zum Hauptinhalt

Anton Hofreiter: „Wir wollen auf Bundesebene mehr Optionen“

Der Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter äußert sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel über Schwarz-Grün und kritisiert den Stillstand in der Energiewende, den er von der großen Koalition erwartet. Sigmar Gabriel empfiehlt er, den Koalitionsvertrag wegzuschmeißen.

Von

Herr Hofreiter, beneiden Sie im Moment manchmal SPD-Chef Sigmar Gabriel?

Beneiden? Nein, überhaupt nicht. Aber er hat für die SPD in den Koalitionsverhandlungen einiges rausgeholt.

Die nächsten vier Jahre sind für die Energiewende entscheidend, und Sigmar Gabriel kann als Superminister und Vizekanzler über deren Schicksal bestimmen. Da sind Sie wirklich nicht neidisch?

Nein. Der Koalitionsvertrag sieht keine echte Energiewende vor, nur Stillstand. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien soll gebremst werden und die großen Kohlekraftwerke laufen weiter.

Die SPD hat gleich drei anerkannte Fachleute mit grünem Profil angeheuert, die als Staatssekretäre die Energiewende, die Umweltpolitik und den Verbraucherschutz gestalten sollen. Warum macht eine Partei das, die Sie als Kohle-SPD attackieren?

Ganz einfach: Weil sie offenbar nicht ausreichend fähiges eigenes Personal für diese Themen hat.

Ihre Leute in wichtigen Positionen, führt das zu Beißhemmungen?

Das führt hoffentlich dazu, dass eine bessere Politik dabei herauskommt. Aber natürlich ist ein Staatssekretär auch nur so frei, wie ein Minister das zulässt. Wenn Herr Gabriel eine vernünftige Energiewende hinbekommen will, muss er sich erst einmal gegen die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft durchsetzen und dann auch noch gegen CDU und CSU.

Halten Sie das für wahrscheinlich?

Ich halte es nicht für völlig unwahrscheinlich. Die Bundesregierung muss sich bei der Energiewende mit den Ländern einigen, und in sieben Bundesländern regieren die Grünen mit. Sollten Union und SPD ein Mindestinteresse daran haben, langfristig die Strompreise stabil zu halten und den Kohlendioxid-Ausstoß in Deutschland erheblich zu senken, müssen sie eine echte Energiewende einleiten. Wenn Herr Gabriel sich entscheidet, den verkorksten Koalitionsvertrag wegzuschmeißen und eine echte Energiewende zu machen, arbeiten wir gerne mit.

Haben Sie diese Woche bei der Vereidigung der Minister nicht manchmal gedacht: Da oben auf der Regierungsbank könnten nun auch Leute von uns sitzen?

Nein. Wir haben gründlich sondiert. Wenn die Union wirklich eine Koalition gewünscht hätte, wäre sie uns im Bereich der ökologischen Modernisierung ernsthaft entgegengekommen. Da war sie aber nicht kompromissbereit.

Das klingt nicht nach Bedauern, dass es mit Schwarz-Grün nicht geklappt hat?

Natürlich bedaure ich es, dass die Grünen nicht regieren. Aber Regieren ist kein Selbstzweck.

In Hessen hat’s geklappt, erstmals in einem Flächenland. Ein historischer Moment?

Ich würde das nicht so überhöhen. Aber es ist schön, dass wir in einem weiteren Land regieren. Die Grünen haben in Hessen sehr gut verhandelt. Beim Fluglärmschutz – und da kenne ich mich bis ins letzte Detail aus – haben sie wahnsinnig viel erreicht. Der Flughafen Frankfurt ist ja nicht irgendein Flughafen, sondern der größte in Deutschland. Da kann man Tarek Al-Wazir nur gratulieren. Als Wirtschaftsminister wird er außerdem zeigen, dass es nicht nur ein Spruch ist, wenn wir sagen: Mit grünen Ideen kann man schwarze Zahlen schreiben.

"Es gibt keine Testläufe"

In kaum einem Bundesland waren CDU und Grüne so weit auseinander. Hält die Koalition fünf Jahre durch?

Ich gehe davon aus, dass die Koalition fünf Jahre hält. CDU und Grüne haben ehrliche, kluge Kompromisse gefunden. Beide Seiten sind außerdem am Erfolg interessiert.

Ist Hessen ein Testlauf für den Bund?

Es gibt keine Testläufe. Wie sich die Lage im Bund gestaltet, wird sich 2017 zeigen. Wir wollen auf Bundesebene mehr Gestaltungsoptionen. Wenn es nach uns geht, gehört dazu Schwarz-Grün ebenso wie Rot-Rot-Grün.

Rechnen Sie damit, dass die Linkspartei bis dahin koalitionsfähig wird?

Die Linkspartei muss entscheiden, was sie will. Es gibt viele kluge und vernünftige Leute in Ost und West. Aber es gibt auch diejenigen, die keine Verbesserung der Lebensverhältnisse wollen, sondern der grotesken Verelendungstheorie anhängen: Je schlimmer die Verhältnisse, desto schneller kommt die Revolution. Es gibt außerdem Mitglieder der Partei mit einem ganz schwierigen Verhältnis zu Israel, zu Europa und zu internationalen Organisationen. Mit denen kann man keine Koalition schließen. Die vernünftigen Kräfte müssen sich überlegen, wie lange sie sich von diesen Gruppen noch in Geiselhaft nehmen lassen wollen.

Was haben sich die Grünen im Bundestag für die nächsten vier Jahre vorgenommen?

Wir werden eine schlagkräftige, aber konstruktive Arbeit machen. Die Opposition soll die Regierung kontrollieren, dazu braucht sie Rechte und Möglichkeiten. Das darf man nicht unterschätzen.

Grüne und Linke verhandeln mit SPD und Union über die Minderheitenrechte der Opposition. Was fordern Sie konkret?

Unsere Forderungen sind sehr simpel: Wir wollen die Rechte, die einer Opposition zustehen. Wir wollen selbstständig und ohne Hilfe der Koalitionsmehrheit einen Untersuchungsausschuss einrichten können. Das steht der Opposition unabhängig von ihrer Größe zu. Ebenso wie das Recht, Anhörungen in den Ausschüssen anzusetzen. Das sagen uns alle Verfassungsrechtler, die wir gefragt haben. Es gibt eine Ausnahme, das ist die Normenkontrollklage, also die Überprüfung von Gesetzen darauf, ob sie mit der Verfassung vereinbar sind. Hier gibt es Uneinigkeit unter den Juristen. Denn das Grundgesetz schreibt ausdrücklich vor, dass 25 Prozent der Abgeordneten nötig sind, um eine solche Klage in Gang zu setzen. Deshalb streiten sich hier zwei Schulen, ob dieser Wortlaut des Grundgesetzes an dieser Stelle nicht dem Willen des Grundgesetzes widerspricht, das eine starke Opposition schaffen wollte. Wenn sich Geist und Wortlaut des Grundgesetzes brechen, gilt der Geist des Grundgesetzes.

Grüne würden wegen Oppositionsrechten auch in Karlsruhe klagen

Und wenn die Koalition nicht einlenkt?

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder die Mehrheit von Union und SPD gesteht uns die Oppositionsrechte zu oder wir klagen in Karlsruhe dagegen, dass sie uns vorenthalten werden.

Wie wollen Sie die große Koalition inhaltlich stellen?

Wir werden Alternativen aufzeigen, wie man Deutschland besser regieren kann. Dabei steht für uns Grüne natürlich der Erhalt unserer Lebensgrundlagen im Mittelpunkt. Da bleibt der Koalitionsvertrag weit hinter dem Nötigen zurück, genau wie bei der Energiewende. Auch bei den Bürgerrechten werden wir der großen Koalition genau auf die Finger sehen. Nehmen Sie die Vorratsdatenspeicherung. Auch der Generalanwalt auf EU-Ebene hält diese für nicht vereinbar mit EU-Grundrechten. Das stärkt unsere ablehnende Haltung. Und wir werden die Koalition stellen, wenn sie Ungerechtigkeiten plant. Das Rentenpaket kostet zwölf Milliarden Euro, für Kinderbetreuung und Ganztagesschulen sind 1,5 Milliarden Euro vorgesehen, für die Bekämpfung von Kinderarmut gibt es keinen einzigen Euro zusätzlich – das passt doch nicht zusammen. Da fragt man sich, welchem Gerechtigkeitsbegriff sich die Damen und Herren in der großen Koalition verpflichtet fühlen.

Große Koalition für große Aufgaben, sagt die Kanzlerin.

Die Kanzlerin hat in einem recht: Auf unser Land kommen große Aufgaben zu. Aber der Koalitionsvertrag ist bestimmt nicht der Masterplan dafür, wie man diese großen Aufgaben löst. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Da steht doch allen Ernstes drin, der Bund bekennt sich zum Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg. Zum Bau bekennen sich viele. Es könnte sich auch mal jemand zur Fertigstellung dieses Projekts bekennen.

Union und SPD nutzen ihre Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und ihre Landesregierungen nicht, um die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern auf neue Beine zu stellen. Hätte die große Koalition das tun sollen?

Wenn man sich anschaut, was die letzte große Koalition für ein Chaos angerichtet hat mit ihrer Föderalismusreform, kann man fast schon froh sein, dass sie die Hände davon lässt. Ich denke an das Kooperationsverbot, an die Streichung der Möglichkeit, Kommunen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben zu helfen. Jetzt stellt sich heraus: Den Kommunen fehlt Geld, um ihre Infrastruktur zu unterhalten. Wir haben nicht genug Geld, um eine vernünftige Bildungspolitik zu machen. Eigentlich müsste man das dringend vernünftig ordnen. Deutschland operiert gegenwärtig mit komischen Hilfskonstruktionen, statt eine moderne Lösung aus einem Guss zu beschließen. Nur: Die Koalition will das offensichtlich nicht, und wenn sie es anpacken würde, fürchte ich, käme nichts Gutes dabei heraus.

Zur Person

Anton „Toni“ Hofreiter wurde am 2. Februar 1970 in München geboren. Hofreiter ist Biologe und hat am Institut für Systematische Botanik der Ludwig-Maximilians-Universität 2003 promoviert: über die Pflanzengattung Bomarea.

Schon als Schüler kam Hofreiter zu den Grünen. Seit 2005 ist er Bundestagsabgeordneter und hat sich als Verkehrspolitiker einen Namen gemacht. Von 2011 bis 2013 war er Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses und als solcher war er auch stets scharfer Kritiker der BER-Gesellschafter. Seit wenigen Wochen ist er zusammen mit Katrin Göring-Eckardt Fraktionsvorsitzender der Grünen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false