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In welche Richtung geht es für Griechenland nach dem Brüsseler Kompromiss?

© DPA

Athen und Eurogruppe: Griechenland hat nachgegeben und nicht viel durchgesetzt

Wolfgang Schäuble gegen Yanis Varoufakis, wer hat gewonnen? Eine Analyse der Einigung mit Griechenland zeigt, dass die Athener Regierung in den entscheidenden Punkten einlenken musste.

Der Lesetipp kommt von Christine Lagarde, der Chefin des Internationalen Währungsfonds. "Ich empfehle Ihnen, die Erklärung der Eurogruppe genau zu studieren", sagte die Französin nach der Einigung mit Griechenland am Freitagabend: "Jedes Wort, jeder Satz steht da aus einem bestimmten Grund und bedeutet zumindest einer Partei sehr viel." Und tatsächlich stecken hinter den Formulierungen, über die lange lautstark gerungen wurde, massive politische Interessen.

Das fängt damit an, dass bestimmte Wörter, die in Griechenland im Laufe der Krise zu Schimpfwörtern geworden sind, gar nicht mehr auftauchen. Aus dem "Programm" etwa, also dem gesamten Paket von Krediten und entsprechenden Gegenleistungen in Gestalt von Spar- und Reformvorgaben, ist die "existierende Vereinbarung" geworden. Nicht weniger verpönt ist die "Troika" von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, die nun nur noch als "die Institutionen" auftauchen. Und das sogenannte "Memorandum of Understanding", in dem 2012 die konkreten, von Athen zu erfüllenden Auflagen schriftlich niedergelegt wurden, bleibt unerwähnt.

Das ermöglichte dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis beispielsweise nach der Sitzung zu verkünden, sein Land trete nun - wie im Wahlkampf versprochen - "in eine Ära nach dem Memorandum ein". Hellas werde nun, zur Wiederherstellung der aus seiner Sicht verlorenen Würde und Selbstbestimmung, "sein eigenes Drehbuch der Reformen schreiben".

Das heißt freilich nicht, dass es keine Reformauflagen mehr gibt - im Gegenteil. Die Verlängerung der eigentlichen Kreditvereinbarung mit dem Euro-Rettungsschirm EFSF, deren letzte Tranche in Höhe von 1,8 Milliarden Euro noch nicht überwiesen wurde, wird weiterhin "untermauert durch eine Reihe von Verpflichtungen", wie es in der gemeinsamen Stellungnahme aller 19 Minister heißt. Die griechische Regierung kann damit aber nur theoretisch, ihre ganz eigene Agenda abseits des alten Memorandums durchsetzen, gibt es weiteres Geld doch nur "auf der Basis der Bedingungen der laufenden Vereinbarung". Alles, was die Athen nun anpacke, müsse sich, so Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble "ausdrücklich auf das Programm beziehen" - auch wenn es nicht mehr so heißt.

Zentrale Wirtschaftsdaten für Griechenland
Zentrale Wirtschaftsdaten für Griechenland

© AFP

Psssst, die Troika kommt zurück...

Viel Wortakrobatik wird auch darauf verwendet, die Rückkehr der Troika nach Athen im Sinne einer Programmkontrolle zu verschleiern, da Varoufakis die ungeliebten Finanzbürokraten erst vor gut drei Wochen quasi des Landes verwiesen hatte. Er hat nun zugestimmt, "in enger Abstimmung mit den europäischen und internationalen Institutionen und Partnern zusammenzuarbeiten". Und eben jene werden "eingeladen, sofort mit der Arbeit zu beginnen, die einen erfolgreichen Abschluss der Überprüfung ermöglichen würde". Ohne Visite vor Ort ist diese Überprüfung jedoch gar nicht denkbar.

Die Fortführung des Rettungsprogramms samt seiner Bedingungen und Kontrollbesuche ist die vermutlich größte Kröte, die Athens Premierminister Alexis Tsipras schlucken muss. In einer Analyse der Denkfabrik OpenEurope ist in diesem Zusammenhang von einer "eindeutigen Kapitulation" die Rede, hatte Tsipras das bisherige Programm doch für "tot" beziehungsweise "beendet" erklärt. Nun hat er sich unter großem Druck verpflichten müssen, es zu eben jenem "erfolgreichen Abschluss zu bringen - dies, so heißt es in der Erklärung weiter sei gerade "der Zweck der Verlängerung" um vier Monate.

So lange bleibt auch der restliche Milliardenbetrag auf dem Konto des Euro-Rettungsschirm - genauso wie Profite der Europäischen Zentralbank aus dem Verkauf griechischer Staatsanleihen, ebenfalls etwa 1,8 Milliarden Euro, so lange nicht an Athen überwiesen werden. Von einem Schuldenschnitt ist ohnehin schon in einem frühen Stadium der Gespräche nicht mehr die Rede gewesen. Die Eurostaaten sollen nun, zumindest theoretisch, ihre mehr als 240 Milliarden Euro "in voller Höhe und pünktlich zurückerhalten". Wobei die Kredite teilweise bis zum Jahr 2042 laufen.

Athen muss auf Wahlversprechen verzichten

Wer hat gewonnen? Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis mit seinem deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble.
Wer hat gewonnen? Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis mit seinem deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble.

© AFP

Auch auf die Umsetzung anderer Wahlkampfversprechen wird Alexis Tsipras vorerst verzichten müssen - wenn sie nicht die ausdrückliche Zustimmung der Troika-Finanzexperten bekommen. Auf die Frage, ob Athen nun wie versprochen die deutlich gesenkten Mindestlöhne wieder erhöhen könne, las Finanzminister Schäuble am Freitagabend eine Passage der Vereinbarung laut vor: "Die griechische Regierung verpflichtet sich, keine Maßnahmen zurückzunehmen oder einseitige Veränderungen an Politik und Strukturreformen vorzunehmen, die sich nach Einschätzung der Institutionen negativ auf Haushaltsziele, die wirtschaftliche Erholung oder die Finanzstabilität auswirken."

Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem stellte nach der Sitzung klar, dass diese Zusage auch jene Gesetzesvorhaben einschließt, die Tsipras erst zu Wochenbeginn angekündigt hatte. Zwar hat die griechische Seite das Vorschlagsrecht, was Varoufakis am Freitag als seinen Erfolg darstellte - gleichwohl müssen die Reformpläne abgesegnet werden: Zum ersten Mal an diesem Dienstag und dann in detaillierterer Form Ende April. Für das Linksbündnis Syriza dürfte es damit schwer werden, die eigenen Versprechen in die Tat umzusetzen. Dies habe er, so Schäuble, Tsipras bereits im Wahlkampf wissen lassen. Dessen Regierung werde es daher nun "sicher schwer haben, das ihren Wählern zu erklären".

"Alles, was wir seit 2010 machen, ist ein Zugeständnis", sagte der Deutsche auf die Frage, ob die Vereinbarung denn auch Platz lasse, um dem griechischen Wählerwillen nach Veränderung zumindst punktuell gerecht zu werden; ob es also Zugeständnisse an die griechische Seite jenseits der Wortwahl gegeben habe. Nicht viele jedenfalls: So verpflichten sich die europäischen Partner, "besten Gebrauch von der bestehenden Flexibilität" im dann bis Ende Juni laufenden Hilfsprogramm zu machen. Will heißen, dass durchaus Änderungen daran möglich sind - aber eben nur wenn die Finanztroika diese absegnet.

Die wirtschaftliche Lage Griechenlands soll stärker berücksichtigt werden

Als Verhandlungserfolg versucht Varoufakis seinen Landsleuten auch zu verkaufen, dass keine fixen Sparziele formuliert worden sind. Das verschaffe Griechenland "Luft zum Atmen". Tatsächlich ist lediglich von "angemessenen Primärüberschüssen die Rede, um die Höhe der Gesamtverschuldung in den kommenden Jahren zu reduzieren. Zudem soll im laufenden Jahr die wirtschaftliche Lage stärker berücksichtigt werden. Statt eines Primärüberschusses von drei Prozent - Zinszahlungen und Sonderposten wie die Bankenrekapitalisierung werden bei dieser Zahl herausgerechnet - könnte die Athener Regierung dieses Jahr also möglicherweise eine weniger strenge Auflage bekommen. Auch dies könnte jedoch schwer zu erreichen sein, weil die Steuereinnahmen in letzter Zeit empfindlich zurückgegangen sind. Längerfristig orientieren sich die Etatvorgaben ohnehin weiter an den Eckwerten, die die Eurogruppe 2012 festgelegt hat: Bis 2020 sollen die Gesamtschulden von derzeit 175 auf 124 Prozent der Wirtschaftsleistung zurückgeführt werden.

Nur vier statt der beantragten sechs Monate bekommt Griechenland nun, um das Hilfsprogramm abzuschließen, während parallel ein "mögliches Nachfolgeprogramm" ausgehandelt werden soll. Das hat nicht nur damit zu tun, dass die Politik Ende August Urlaub macht und Ende Juni noch nicht, wie Schäuble scherzte. Der Einigungsdruck wird Ende Juni noch höher sein, da Athen im Juli Kredite in Höhe von rund sieben Milliarden Euro zurückzahlen muss. Dass Griechenland dann keine Finanzhilfe mehr benötigen könnte, wie dies Schäuble am Freitag für möglich hielt, scheint zum Stand jetzt eher unwahrscheinlich. Realistischer ist, dass der Schuldenstreit mit der Einigung vom Freitag nur entschärft, aber nicht beigelegt ist - dafür stehen nun in den nächsten vier Monaten zu viele Entscheidungen an, bei denen sich Griechenland und Eurogruppe erneut in die Wolle kriegen könnten - angefangen mit der Vorlage der Reformliste an diesem Montag.

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