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Politik: „Anwalt der vergessenen Mitte“

Beim Dreikönigstreffen schwört FDP-Chef Westerwelle seine Partei auf die Rolle der Kontrolleure ein

Von Antje Sirleschtov

Man kennt das Phänomen aus der langen Historie militärischer Auseinandersetzungen: In kriegerischen Zeiten können die Truppenführer glanzvoll ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. Sie stehen an vorderster Front, bestimmen die Kampflosungen und führen die Reihen hinter sich geschlossen in die Auseinandersetzung mit dem Gegner. Doch was tun die Helden der Schlacht, wenn der Pulverdampf verzogen ist?

Das politische Jahr 2007 ist eine solche Zeit, und Guido Westerwelle stellt sich beim alljährlichen Dreikönigstreffen seiner Partei in Stuttgart die Sinnfrage. Drei Wahlkämpfe hat der FDP-Chef hinter sich, dreimal konnte er die Schlag- und Überzeugungskraft seiner Partei unter Beweis stellen, zweistellig glänzen die Liberalen in Umfragen, und die Rolle des Oppositionsführers unter der großen Koalition macht Westerwelle niemand streitig. Der nächste Wahlkampf – und damit die Gelegenheit zum direkten Kampf mit den politischen Gegnern – liegt allerdings noch mehr als 12 Monate entfernt.

Dennoch: „Opposition ist nicht Mist“, fordert der FDP-Chef die Liberalen in Stuttgart zum Durchhalten auf. Auch in Zeiten, in denen die Kanzlerin und ihre Regierung auf den Medienbühnen der Welt nun monatelang den Glanz von europäischer Ratspräsidentschaft und G-8-Vorsitz zelebrieren werden. Jetzt komme es darauf an, die „Kontrollfunktion“ einer Oppositionspartei wie der FDP wahrzunehmen, „klug, richtig und konstruktiv“, wie er sagt. Gleichsam den alten Herren hoch oben auf der rotsamtenen Balustrade in der Muppet-Show, die zwar keinen Einfluss auf das Geschehen da unten auf der Bühne haben, aber dennoch mit ihren bissigen Kommentaren und zuweilen auch mit krachenden Böllern fest zum Spielplan gehören.

Jetzt, da beide große Koalitionsparteien mühsam um die Deutungshoheit der Sozialpartei ringen, versucht es auch Westerwelle, seine Partei von dem ihr noch immer anhaftenden Image der neoliberalen Kälte zu befreien. Mit dem überraschend eingeführten Begriff des „Neosozialen“ erlitt er damit jedoch schon vor gut zwölf Monaten Schiffbruch. In der Öffentlichkeit verfing sich die Kombination des eloquenten Westerwelle mit dem Sozialen nicht, den liberalen Führungsgremien passte allein das Wort „neosozial“ nicht, das Thema schaffte es noch nicht einmal in den politischen Frühling 2006.

Beim zweiten Versuch in Stuttgart verzichtet der FDP-Chef bewusst auf die ungeliebte Vorsilbe „neo“. Dafür bezieht er sich in der Erklärung darüber, warum die FDP die wahre Sozialstaatspartei in Deutschland sei, ganz bewusst auf die aktuellen Auseinandersetzungen innerhalb der SPD. Deren Vorsitzender Kurt Beck hatte das Augenmerk der Genossen auf die Leistungsträger der Gesellschaft gelenkt und die Existenz von Unterschichten in die öffentliche Debatte eingeführt. Westerwelle betont nun die Bedeutung der Leistung tragenden „Mitte“ für die Funktionsfähigkeit des sozialen Staates, in dem nur die Starken den Schwachen helfen können. „Wir wollen der Anwalt der vergessenen Mitte sein“, sagt er und verweist darauf, dass liberale Forderungen nach Steuersenkungen und Arbeitsmarktreformen im Kern der Stärkung der Leistungsträger dienten und daher „die beste Sozialpolitik“ seien. Nicht die gute Absicht von Sozialpolitik sei entscheidend für deren Funktionsfähigkeit, sondern die Ergebnisse. Und noch eine Auseinandersetzung mit der Realität von Kurt Beck: Der Hartz-IV-Empfänger, dem Beck unlängst einen Job vermitteln wollte, habe sein Recht auf staatliche Leistungen verwirkt, weil er das Angebot nicht annahm. „Für solche Leute wollen wir keinen Steuereuro ausgeben.“ „Sozial“ sei im liberalen Sinn keine Frage der staatlichen Umverteilung, sondern eine gesellschaftliche Kategorie, in der Freiheit und Verantwortung eine Rolle spielen. Letztere, so ein Seitenhieb Westerwelles auf das Verhalten einiger Industriemanager, sei auch eine Pflicht der Wirtschaft. Wer seine Gehälter drastisch anhebe und gleichzeitig Arbeitsplätze abschaffe, „verleumdet die soziale Marktwirtschaft“.

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