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Klärungsbedarf. Der Facebook-Eintrag des SPD-Vorsitzenden hatte Wut und hunderte Nachfragen zur Folge.

© dpa

Apartheid-Vergleich: Was drei Sätze anrichten können

Nach dem Wirbel um seinen Aparheid-Vergleich im Netz versucht der SPD-Chef, die Wogen zu glätten. Um die Populismus-Vorwürfe zu entkräften, ist jetzt viel Diplomatie gefragt.

Von Robert Birnbaum

Facebook, Twitter und ihre digitalen Anverwandten haben einen großen Vorteil: Sie sind schneller als altmodische Verbreitungstechniken wie das brave alte Fax. Für Menschen mit der Neigung zu spontanen Einfällen kann das allerdings gefährlich werden. Für Sigmar Gabriel zum Beispiel. Der SPD-Chef, auf Besuch im Nahen Osten, hat in seinem digitalen Tagebuch seine Eindrücke nach einem Vormittag in Hebron festgehalten. Gabriel hat dafür einen brisanten Vergleich gewählt: „Apartheid-Regime“. Seither tobt nicht nur auf dem Blog des Parteivorsitzenden eine Debatte mit tausenden von Beiträgen. Gabriel sieht sich auch in der nicht-virtuellen Welt dem Vorwurf ausgesetzt, er habe sich nicht wie ein Freund Israels verhalten.

Der inkriminierte Beitrag vom Donnerstag umfasst nur drei Sätze: „Ich war gerade in Hebron“, schreibt Gabriel. „Das ist für Palästinenser ein rechtsfreier Raum. Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt.“ Binnen kürzester Zeit prasselten hunderte Kommentare auf der vom Willy-Brandt-Haus betreuten Internetseite ein. Viele waren kritisch bis entsetzt, andere auf eine Weise beifällig, dass sie dem Sozialdemokraten erst recht nicht lieb sein konnten: „Endlich mal jemand, der die Wahrheit schreibt“, freut sich einer.

Das Echo alarmierte Gabriels Mitarbeiter. Zwei Stunden nach dem ersten Eintrag folgte eine längere Erläuterung, in der der Vorsitzende versicherte, ein „Freund Israels“ zu sein, „um mal diesen pathetischen Begriff zu wählen“, allerdings: „Wir tun weder uns noch unseren Freunden in Israel einen Gefallen, wenn wir unsere Kritik immer nur in diplomatischen Floskeln verstecken.“ Er halte Israels Siedlungspolitik für falsch und die Verhältnisse in Hebron für unwürdig. Israel habe das Recht, seine Existenz zu schützen, „und gerade wir Deutsche haben jeden Grund, das zu unterstützen“ – aber, so das Fazit, das dürfe nicht dazu führen, Israels Fehler nicht zu kritisieren.

Das Wort „Apartheid“ fiel in dieser Antwort nicht. Sie löste weitere hunderte Kommentare aus, die bald zu tausenden anschwollen. Es folgte der zweite, schon defensivere Nachklapp des SPD-Chefs: „Wenn meine Formulierung zu Missverständnissen geführt hat, ich wollte Israel und seine Regierung mit dem alten Apartheidregime in Südafrika gleichsetzen, tut mir das leid.“ Aber: „Der drastische Begriff ist das, was mir und nicht nur mir, bei den Gesprächen und Besichtigungen in Hebron eingefallen ist.“

Worum geht es im Nahost-Konflikt? Eine Chronik der Ereignisse:

Nun sind die Zustände in Hebron, etwa 30 Kilometer südlich von Jerusalem, kein Idyll. Eine Zone entlang der Hauptstraße ist für Palästinenser gesperrt, militante israelische Siedler provozieren Konflikte. Das haben auch israelische Politiker schon kritisiert. Das Problem liegt im Wort „Apartheid“. Ob er noch nie von der „Israel Apartheid Week“ gehört habe, fragt ein Diskutant in Gabriels Blog. Der Veranstaltung, die seit einem Auftakt 2005 an der Universität im kanadischen Toronto jedes Jahr an vielen Orten stattfindet, wird von Kritikern vorgehalten, dass sie Antisemiten ein Forum biete.

Am Freitag meldete sich in Brüssel der Jüdische Weltkongress (WJC) zu Wort. WJC-Vize Maram Stern ging hart mit Gabriel ins Gericht: eine „diplomatische Granate“ habe der SPD-Chef abgefeuert und nicht nur „erheblichen Flurschaden“ angerichtet, sondern auch gezeigt, wie schlecht er außenpolitisch beraten sei. Doch Stern ging in Brüssel noch deutlich weiter: Es sei unter Sozialdemokraten in Europa generell populär, sich mit Attacken auf den jüdischen Staat zu profilieren. Auch SPD-Chef Gabriel habe die Palästinenser für jede „unbedeutende Selbstverständlichkeit“ gelobt, im Gegenzug aber nicht mit „demonstrativer Kritik an Israel“ gespart. „Staatsmänner verhalten sich anders“, resümierte Stern. „Freunde auch.“ Verglichen damit hält sich die Kritik in Deutschland sogar in Grenzen. „Gabriel liegt aus meiner Sicht absolut falsch“, sagt der CDU-Außenpolitiker Philipp Mißfelder. „Dieser emotionale Ausbruch ist ein großer außenpolitischer Fehler.“

Dem dürfte der SPD-Chef selbst nicht widersprechen. Am Mittag erschien ein knappes Kommuniqué. Es teilt mit, dass Gabriel mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, telefoniert und ein Treffen zwecks Ausräumung entstandener Missverständnisse vereinbart habe; auch mit Israels neuem Botschafter wolle er sich bald treffen. Der Facebook-Eintrag zog weitere hunderte Kommentare nach sich.

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