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Update

Athen: Szenen wie in einem Bürgerkrieg

Massenproteste, Straßenschlachten, martialische Töne im Parlament: Die Krise in Griechenland spitzt sich zu. Nichtsdestotrotz hat das Parlament am Donnerstagabend ein neues, umstrittenes Sparpaket verabschiedet.

Geschafft! Die Erleichterung war den Ministern im Plenarsaal anzumerken, als Griechenlands Parlamentspräsident Philippos Petsalnikos das Abstimmungsergebnis verlas: mit 154 Stimmen der Regierungsfraktion billigte das Parlament das Sparpaket. 144 Abgeordnete der Oppositionsparteien stimmten dagegen. Damit können die umstrittenen Spargesetze in Kraft treten. Aber eine Stunde des Triumphes war es nicht für Ministerpräsident Papandreou. Der Premier weiß: Er gewinnt nur eine kurze Atempause. Die Gefahr einer Staatspleite ist nicht gebannt.

Begleitet wurde die Parlamentsdebatte, wie schon am Vortag, von Massenprotesten und Tumulten. Als die Demonstranten gestern Morgen am Athener Syntagmaplatz aufmarschierten, um vor dem Parlament gegen das Sparprogramm zu protestieren, waren die Spuren der Straßenkämpfe des Vortags allgegenwärtig: ausgebrannte Bus-Wartehäuschen, zertrümmerte Schaufenster, eingeäscherte Straßencafés, zerstörte Verkehrsampeln.

Wie am Mittwoch, verlief die Versammlung zunächst friedlich: mehrere Zehntausend Menschen fanden sich vor dem Parlamentsgebäude ein. Viele trugen Transparente mit der lakonischen Aufschrift: „Es reicht!“ Doch am frühen Nachmittag kippte die Stimmung. Aus den Nebenstraßen stießen vermummte, schwarz gekleidete Chaoten hinzu, die mit schweren Hämmern, Eisenstangen und Molotowcocktails bewaffnet waren. Was sich dann auf dem Syntagmaplatz entwickelte, erinnerte an Szenen aus einem Bürgerkrieg: Etwa 500 Anarchisten lieferten sich fast eine Stunde lang brutale Massenschlägereien mit Mitgliedern des kommunistischen Gewerkschaftsbundes Pame, die sich ihnen entgegenstellten. Wieder flogen Steine und Brandflaschen. Tausende Menschen flohen in Panik, Tränengasschwaden waberten durchs Zentrum von Athen.

Während auf dem Platz die Straßenkämpfe tobten, wurde im Plenarsaal eine andere Schlacht ausgefochten: die Abgeordneten debattierten das Sparprogramm, über das am Abend abgestimmt werden sollte. Finanzminister Evangelos Venizelos schlug dramatische Töne an: „Vielleicht haben es noch nicht alle gemerkt, aber wir befinden uns im Kriegszustand!“ Venizelos beschwor die Abgeordneten: Wenn das Sparpaket nicht verabschiedet werde, brauchten er und Premier Papandreou gar nicht erst zum Finanzministerrat und EU-Sondergipfel nach Brüssel zu fliegen. Der Minister gab sich kämpferisch: „Von heute an bis zum Sonntag schlagen wir die Schlacht aller Schlachten. Wir müssen diese Phase durchstehen, damit es nicht noch schlimmer kommt.“ Venizelos beschönigte nichts: „Was uns droht, ist der Tod unserer Wirtschaft – und nach diesem Tod gibt es keine Wiederauferstehung!“

Aber wird das jene Griechen überzeugen, die jetzt weitere Opfer bringen müssen? Vor allem die Empfänger kleiner und mittlerer Einkommen bittet Finanzminister Venizelos gnadenlos zur Kasse. Eine fünfköpfige Familie mit einem Jahreseinkommen von 25 000 Euro wird statt 390 Euro Einkommensteuer künftig 2 970 Euro im Jahr zahlen – ein Anstieg um 661 Prozent. Die Steuerlast eines gutsituierten kinderlosen Ehepaars, das 100 000 Euro im Jahr verdient, steigt dagegen nur um 2,6 Prozent, von 31 600 auf 32 420 Euro. Es sind diese schreienden Ungerechtigkeiten, die jetzt Hunderttausende Griechen auf die Straßen treiben. Und es ist das frustrierende Gefühl, das alle Opfer letztlich nichts bringen: Alle paar Monate verkündet die Regierung neue Sparprogramme und erhöht die Steuern. Aber die Schulden steigen und das Land rutscht immer tiefer in die Rezession.

Kurz vor der entscheidenden Abstimmung versuchte Venizelos noch einmal, die Regierungsfraktion auf Vordermann zu bringen: „Wenn dieses Gesetz scheitert, gibt es kein Morgen“, sagte der Finanzminister. Aber selbst wenn die Euro-Finanzminister jetzt die sehnlichst erwartete nächste Rate der Hilfskredite freigeben, gewinnt Griechenland damit nur eine kurze Atempause: Spätestens im Dezember ist die nächste Prüfung durch die Troika fällig, bevor weitere Hilfsgelder bewilligt werden können. Dann beginnt wieder das Zittern.

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