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Politik: Arme Kinder sind häufiger krank – und bleiben ohne Hilfe

Berlin - Sie nennen sie die „vergessenen Kinder“. Minderjährige aus armen Familien, so die Diagnose von Deutschlands Kinder- und Jugendärzten, haben weit häufiger Bauch- und Kopfschmerzen, Entwicklungsstörungen, Depressionen und Suizidgedanken als ihre sozial besser gestellten Altersgenossen.

Berlin - Sie nennen sie die „vergessenen Kinder“. Minderjährige aus armen Familien, so die Diagnose von Deutschlands Kinder- und Jugendärzten, haben weit häufiger Bauch- und Kopfschmerzen, Entwicklungsstörungen, Depressionen und Suizidgedanken als ihre sozial besser gestellten Altersgenossen. Armut und Krankheitshäufigkeit seien bei Heranwachsenden „eng miteinander verknüpft“, sagte Verbandspräsident Wolfram Hartmann zum Kinder- und Jugendärztetag in Berlin. Das Gesundheitswesen aber sei darauf nicht nur schlecht eingerichtet. Kinder aus Randgruppen seien längst medizinisch „unterversorgt“.

Laut Hartmann liegt das auch daran, dass sich immer weniger Kinderärzte in Vierteln mit hohem Arbeitslosen- und Migrantenanteil niederlassen – weil sie zunehmend auf Privatpatienten angewiesen seien und von den Einnahmen durch gesetzlich Versicherte nicht mehr leben könnten. Hinzu komme eine „Zweiklassenmedizin“ in den Praxen. So müssten Kassenpatienten die Kosten für nicht verschreibungspflichtige Arznei, etwa zur Behandlung von Hautallergien, für Jugendliche ab 13 selber aufbringen – was sie oft nicht könnten. Und während privat Versicherte vom vollendeten zweiten bis zum 14. Lebensjahr einen Anspruch auf jährliche Vorsorgeuntersuchungen hätten, fehle dieser bei gesetzlich Versicherten zwischen sechs und zehn Jahren.

Auch der jetzt erfolgte und gefeierte Lückenschluss durch die sogenannte U7a für Kinder zwischen zwei und vier Jahren, sei eine Enttäuschung. Es handle sich dabei um ein „reines Krankheitsfrüherkennungsprogramm“, klagte der Verbandschef. „Die gesamte Problematik von Entwicklungsstörungen, psychischen Problemen und Kindesmisshandlungen ist nicht enthalten.“ Bei Misshandlungsverdacht müsse den Kinderärzten zudem endlich die „Fessel ärztlicher Schweigepflicht“ gelockert werden. Bisher dürften sie ohne Elternerlaubnis keine Information aus Kindergarten oder Schule einholen – was dem postulierten Kinderschutz alles andere als förderlich sei. Rainer Woratschka

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