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Juedischer Friedhof geschaendet

© ddp

Antisemitismus: Jede Woche ein Angriff auf jüdischen Friedhof

Antisemiten haben von 2002 bis 2006 mehr als 230 jüdische Friedhöfe geschändet. Der Zentralrat der Juden fordert die Regierung zum Handeln auf.

Von Frank Jansen

Berlin - In den vergangenen fünf Jahren ist in Deutschland nahezu jede Woche ein jüdischer Friedhof geschändet worden. Von 2002 bis 2006 hat die Polizei 237 Angriffe registriert, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) hervorgeht. In dem Schreiben, das dem Tagesspiegel vorliegt, listet das Ministerium Jahresbilanzen auf. Demnach wurden 2006 insgesamt 39 Friedhöfe geschändet, 2005 waren es 48, 2004: 35, 2003: 55 und sogar 60 im Jahr 2002. In Deutschland gibt es etwa 2000 jüdische Friedhöfe – das bedeutet, jeden zehnten haben Neonazis und andere Antisemiten attackiert.

Jede Schändung werde von der Bundesregierung „aufs schärfste missbilligt“, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums am Freitag dem Tagesspiegel. Die Reaktionen beim Zentralrat der Juden und in der Politik sind ebenfalls geprägt von Entsetzen – und der Suche nach einer wirksamen Strategie gegen den Antisemitismus. „Ich bin schockiert“, sagte der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan J. Kramer, dem Tagesspiegel. Spätestens mit der Antwort des Ministeriums würden all diejenigen Lügen gestraft, „die dem Zentralrat Panikmache vorwerfen“. Kramer fordert, dass die Regierung handelt. Es sei notwendig, „dass sich ein Bundesbeauftragter mit der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Antisemitismus befasst“. Der Beauftragte der Regierung solle alle verfügbaren Daten und Berichte über rechtsextreme und antisemitische Umtriebe sammeln, auswerten und in einem jährlichen Report zusammenfassen. „Dann hätten beispielsweise die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt einen Ansprechpartner“, sagte Kramer. Sein Appell, so scheint es, wird im Bundestag gehört.

„Wir müssen uns bis Ende des Jahres über die Fraktionsgrenzen hinweg verständigen, dass akutes Handeln geboten ist – wie es der Zentralrat fordert“, sagte Gert Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und persönlicher Beauftragter des OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung des Antisemitismus. Obwohl er sich mit der Feindschaft gegen Juden schon lange beschäftige, „hätte ich nicht gedacht, dass das Ausmaß der Schändung jüdischer Friedhöfe so furchtbar ist“. Weisskirchen will noch im November mit einer von ihm initiierten informellen Gruppe von Abgeordneten aus allen Fraktionen über Pläne zur Bekämpfung des Antisemitismus beraten. Im Gespräch sind neben der Idee des Zentralrats der Juden, einen Bundesbeauftragten zu bestimmen, die Einsetzung einer Enquête-Kommission und, wie vom Holocaust-Überlebenden Arno Lustiger gefordert, ein jährlicher Bericht der Bundesregierung zum Antisemitismus.

Die Extremismusexpertin der Unionsfraktion, Kristina Köhler, zeigte sich ebenfalls überrascht von der hohen Zahl geschändeter jüdischer Friedhöfe. Köhler hält indes zunächst eine Anhörung von Wissenschaftlern und anderen Fachleuten im Bundestag für sinnvoll. Dabei solle ausgelotet werden, welche Anteile der antisemitischen Täter Rechtsextremisten und fanatisierte Muslime stellen. Dem Vorschlag, einen Bundesbeauftragten einzusetzen, steht Köhler skeptisch gegenüber: „Das würde bedeuten, dass der Verfasssungsschutz nicht ausreicht“.

Dass die Regierung 237 geschändete jüdische Friedhöfe melde, „trifft mich im Innersten“, sagte Markus Löning, europapolitische Sprecher der FDP-Fraktion und Parteichef in Berlin. Löning sieht sich in seiner Forderung nach einer Enquête-Kommission „Antisemitismus in Deutschland“ bestätigt. Die Linksfraktion neigt eher zu dem Vorschlag, ein Bundesbeauftragter solle sich mit Rechtsextremismus und Antisemitismus auseinandersetzen. Dies passe zu ihrer Forderung, im Bundeskanzleramt einen Beauftragten für Demokratie und Toleranz zu installieren, sagte Bundestagsvizepräsidentin Pau. Zum Entsetzen über die vielen Angriffe auf jüdische Friedhöfe komme bei ihr Ärger über die Regierung hinzu: Deren Angaben seien zu knapp, unter anderem fehle die angefragte Auflistung der betroffenen Friedhöfe nach Bundesländern.

Die Zahl von 237 geschändeten jüdischen Friedhöfen „löst bei mir ungläubiges Erschrecken aus“, sagte Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Montag begrüßte den Vorschlag, einen eigenen Bundesbeauftragten einzusetzen, will aber in einem „überfraktionellen Arbeitskreis“ über alle Ideen zur Bekämpfung des Antisemitismus sprechen.

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