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Wie lange noch? Szenen wie diese am Flughafen Tegel spielen sich am Tag zwei nach der Wolke an nahezu allen Airports Mitteleuropas ab. Foto: Engler

© Fotoagentur-Engler

Aschewolke aus Island: Bus nach Anhalt statt Flieger nach Athen

Reisen in flugfreien Zeiten: Viele suchen neue Wege, die meisten bleiben gelassen, einige sind gar begeistert.

Als ruhigster Platz im ganzen Flughafengebäude erweist sich die Besucherplattform: Niemand gönnt sich am Freitagmittag den Blick auf das Rollfeld mit den zwangsweise am Boden gebliebenen Maschinen. Im Inneren des Flughafens Tegel reichen die Sitzgelegenheiten längst nicht mehr: Wer auf Koffern sitzen oder am Boden kampieren kann, hat noch Glück.

Tausende Reisende wissen nicht wohin oder hoffen – zunächst war ja nur von einer Schließung des Airports bis zwölf Uhr mittags die Rede – doch noch starten zu können. Doch auf der Anzeigetafel werden immer mehr Starts und Landungen als „annulliert“ markiert. „15 Uhr nach Wien ist noch nicht gestrichen“, sagt eine Frau zu ihrer Begleiterin – auch diese Hoffnung erweist sich bald als trügerisch.

Die Schlange an den Lufthansa-Ticketschaltern reicht gegen zehn Uhr vormittags schon bis zum übernächsten Flugsteig. Alexander Schröter will mit Familie und Freunden für 16 Tage nach Miami, hatte bereits am Donnerstag vorsorglich von British Airways via London auf Austrian Airlines via Wien umgebucht – doch auch der Zubringerflug wurde gestrichen. Frau und Kind hat er nach Hause geschickt, er will jetzt wissen, wie es weiter geht. Das Pärchen aus Japan fand Berlin toll, muss jetzt aber zurück nach Tokio. Doch ob er Montag wieder arbeiten kann? Die „Jugend in Aktion“ in Bosnien wird ohne deutsche Jugendliche auskommen müssen – höhere Gewalt. Für Renate Zscherlich aus Berlin ist die Deutschlehrer-Tagung, die um 16 Uhr in Thessaloniki beginnt, ebenfalls gelaufen. Sie klagt, dass die Lufthansa zum mehrstündigen Schlangestehen nicht mal einen Becher Wasser spendiert. Wenig später organisieren Mitarbeiter der Abfertigungsgesellschaft GlobeGround zwei Getränkewagen aus einem Flugzeug und versorgen die Wartenden. Vor der großen Tafel, die heute nur gestrichene Flüge anzeigt, begrüßen sich Anhänger von Alba Berlin in Fankleidung mit Schlachtrufen: 400 wollten auf verschiedenen Flugrouten zum Eurocupspiel der Basketballer am Samstag im spanischen Vitoria. Jetzt werden die Sportler ohne ihre Unterstützung antreten müssen. Sie waren schon am Donnerstag geflogen.

Zurück in den Bus nach Anhalt statt in den Flieger nach Athen steigen auch 24 Teilnehmer einer von zwei Kirchengemeinden organisierten Reise: Nach eineinhalbjähriger Vorbereitung wollte man eine Woche lang auf den Spuren des Apostel Paulus wandern. Nun endet der Trip nach Griechenland in Tegel. „Besser hier, als wenn wir gestartet und in die Aschewolke geraten wären“, tröstet sich eine. 24 Jungen und Mädchen der französischen Partnerschule des Reinickendorfer Romain-Rolland-Gymnasiums beschert die Aschewolke dagegen eine ungeplante Reiseverlängerung: „Jetzt fahren wir zurück zu den Gasteltern.“

Auch auf den Bänken und Böden des Flughafens Schönefeld werden am späten Vormittag die Plätze rar. Bei Easyjet schlagen jugendliche Italiener und Spanier ihr Quartier auf dem kalten Boden auf, versuchen zu schlafen, spielen mit ihren Handys oder Karten. Seit 5 Uhr in der Frühe sind sie hier; mittags hofft der Reiseleiter noch „auf einen Heimflug nach Rom am späten Abend“, sagte er. Auch 30 Dresdener wollten um kurz nach 12 nach Rom abheben. „Wir werden jetzt mit dem Bus nach Italien fahren. Der Busfahrer, der schon auf dem Rückweg war, ist hoffentlich gleich wieder hier“, erzählen sie.

Von Hektik oder gar Panik kann hier keine Rede sein: Die Angestellten von Airports und Airlines geben Auskunft – wenn auch manchmal in etwas unverständlichem Englisch. Erstaunlich nur, wie viele Reisende noch gar nichts von den Turbulenzen gehört haben: Jetzt stehen sie hilflos und verwirrt vor den TV- Schirmen und verfolgen die Nachrichten.

Um den Passagieren Umbuchungen zu erleichtern, gibt Easyjet die Computer der Abfertigungsschalter frei. So sitzen plötzlich statt der Angestellten die Touristen hinterm Tresen und rufen dort die Internetseite des Veranstalters auf; dass sie selbst etwas tun können, trägt entscheidend mit zur Entspannung bei.

Berliner Hotels ergreifen am Mittag die Chance auf zusätzliche Gäste: Sie schicken Angestellte in die Flughäfen, um Übernachtungen anzubieten. Man kann gleich in einen Shuttlebus einsteigen. Das Eurohotel Berlin Airport wirbt mit einem Sonderpreis von 45 Euro pro Zimmer – Frühstück für 12 Euro extra. Die gestrandeten Touristen sind froh über solche Angebote.

„Völlig ausgebucht“ sind dagegen die Autovermieter schon kurz nachdem die Flughafensperrungen spruchreif sind. Am Wochenende seien Autos ohnehin gut nachgefragt, aber durch die Flugausfälle stünden nun gar keine Fahrzeuge mehr zur Verfügung, heißt es überall: Bei Europcar, Hertz, Avis und Sixt schüttelt das Schalterpersonal nur noch die Köpfe, in den Garagen scheitern Bestechungsversuche. Sixt will sich bemühen, noch Fahrzeuge zu beschaffen – die aber dürfen nur ins Ausland gesteuert werden, wenn sie eigenhändig auch wieder nach Deutschland zurückgebracht würden; das hilft kaum jemandem weiter.

Vor große Schwierigkeiten stellt die Deutsche Bahn Umsteigewillige: „Wir versuchen telefonisch eine Zugverbindung nach Süddeutschland zu erfragen – keine Chance!“, klagt ein Student auf dem Weg nach München. Er muss sich dazu erst zu Fuß auf den Weg zum Bahnhof machen.

„Heute ist unverschämt viel los“, sagt ein Bahn-Mitarbeiter im Hauptbahnhof. Schon um sechs Uhr morgens standen viele Menschen vor den Glastüren des Reisezentrums im ersten Stock. Die Warteschlangen reichen am Abend zeitweise bis zu den Rolltreppen in der Mitte des Gebäudes. Auch die Schweizerinnen Tamara Wältli und Michelle Willen rücken nur zentimeterweise zu den Schaltern vor, um Fahrkarten zu kaufen. Eigentlich wollten die beiden 20-Jährigen Touristinnen von Schönefeld nach Basel fliegen. „Jetzt wollen wir einfach irgendwann die nächste Verbindung in die Schweiz“, sagen sie. Über Nacht bleiben wollen sie eigentlich nicht. Trotz der bevorstehenden zehnstündigen Zugfahrt sind sie ziemlich gelassen.

Der 21-jährige Bundeswehrsoldat Clemens ein paar Meter hinter ihnen will wie immer mit der Bahn ins heimische Hamburg – aber er hat noch kein Ticket; zwei Züge sind schon abgefahren. Zwei Norwegerinnen wollen in die italienische Region Piemont – oder wenigstens erstmal nach München. Ursprünglich wollten sie von Oslo nach Italien fliegen, wegen der Flughafensperrungen haben, jetzt sind sie sich mit Bus und Bahn durch ganz Europa unterwegs: „Ein super Trip“, sagen sie lachend. Neben ihnen guckt eine französische Reisegruppe erleichtert, als ihr Reiseleiter mit Fahrkarten in der Hand winkt.

An den Gleisen werden ankommende Züge von Hunderten erwartet, andere Bahnen verlassen Berlin nur mäßig gefüllt. Kaum können die einen Berlin endlich verlassen, spuckt der Nahverkehr die nächsten am Bahnhof aus, lässt sie mit fragendem Blick umher irren.

Die Gastronomie jedenfalls profitiert vom Chaos: Vor Bäckereien und Cafés stehen lange Schlangen. „Es ist viel voller als sonst, die Leute konsumieren mehr“, berichtet eine Verkäuferin – und wendet sich sofort ab, um die nächsten zu bedienen.

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