer angesichts des neuen palästinensischen Selbstmordanschlages in den Aktionen des israelischen Militärs „keinen Abwehrkampf gegen den Terrorismus sieht“, der hat jeglichen Realitätssinn verloren“, sagt er.

Spiegel geht sogar noch weiter. Er wirft Blüm in einer Erklärung des Zentralrats „Doppelmoral“ vor. Dessen neuerlicher Versuch, Israel als den einzigen Übeltäter und sogar Verbrecher in diesem Konflikt darzustellen, „ist Rassismus pur aus dem Mund des ehemaligen Bundesarbeitsministers“. Wie schon beim Konflikt mit der FDP-Führung und Möllemann unterscheidet Spiegel ausdrücklich zwischen der Partei und den „Entgleisungen“ eines Parteimitglieds. Auch bei den Christdemokraten sind einige richtig entsetzt über Blüm. CDU-Vize Jürgen Rüttgers drückte es so aus: „Alle, die das böse Wort vom Knüppel des Antisemitismus benutzen, ermöglichen es den Ewiggestrigen, sich dahinter zu verstecken.“

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false