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Athen: Eine verlorene Generation

Jetzt hat es auch meine Bekannte Olympia erwischt. Vor zwei Wochen verlor sie ihren Job als Verkäuferin.

Jetzt hat es auch meine Bekannte Olympia erwischt. Vor zwei Wochen verlor sie ihren Job als Verkäuferin. Die Athener Filiale der Bekleidungskette H+M, in der sie arbeitete, hat dichtgemacht. Ein Jahr lang bekommt Olympia jetzt Arbeitslosenhilfe, 360 Euro im Monat. Das reicht nicht mal für die Miete und die Stromrechnung. Der Sachbearbeiter der Arbeitsverwaltung OAED runzelte die Stirn, als er Olympias Papiere durchsah. „Sie sind schon 38“, sagte er besorgt. „Da wird es für Sie nicht leicht sein, einen neuen Job zu finden.“ Olympia weiß das. „38 – und schon am Ende“, sagt sie verbittert. Im Einzelhandel kommt aktuell auf acht Entlassungen nur eine Neueinstellung. Vor 15 Jahren kam Olympia aus der nordgriechischen Kleinstadt Veria nach Athen. Damals versprach die pulsierende Hauptstadt ein besseres Leben. Jetzt tritt Olympia den Heimweg an. Sie zieht zu ihrer 69-jährigen Mutter nach Veria. Dreimal hat man ihr in den vergangenen zwei Jahren bereits die Rente gekürzt, jetzt bezieht sie noch 520 Euro im Monat. Von dem Geld müssen Mutter und Tochter leben. Die nächste Rentenkürzung ist bereits angekündigt.

Olympia ist nicht das einzige Opfer in meinem Freundeskreis. Da ist Andreas M., ein erfolgreicher, selbstbewusster Börsenmakler – bis er vor sechs Monaten seinen Job verlor. Aktienhändler haben keine Konjunktur mehr in Athen, wo die Kurse und Umsätze an der Börse auf das Niveau von 1992 eingebrochen sind. Auch mein Freund Marios L. ist arbeitslos. Er war Verkaufschef eines Autohauses, bis der Betrieb Anfang des Jahres Insolvenz anmelden musste. Im vergangenen Jahr sind die Neuzulassungen in Griechenland um 43 Prozent eingebrochen.

Olympia, Andreas und Marios sind für mich Gesichter hinter den Statistiken, die besagen, dass bereits jeder vierte Grieche arbeitslos ist, unter den Jugendlichen sogar mehr als jeder Zweite. Einer von ihnen ist der 24 Jahre alte Thomás, ein Nachbarsjunge, der in diesen Wochen nach Edinburgh auswandert, wo er einen Job als Computertechniker gefunden hat. Thomás ist für mich das Gesicht einer Jugend, die in Griechenland keine Zukunft mehr sieht, einer Generation, die für das Land verloren ist.

Zu den Gesichtern der Krise gehören aber auch die traurigen Mienen der Obdachlosen und Bettler. Das Arbeitslosengeld wird in Griechenland höchstens ein Jahr lang gezahlt. Von den aktuell 1,15 Millionen Arbeitslosen erhalten nur 187 723 staatliche Unterstützung. Eine Sozialhilfe oder Grundsicherung wie Hartz IV gibt es in Griechenland nicht. Viele stürzen deshalb aus der Arbeitslosigkeit in Armut und Obdachlosigkeit ab. Die orthodoxe Kirche verköstigt bei ihren Armenspeisungen im ganzen Land rund 250 000 Menschen – jeden Tag. Bedrückend ist auch der Anblick, den das Zentrum Athens bietet: In den Einkaufsstraßen steht fast jeder vierte Laden leer. Hinter den leeren Schaufenstern und den heruntergelassenen Rollgittern stehen menschliche Tragödien: gescheiterte Existenzen, zerstörte Lebenspläne.

Für einen Deutschen, der in Griechenland lebt, hat die Krise aber eine weitere Dimension. Der Euro sollte Europa einen, doch jetzt spaltet er die Völker. Besonders zwischen Deutsche und Griechen hat die Krise einen Keil getrieben. Viele Griechen machen Deutschland für die harten Sparauflagen verantwortlich, die das Land immer tiefer in die Rezession treiben. Die Sorge vor einem übermächtigen Deutschland geht um, die Furcht vor einem „4. Reich“. Politiker wie der bayerische Finanzminister Markus Söder schüren diese Ängste, wenn sie fordern, an den Griechen müsse man „ein Exempel statuieren“. Wie tief das Misstrauen und die Enttäuschung sitzen, sehe ich manchen meiner Nachbarn an: Einige meiden das Gespräch, blicken weg, wenn sie mir begegnen. Auch diese schweigsamen Mienen sind Gesichter der Krise.

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