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Kahle Wände, keine Arbeit - und sogar ein Reiseverbot, das im Amtsdeutsch „Residenzpflicht“ heißt. Das Leben von Asylbewerbern - oft, wie hier, eines im Lager – soll nach dem Willen des Innenminsteriums nicht leichter werden.

© dapd

Asylbewerber: Böhmer will mehr Rechte für Flüchtlinge

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung fordert die Aufhebung des Arbeitsverbots für Asylbewerber. Beifall kommt aus der Opposition. Doch das Innenministerium winkt ab.

Ein in Würzburg gestarteter Protestmarsch von mehr als 100 Flüchtlingen und Asylbewerbern hat am Freitag Berlin erreicht. Die Teilnehmer fordern unter anderem eine frühere Arbeitserlaubnis – und werden darin von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung unterstützt. Das einjährige Arbeitsverbot für Asylsuchende und Geduldete demotiviere die Betroffenen, belaste die Sozialkassen und sei auch angesichts der niedrigen Arbeitslosigkeit im Land „nicht mehr zeitgemäß“, sagte Maria Böhmer (CDU) dem Tagesspiegel. Deshalb unterstütze sie „mit Nachdruck“ die Forderung des Integrationsbeirats, allen Ausländern den Zugang zum Arbeitsmarkt „spätestens nach sechs Monaten zu ermöglichen“.

Das Innenministerium äußerte sich ablehnend. Man sehe die Forderung nach einem schnelleren unbeschränkten Arbeitsmarktzugang kritisch, sagte ein Sprecher. Zum einen, weil dies in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit „wenig Akzeptanz“ finden werde. Zum anderen, weil so die Gefahr entstehe, „dass der Personenkreis zu Dumpinglöhnen beschäftigt wird“. Die SPD-Expertin Anette Kramme dagegen nannte es begrüßenswert, Asylbewerber früher arbeiten zu lassen – „und zwar ohne Vorrangprüfung“. Zur Würde des Menschen gehöre es, für den eigenen Lebensunterhalt sorgen zu dürfen.

Böhmer sprach von einem „notwendigen Paradigmenwechsel“ – und schloss sich auch anderen Handlungsempfehlungen ihres Beirats an. Demnach müssten alle hier lebenden Ausländer „vom ersten Tag an“ Sprachkurs-Angebote erhalten. Für langjährig Geduldete müsse es ein Bleiberecht ohne Stichtag geben. Und Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus müssten nicht nur eine medizinische Grundversorgung bekommen, sondern auch risikolos Geburtsurkunden und Kita-Plätze beantragen können.

Im Innenministerium zeigt man der CDU-Frau die kalte Schulter

Für ihre Forderung nach einem anderen Umgang mit Asylsuchenden und anderen Flüchtlingen in Deutschland erhält Böhmer zwar Beifall von der SPD. Im Innenministerium jedoch zeigen sie der CDU-Frau die kalte Schulter. Man sehe diese Forderung kritisch, kontert ein Sprecher des Innenministers. Schließlich seien die EU-Mitgliedstaaten schon übereingekommen, die Frist bei Asylbewerbern künftig einheitlich auf neun Monate festzusetzen. Ein einheitlicher europäischer Maßstab aber sei "von großer Bedeutung, um eine gerechte Verteilung von Asylbewerbern auf die Mitgliedstaaten sicherzustellen und den Anreiz für Wanderungsbewegungen zwischen den Mitgliedstaaten zu mindern". Den Vorschlag der EU-Kommission freilich, die Sperre auf sechs Monate zu verringern, hat Deutschland abgelehnt. Und so genannte Vorrangprüfungen bleiben national weiter möglich.

Hierzulande unterliegen Asylsuchende nicht nur einem einjährigen Arbeitsverbot. Auch danach dürfen sie nur arbeiten, wenn die Bundesagentur in der Region keinen „bevorrechtigten Arbeitnehmer“ aufspürt. Dabei möchte es der Innenminister belassen. Böhmer und ihr 32-köpfiger Integrationsbeirat dagegen finden, dass die Einschränkungen für Ausländer wegen veränderter Rahmenbedingungen „insgesamt überdacht werden“ müssen. Und ihre „Handlungsempfehlungen“ für Gesetzgeber und Regierung – vorige Woche einstimmig beschlossen – gehen noch weiter. Viele Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus trauten sich bei Krankheit oder Schwangerschaft gar nicht oder erst viel zu spät zum Arzt, berichtet die Vizepräsidentin des Roten Kreuzes, Donata Freifrau Schenck zu Schweinsberg. Vorsorge und Impfungen unterblieben, Krankheiten würden verschleppt und verschlimmert. Und Ärzte und Krankenhäuser, die den Patienten in ihrer Not dann doch helfen, blieben auf den Kosten sitzen.

Nach aktuellen Schätzungen leben bis zu 330 000 Menschen illegal in Deutschland – in ständiger Furcht, entdeckt und abgeschoben zu werden. 90 000 Flüchtlinge gelten als „geduldet“, da sie das Land nicht verlassen können – die meisten seit mehr als sechs Jahren. Diesen Menschen müsse es die Politik ermöglichen, „eine menschenwürdige Existenz in unserem Land zu führen“, fordert Böhmer. Dazu müsse man teilweise nur behördenrechtliche Übermittlungspflichten aufheben. In anderen Fällen bedürfe es gesetzlicher Änderungen. Doch im Ministerium winken sie ab. Ein stichtagsunabhängiges Bleiberecht für langjährig Geduldete? „Es kann nicht das Ziel einer verantwortungsvollen Zuwanderungspolitik sein, die Zahl langjähriger Geduldeter dadurch auf null zu reduzieren, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Bleiberechts immer weiter abgesenkt werden.“ Sprachkurse für Asylbewerber? Nur möglich und sinnvoll, wenn absehbar sei, dass sich die Betroffenen "auf Dauer" im Bundesgebiet aufhielten. Und der Verzicht auf Datenübermittlung vor medizinischen Behandlungen? „Jede weitere Annäherung an die Rechtsstellung sowie soziale und medizinische Versorgung legal hier aufhältiger Personen“ werde „einen unerwünschten Sogfaktor für illegale Zuwanderung schaffen und die Einheit der Rechtsordnung gefährden“, heißt es im Innenministerium.

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