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Stimmte der Einschränkung des Asylrechts im Bundesrat zu: Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann.

© dpa

Asylkompromiss: Kretschmann schreibt erneut Parteigeschichte

Wieder ein Asylkompromiss, diesmal mit den Grünen. Das Ja von Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann am Freitag im Bundesrat ähnelt dem der SPD von 1992. Ein Blick zurück.

Mit seinem Ja zu einem noch schärferen Asylrecht hat Winfried Kretschmann am Freitag im Bundesrat vermutlich Parteigeschichte geschrieben – zum zweiten Mal. Nur dass er, 2011 als erster Grüner Ministerpräsident gefeiert, diesmal ausgebuht wird und die Seinen in eine weitere Krise führt. Dabei ging etwas unter, dass er sich in der Länderkammer mehrfach sehr deutlich urgrün positionierte: Sichere Herkunftsländer seien nun einmal eine Erfindung der Asylrechtseinschränkung im Grundgesetz vor mehr als 20 Jahren: „Ich hielt und halte das für falsch“, sagte Kretschmann. Aber nun sei die Rechtslage einmal, wie sie sei.
Gelegenheit zu einem Blick zurück: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Der schöne, schlichte Satz steht seit 1949 im Grundgesetz, Konsequenz aus der NS-Erfahrung. Seit dem 1. Juli 1993 hängt an ihm ein Rattenschwanz von Sätzen, die ihn einschränken und festlegen, wer sich auf dieses Recht alles „nicht berufen“ dürfe. Satz drei – und um ihn ging es am Freitag in der Länderkammer eben – lautet: „Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrats bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche und erniedrigende Bestrafung stattfindet.“ Das waren neben den EU-Ländern bisher nur Ghana und Senegal, jetzt kommen Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina dazu.

Die Debatte erinnert an die Grundgesetzänderung von 1992

Die Debatte um diese Änderung war eine der heftigsten der Bundesrepublik, vergleichbar vielleicht mit der um die Notstandsgesetze in den 1960ern. Den Höchststand von damals etwa rund 438000 Asylanträgen nutzte die Regierung Kohl, um die oppositionelle SPD unter Druck zu setzen. Die knickte schließlich ein. Und wenn auch dieser neue Asylkompromiss mit dem alten schwerlich vergleichbar ist, ein paar Parallelen fallen auf: Die Zahl der Flüchtlinge ist zurzeit weltweit auf dem höchsten Niveau seit Ende des Zweiten Weltkriegs, mit Folgen auch für Deutschland. Und auch die Begründungsrhetorik ähnelt der von damals. Weniger dezent als jetzt Kretschmann mit seinem Hinweis auf den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ berief sich schon das Papier, das SPD und christlich-liberale Regierung am 6. Dezember 1992 am späten Abend verfassten, auf den vermuteten Bürgerwillen. Migration nach Deutschland müsse „begrenzt und gesteuert … und der Schutz tatsächlich Verfolgter gewährleistet werden“, denn: „Ohne eine solche Möglichkeit werden Ängste und Unsicherheiten verschärft, die für den inneren Frieden schädlich sind.“ Der allerdings geriet erst parallel zur Debatte und nach der Grundgesetzänderung richtig unter Druck, mit den Mordanschlägen auf Migranten in Mölln und Solingen im November 1992 und im Mai 1993.
Und Kretschmanns Grüne? Haben wieder einmal eine Position geräumt, die für Grüne als unaufgebbar galt. Und werden die Selbstfindung, die sie nach der Wahlschlappe letztes Jahr brauchen, mindestens verlängern müssen. Da hilft kein noch so tapferes Bekenntnis gegen jenen anderen, den fatalen Asylkompromiss von 1992.

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