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Politik: Arme Kinder

In Deutschland mehr als 2,5 Millionen Minderjährige auf Sozialhilfeniveau – das zeigen neue Zahlen

Berlin - Mehr als 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland leben nach Angaben des Kinderschutzbundes auf Sozialhilfeniveau. Von den insgesamt rund 15 Millionen Minderjährigen ist damit jeder Sechste von Armut betroffen. „Das ist eine erschreckende Zahl, die weit höher ist, als wir befürchtet haben“, sagt der Präsident der Organisation, Heinz Hilgers. Die neuen Zahlen stammen unter anderem aus einer aktuellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) über so genannte „Bedarfsgemeinschaften“, Bezieher von Arbeitslosengeld II. In der BA-Erhebung für Juni 2006 war bei den Familien von Langzeitarbeitslosen erstmals auch die Zahl der Jugendlichen zwischen 15 und 18 Jahren aufgeführt, die in die Berechnung des Kinderschutzbundes einfloss. Bislang hatte der Kinderschutzbund die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die vom Existenzminimum leben, auf rund 2,2 Millionen geschätzt. Nach Angaben der Organisation hat sich die Zahl der armen Kinder in Deutschland seit 2004 mehr als verdoppelt.

„Der dramatische Anstieg ist nicht allein auf die Zusammenlegung von Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe zurückzuführen“, sagte Kinderschutzbundpräsident Hilgers. Auch die anhaltende Langzeitarbeitslosigkeit habe viele Menschen arm gemacht. Besonders junge Familien seien immer stärker vom Verlust des Arbeitsplatzes und daraus resultierender Armut betroffen. Nach Hilgers Definition gilt als „arm“, wer seinen Lebensunterhalt durch Hartz-IV-Bezüge bestreitet. Die finanzielle Situation der Kinder habe sich durch die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe verschlechtert, sagt Hilgers, da Zuschüsse etwa für Kleidung oder Schulbedarf weggefallen seien. „Jetzt gibt es Pauschalbeträge, die dem tatsächlichen Bedarf einfach nicht gerecht werden“, sagte der Kinderschutzbundpräsident. Die negativen Folgen der Kinderarmut wie ungleiche Bildungschancen und schlechtere gesundheitliche Versorgung seien seit längerem bekannt. Um die Situation zu verbessern, forderte Hilgers eine gesetzliche Grundsicherung für Kinder. „Sie sollten unabhängig von der Erwerbsbiografie der Eltern eine eigene Zukunft haben.“

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) zeigte sich angesichts der aktuellen Statistik besorgt. „Die Zahlen müssen uns aufschrecken“, sagte die Ministerin. „Kinder leben in Armut, weil ihre Eltern keine Arbeit haben“, so die CDU-Politikerin. „Es muss eine gemeinsame Kraftanstrengung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sein, alles dafür zu tun, dass Väter und Mütter arbeiten können und so ihr Einkommen verdienen.“

Bei der SPD-Bundestagsfraktion sieht man in Sachen Kinderarmut in nächster Zukunft vor allem beim so genannten „Hartz-IV-Optimierungsgesetz“ Handlungsbedarf, über das im Herbst beraten werden soll. „Wir müssen den Kinderzuschlag für Hartz-IV-Empfänger flexibler gestalten“, sagte Christel Humme, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Durch die Flexibilisierung sollen mehr Familien den Kinderzuschlag erhalten. Auch müsse die finanzielle Situation Alleinerziehender und ihrer Kinder dringend verbessert werden. Eine Grundsicherung, wie sie Kinderschutzpräsident Hilger fordert, kommt nach Einschätzung der SPD-Politikerin nicht in Frage: „Das ist nicht finanzierbar.“ Ekin Deligöz, kinder- und familienpolitische Sprecherin der Grünen, will die wachsende Kinderarmut beispielsweise durch kostenlose Kita-Plätze für Hartz-Empfänger bekämpfen: „Geld allein reicht nicht.“

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