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Politik: Assads Faustpfand

Ein Großteil der syrischen Chemiewaffenbestände soll sich immer noch im Land befinden.

Berlin - Wenn an diesem Freitag die erste Runde der Genfer Gespräche zur Lösung der Syrienkrise endet, herrscht bei den Diplomaten vor allem eines vor: Erleichterung. Substanzielle Fortschritte oder gar konkrete Ergebnisse gibt es nicht zu vermelden. Aber die Bürgerkriegsparteien haben die Verhandlungen zumindest nicht abgebrochen.

Doch während es in der Schweiz ein klein wenig voranzugehen scheint, ist in Syrien selbst die Umsetzung einer wichtigen Forderung des Westens offenbar erheblich in Verzug geraten: die Sicherung und Vernichtung der hochgiftigen Kampfstoffe. Die Kontrollbehörde für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) bestätigte nach Angaben der Deutschen Presseagentur am Donnerstag, dass das Regime noch über mehr als 95 Prozent seines Arsenals verfügt. Ein Sprecher der UN-Behörde wollte dies auf Nachfrage des Tagesspiegels weder bestätigen noch dementieren. Man äußere sich grundsätzlich nicht zu Medienberichten, hieß es.

Im August 2013 hatte der Einsatz von Giftgas in der Umgebung von Damaskus hunderte Menschen das Leben gekostet. Um einem möglichen Militärschlag der Vereinigten Staaten zu entgehen, hatte die syrische Regierung schließlich zugestimmt, die von ihr benannten Giftgasbestände außer Landes zu bringen und zerstören zu lassen. Bis Juni sollen die offiziellen Bestände von insgesamt 1300 Tonnen vernichtet werden. So sieht es eine Resolution des UN-Sicherheitsrats vor. Aber der Zeitplan wird kaum einzuhalten sein. Im Januar wurden laut Berichten von US-Medien lediglich zwei Ladungen mit rund 32 Tonnen der gefährlichen Kampfstoffe Sarin und Senfgas aus dem Hafen Latakia verschifft. Das sind weniger als fünf Prozent der rund 700 Tonnen Chemiewaffen dieser gefährlichsten Kategorie. Sie sollen eigentlich bis zum 5. Februar aus Syrien fortgeschafft werden.

Baschar al Assad will nach eigenem Bekunden die Vereinbarung einhalten. Seine Regierung begründet die Verzögerungen mit den anhaltenden Kämpfen. Die USA drängen dennoch darauf, dass das Abkommen eingehalten wird. Allerdings gibt es schon länger Zweifel an der uneingeschränkten Kooperationsbereitschaft der Machthaber. Zum Beispiel ist es nach Einschätzung von Beobachtern durchaus denkbar, dass das Regime bislang nicht seine gesamten Chemiewaffenvorräte offengelegt hat. Israelische Experten gehen davon aus, dass Assad kaum sein ganzes Arsenal „herausrücken“ werde. Der Diktator könnte vielmehr einen Teil des Giftgases als „Lebensversicherung“ für sich, die Familie und die schiitische Minderheit der Alawiten (der Assad angehört) weiter unter Verschluss halten. Der Staatschef habe das Schicksal von Muammar al Gaddafi immer vor Augen. Libyens langjähriger Despot war 2011 gestürzt und später vermutlich von Aufständischen getötet worden.

Auch ein anderes Mittel der Massenvernichtung beunruhigt westliche Geheimdienste zunehmend: biologische Waffen. US-Geheimdienstdirektor James Clapper warnte bei einer Anhörung im Senat in Washington, die Führung um Assad könnte nach seinen Erkenntnissen mittlerweile zu einer „begrenzten Herstellung“ von Biowaffen in der Lage sein.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf der syrischen Regierung jetzt zudem eine gezielte Zerstörung von Häusern vor. Auf einer 145 Hektar großen Fläche, so groß wie 200 Fußballfelder, seien etwa in Hama und Damaskus 2012 wie 2013 viele Gebäude zerstört worden. Als Belege veröffentlichte die Organisation Satellitenbilder, Videoaufnahmen und Zeugenaussagen. mit KNA

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