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Armutsbericht: Sozialverbände fordern mehr Umverteilung

Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich gefährdet den sozialen Frieden und die Demokratie, sagen die Sozialverbände. Sie warnen vor eine Aushöhlung des Sozialstaates.

Berlin - Die Sozialverbände sehen die Republik „am Scheideweg“ und sich durch den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht nur bestätigt: Der „tief greifende Um- und Abbau des Sozialstaats“ in den vergangenen Jahren macht aus der Sicht der beiden großen Sozialverbände SoVD und Volkssolidarität einen „neuen gesellschaftlichen Grundkonsens“ nötig. Um den zu befördern und den Sozialstaat wieder zu stärken, wollen sie nun gemeinsam und rechtzeitig vor der Bundestagswahl „mobilisieren, was zu mobilisieren geht“, wie ihre Präsidenten in Berlin ankündigten.

Der Sozialstaat sei „kein Ballast, sondern eine unverzichtbare Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik“, betonte SoVD-Präsident Adolf Bauer. Die zunehmende Privatisierung sozialer Risiken sei „ein Irrweg“ und müsse „ein Ende haben“. Nötig sei neben mehr Verteilungsgerechtigkeit auch eine gerechtere Lastenverteilung. So sei es „eine grundlegende Fehlkonstruktion“, dass sich ausgerechnet die Reichen aus den sozialen Sicherungssystemen ausklinken könnten.

Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich gefährde sozialen Frieden und Demokratie, warnte der Präsident der Volkssolidarität, Gunnar Winkler. Einzelforderungen etwa nach Mindestlöhnen, höherem Kindergeld oder Reformen in der Krankenversicherung reichten nicht. Es brauche den großen Wurf gegen die „Schwindsucht sozialer Infrastrukturen“.

Niemals zuvor, so analysierten die Kölner Sozialwissenschaftler Christoph Butterwegge und Carolin Reißland, habe sich die Sozialpolitik der Republik „ähnlich drastisch verändert wie nach 1989/90“ Immer stärker habe man die sozialen Sicherungssysteme seither „Marktzwängen und Konkurrenzgesetzen unterworfen“. Die Reformpolitik der Regierung habe zur gesellschaftlichen Spaltung beigetragen. Der Gerechtigkeitsbegriff sei erodiert, und die demografische Entwicklung werde „zur Rechtfertigung sozialer Ungleichheit missbraucht, während der gesamtgesellschaftliche Reichtum wächst“. Inzwischen gehe es um eine „Richtungsentscheidung, in welcher Gesellschaft wir leben wollen“, sagte Butterwegge. „Soll es ein Fürsorge-, Almosen- und Suppenküchenstaat mit noch mehr Armut und sozialen Problemen sein oder eine solidarische Bürgergesellschaft sein?“

Die Antwort der Verbände mit ihren 850 000 Mitgliedern ist klar: „zukunftsgerichtete Reformen, die dauerhaft soziale Sicherheit und Verteilungsgerechtigkeit gewährleisten“. Statt die Solidargemeinschaft weiter schrumpfen und nur die immer weniger werdenden Normalverdiener den sozialen Ausgleich schultern zu lassen, müssten endlich alle in Kranken- und Rentenversicherung einbezogen werden. Die Schlagworte dafür: Bürger- und Erwerbstätigenversicherung. Auch die Beitragsbemessungsgrenzen müssten fallen, forderte Butterwegge. Es sei „nicht einzusehen, dass Solidarität dort endet, wo sie Spaß zu machen beginnt“. In der Schweiz etwa zahlten alle nach ihrem Vermögen in die Rentenversicherung, ohne daraus höhere Ansprüche ableiten zu können – „und die Schweiz ist ja nicht gerade kommunistisch“. Rainer Woratschka

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