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Heftiger Streit. Bei der Frage, ob künftig auch Arzneiversuche an Demenzkranken möglich sein sollen, von denen diese nicht profitieren, scheiden sich im Bundestag die Geister.

© picture alliance / dpa

Arzneiversuche an Dementen: Abgeordnete beklagen Tricksereien

Um Arzneitests an Demenzkranken zu ermöglichen, werden bisherige Regeln außer Kraft gesetzt. Für die Anhörung im Ausschuss dürfen die Befürworter plötzlich doppelt so viele Experten benennen wie die Gegner.

Im Streit um Arzneitests an Demenzkranken ist Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vorgeworfen worden, er habe klammheimlich Fakten schaffen wollen. Nun empören sich die Gegner der Gesetzesänderung erneut über „Verfahrenstricks“, mit denen sein umstrittenes Vorhaben befördert werden solle. Er habe, sagte der CDU-Politiker Hubert Hüppe dem Tagesspiegel, in seiner gesamten Zeit im Bundestag „noch nie erlebt, dass derart gegen parlamentarische Prinzipien verstoßen wurde“. Und Hüppe sitzt immerhin mit kurzer Unterbrechung seit einem Vierteljahrhundert im Parlament.

Forschungsgegner erzwingen neue Expertenanhörung

Was ist passiert? Der Gesundheitsausschuss hat am Mittwoch auf Drängen der Gröhe-Kontrahenten eine neuerliche Expertenanhörung zum Thema Medikamententests erzwungen – nachdem die erste im Mai dieses Jahres so knapp bemessen war, dass die Abgeordneten trotz des heiklen Themas kaum Zeit zum Nachfragen hatten. Bei der nun vereinbarten Wiederholungsrunde am 19. Oktober soll es zwei Stunden lang um die Änderungsanträge zu Gröhes Gesetzesvorhaben gehen.

Davon gibt es derzeit drei. Einen, der klinische Studien an nicht einwilligungsfähigen Patienten wie bisher verboten haben will, sofern diese den Probanden nicht nützen. Und zwei weitere, die auf Gröhes Linie sind und unter bestimmten Bedingungen auch gruppennützige Forschung an Dementen erlauben wollen.

Den ersten Antrag – getragen von den Abgeordneten Ulla Schmidt (SPD), Uwe Schummer (CDU) Kordula Schulz-Asche (Grüne) und Kathrin Vogler (Linke) – haben dem Vernehmen nach bereits knapp 180 Abgeordnete unterschrieben. Die anderen beiden Anträge, die sehr nahe an Gröhes Entwurf sind, kommen – initiiert von den SPD-Politikern Karl Lauterbach und Hilde Mattheis – nur auf 70 beziehungsweise 60 Unterzeichner. Sie sehen beide unter Bedingungen auch die Erlaubnis für fremdnützige Forschung an Demenzkranken vor. Einziger Unterschied: Der Lauterbach-Antrag verlangt für die notwendige Einverständniserklärung des Probanden in noch klarem Geisteszustand eine ärztliche Beratung, der Mattheis-Antrag nicht.

Bisher galt: Wer mehr Unterstützung hat, darf auch mehr Fachleute benennen

Bislang war es bei fraktionsübergreifenden Gruppeninitiativen Usus, dass die Rede- und Fragezeiten sowie die Anzahl der geladenen Sachverständigen von der Zahl der Unterstützer abhängig gemacht werden. Wer mehr Abgeordnete zusammenbekommt, darf mehr Experten laden und diese länger in seinem Sinne reden lassen.

Dieses eherne Prinzip – beim Thema Suizidbeihilfe noch peinlich genau beachtet – wurde am Mittwoch im Ausschuss per Kampfabstimmung ausgehebelt. Das Ergebnis: Der Gruppe, die mehr Unterstützung erfährt als beide anderen zusammen, wird nur ein Drittel der Fragezeit und der Sachverständigen zugestanden. Dadurch hätten es die Befürworter der Arzneitests leichter, so die Sorge der Gegner, letzte noch unentschiedene Abgeordnete auf ihre Seite zu ziehen.

Grüne kritisieren "unwürdige Spielchen"

Entsprechend aufgebracht sind die Forschungsgegner. Die beschlossene Vorgehensweise widerspreche „sämtlichen Gepflogenheiten, wie bisher im Bundestag mit ethischen Fragen umgegangen wurde“, sagt die Grünen-Abgeordnete Kordula Schulz-Asche.

Akteure der Koalition versuchten, den Änderungsantrag „mit Verfahrenstricks klein zu halten“ – obwohl viele der Koalitionsabgeordneten selbst nicht glücklich mit der geplanten Zulassung fremdnütziger Forschung seien. „Solche Spielchen sind der parlamentarischen Debatte einer wichtigen ethischen Frage nicht würdig.“

Spätabends im Parlament

Das Verfahren im Ausschuss passt aber zum bisherigen Vorgehen der Forschungsbefürworter. So war die Erlaubnis für fremdnützige Studien an Dementen plötzlich und unkommuniziert im Kabinettsentwurf des Gesundheitsministeriums aufgetaucht, nachdem in Gröhes Referentenentwurf davon noch keine Rede gewesen war. Und die erste Bundestagslesung des heiklen Gesetzes fand am späten Abend statt, die wenigen Reden wurden nur zu Protokoll gegeben.

Der Versuch des Ministers, die hochsensible Änderung dann auch spätabends beschließen zu lassen, wurde aufgrund von Abgeordnetenprotesten jedoch gekippt. In der zweiten Novemberwoche wird darüber im Parlament nun ausgiebig und ohne Fraktionszwang diskutiert .

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