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 Bislang gibt es keinen guten Überblick, wie viele Menschen kommen, wo sie sich aufhielten, wie sie verteilt und ihre Anliegen bearbeitet würden.

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Update

Asyl in Deutschland: 163.000 Flüchtlinge im September, 290.000 nicht registriert

Zahl der Asylsuchenden vom Balkan ist stark gesunken. Bundesamt für Migration kennt Identität zahlreicher Flüchtlinge nicht. Union: "Beängstigender Kontrollverlust."

Von Hans Monath

Den deutschen Behörden ist die Identität von mehr als einer Viertel Million Flüchtlingen im Land offenbar nicht bekannt. Schätzungen zufolge seien 290.000 Flüchtlinge noch nicht registriert worden, sagte der Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf), Frank-Jürgen Weise, am Mittwoch. Bislang gebe es keinen guten Überblick, wie viele Menschen kämen, wo sie sich aufhielten, wie sie verteilt und ihre Anliegen bearbeitet würden. Weise ist Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA) und hatte kürzlich zusätzlich die Leitung der Migrationsbehörde übernommen.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), sprach von einem "beängstigenden Kontrollverlust". Dem Tagesspiegel sagte der CSU-Politiker: "Wir müssen schnell wieder Rechtsstaatlichkeit herstellen." Hier müsse mehr Transparenz her. Das Bundesamt ist mit der wachsenden Zahl von Asylbewerbern in Deutschland seit langem überfordert. 275.000 Anträge sind nicht bearbeitet.

Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Länderkreisen erfahren hat, sind allein im September rund 163.000 Menschen im bundesweiten Erfassungssystem „Easy“ („Erstverteilung von Asylbegehrenden“) aufgenommen worden. Im August waren es rund 105.000. Seit Januar wurden damit den Angaben nach insgesamt 577.000 Flüchtlinge registriert.

Aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linke-Abgeordneten Ulla Jelpke geht hervor, dass vom 1. bis 27. September 138.151 Flüchtlinge in "Easy" registriert wurden. Die Zahl der Asylbewerber aus Balkan-Staaten in Deutschland ist dabei erheblich zurückgegangen. Nur 9774 - also etwa sieben Prozent - kamen aus den Balkan-Ländern Albanien, Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Montenegro. Mehr als die Hälfte der im September erfassten Flüchtlinge (71.888) stammt aus Syrien. Hinzu kamen jeweils etwa 15.000 Menschen aus dem Irak und Afghanistan.

Bayerns Innenminister geht von bis zu 280.000 Flüchtlingen im September aus

Die tatsächliche Zahl der im September in Deutschland angekommenen Flüchtlinge liegt aber deutlich höher. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte am Mittwoch gesagt, man müsse davon ausgehen, dass seit Monatsbeginn zwischen 270.000 und 280.000 Flüchtlinge in Deutschland angekommen seien. Diese Zahl wird in anderen Länderkreisen für zu hoch gehalten. Realistisch könne man für September von einer Zahl von 210.000 bis 220.000 eingereisten Flüchtlingen ausgehen, hieß es.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte bei einem Empfang im Kanzleramt, dass die deutsche Aufnahmekapazität begrenzt sei. Deutschland könne viel leisten und sehe vor allem die Aufgabe, Fluchtursachen zu bekämpfen, sagte Merkel: Es müsse mehr Geld für Hilfe in den Krisengebieten und ihren Regionen zur Verfügung gestellt werden. "Denn wir können nicht alle Probleme in Deutschland lösen." Die Flüchtlingskrise bedeute eine Zäsur für die deutsche Politik: "Das wird unsere Politik gravierend ändern und wieder neue Schwerpunkte setzen. Jede Zeit hat ihre eigene Herausforderung."

Die großen Industriestaaten wollen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise erheblich mehr Geld zur Verfügung stellen. Die Hilfen würden um 1,6 Milliarden Euro aufgestockt, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach einem Treffen mit seinen G7-Kollegen in New York. Deutschland stelle 100 Millionen Euro bereit.

Thomas de Maizière will Bleiberecht schon an Grenzen prüfen lassen

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will künftig das Bleiberecht von Asylbewerbern schon an den Landesgrenzen prüfen zu lassen, um Nicht-Asylberechtigte schnell zurückzuschicken. Dabei gehe es um ähnliche Prüfungen wie bei dem bereits existierenden Flughafenverfahren, sagte er im Bundestag.

Die SPD kritisierte das Vorhaben. "Der Bundesinnenminister sollte sich darauf konzentrieren, die Asylverfahren zu beschleunigen und die guten Koalitionsvereinbarungen umzusetzen", sagte SPD-Vizechef Ralf Stegner dem Tagesspiegel: "Jeden Tag neue unausgegorene Vorschläge helfen jedenfalls nicht, sondern schaffen nur Verunsicherung." Verfahren an den Grenzen dürften nicht dazu führen, dass die individuelle Prüfung eingeschränkt werde. "Mit der SPD ist eine Einschränkung des Grundrechtes auf Asyl nicht zu machen", betonte der SPD-Politiker.

Innenminister der Union fordern sofort spürbare Eindämmung des Zuzugs

Die Innenminister der Union fordern eine sofort spürbare Eindämmung des Zuzugs. Allein im September seien fast 200.000 Flüchtlinge ins Land gekommen, mit einer weiteren Zunahme sei zu rechnen. Kurzfristige Maßnahmen seien nötig, schreibt Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) in einem Brief an de Maizière, in dem er auch für seine Kollegen aus Bayern, Berlin, Hessen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt spricht. Ohne europaweite Verteilung müsse Deutschland Asylsuchende bereits an der Grenze abweisen und Flüchtlinge künftig konsequent rücküberstellen, warnte er.

Hamburg dürfte Donnerstag Gesetz zur Beschlagnahmung beschließen

Unterdessen steht Hamburg kurz davor, leerstehende Gewerbeimmobilien für Flüchtlinge zu beschlagnahmen. In erster Lesung stimmte die Bürgerschaft am Mittwoch mehrheitlich dem umstrittenen „Gesetz zur Sicherung der Flüchtlingsunterbringung in Einrichtungen“ zu. Nach dem Willen von SPD, Grünen und Linken sollen damit leerstehende Gewerbeimmobilien auch gegen den Willen der Eigentümer als Unterkünfte genutzt werden können.

In namentlicher Abstimmung votierten 81 Abgeordnete für das Gesetz, 37 stimmten dagegen. Eine abschließende zweite Lesung im Parlament verhinderten CDU, AfD und FDP. Endgültig verabschiedet werden soll das Gesetz nun am Donnerstag.

Hamburgs Behörden konnten schon in der Vergangenheit Unterkünfte für Flüchtlinge nach dem Polizeirecht zur Abwehr einer Gefahr in Beschlag nehmen. Allerdings war dies wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur schwer und vor allem nicht innerhalb kurzer Zeit durchsetzbar. Dies soll sich nun durch den direkten Zugriff auf die Immobilien ändern. So heißt es im Gesetz: „Die zuständige Behörde kann zum Zwecke der Unterbringung von Flüchtlingen (...) Grundstücke und Gebäude sowie Teile davon sicherstellen.“ Widersprüche oder Anfechtungsklagen seien zwar möglich. Doch hätten diese keine aufschiebende Wirkung. (mit dpa)

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