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Atomausstieg: Es geht in die Verlängerung

Acht oder zwölf oder gar 28 Jahre: Schwarz-Gelb streitet über längere Laufzeiten für deutsche Atomkraftwerke. Welche Hürden gibt? Was wollen die Unternehmen? Wie ist es um die Sicherheit bestellt?

Wie lange die 17 deutschen Atomkraftwerke noch laufen dürfen, bleibt umstritten. Dafür versuchen alle Lager ihre Verhandlungsbasis zu verbessern. Am Wochenende hatte der „Spiegel“ berichtet, eine Koalition aus Südländern und der Unions-Bundestagsfraktion strebe eine Laufzeitverlängerung um 14 Jahre an und wolle der Einführung einer Brennelementesteuer nur zustimmen, wenn in diesem Sinne entschieden werde. Die „Süddeutsche Zeitung“ wiederum berichtete von einer Kompromisslinie, die eine kürzere Laufzeitverlängerung mit einer schnelleren Abschaltung älterer Anlagen verbinde. Dann könnten die Laufzeiten für neuere Atomkraftwerke durch eine weitere Übertragung von unverbrauchten Laufzeiten älterer Meiler deutlich länger werden. Regierungssprecher Christoph Steegmans verwies am Montag jedoch auf den bekannten Zeitplan: Bis Ende August sollen das Prognos-Institut, das Energiewissenschaftliche Institut der Universität Köln (EWI) und die Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) Szenarien für ein Energiekonzept vorlegen. Darin werden Laufzeitverlängerungen von vier, zwölf, 20 und 28 Jahren durchgerechnet. Ende September will das Kabinett über das Energiekonzept, das bis 2050 reichen soll, entscheiden. Dann geht eine mögliche Änderung des Atomgesetzes in den Bundestag.

Welche Jahreszahlen sind im Gespräch?

Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und FDP eine Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke vereinbart, bis diese „verlässlich durch erneuerbare Energien ersetzt werden können“. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat mit einer Laufzeitverlängerung von acht Jahren das niedrigste Angebot gemacht. Die Unions-Fraktion im Bundestag hat durchgesetzt, dass auch die Variante 28 Jahre, das wäre eine durchschnittliche Laufzeit für die Reaktoren von 60 Jahren, gerechnet werden muss. Vor allem die Ministerpräsidenten Bayerns, Horst Seehofer (CSU), und Baden-Württembergs, Stefan Mappus (CDU), haben ein Interesse an möglichst langen Laufzeiten für ihre Atomkraftwerke. Das Akw Neckarwestheim 1 läuft derzeit so weit gedrosselt, dass es noch möglichst lange am Netz gehalten werden kann. Eigentlich hätte es längst stillgelegt werden müssen. Baden- Württemberg bezieht aus vier Atomkraftwerken rund 50 Prozent des Stroms. Offenbar vertrauen die CDU-Strategen in Stuttgart den erneuerbaren Energien nicht genug, um sich auf einen Umbau des Energiesystems einzulassen. Auch der CDU-Wirtschaftsflügel um Michael Fuchs beharrt auf langen Atomlaufzeiten, weil er argumentiert, sonst gehe der Industrie der Strom aus. Auf der anderen Seite machen auch die Atomgegner mobil. Für den Sommer und Herbst sind eine Vielzahl von Demonstrationen angekündigt. Zudem wollen sie die Landtagswahl in Baden-Württemberg im kommenden März zu einer Art Volksabstimmung über die Atomkraft machen.

Wenn das Ziel der Regierung tatsächlich bis 2050 eine nahezu 100-prozentige Stromversorgung aus erneuerbaren Energien ist, wie sie das im Koalitionsvertrag angedeutet hat, dürfen die Laufzeiten der Atomkraftwerke nicht zu lang ausfallen. Denn schon heute gibt es bei hohem Windaufkommen oder bei viel Sonnenschein Situationen, in denen die erneuerbare Energieerzeugung mehrere Großkraftwerke überflüssig macht. Doch Atomkraftwerke lassen sich nicht schnell an die Bedürfnisse des Stromnetzes anpassen. Immer öfter werden Windparks von den Netzbetreibern stillgelegt, da sie den Strom nicht mehr aufnehmen können. Je stärker der Anteil der erneuerbaren Energien wächst, desto geringer wird die Bedeutung der Grundlastkraftwerke, die ständig und gleichbleibend Strom produzieren, also Atom- und Kohlekraftwerke.

Welche Hürden gibt es?

Im Bundesrat würde die Regierung eine Abstimmung über längere Laufzeiten vermutlich verlieren. Mit dem Start der rot-grünen Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen hat Schwarz-Gelb in der Länderkammer die Mehrheit verloren. Allerdings haben schon vorher acht von 16 Ländern die Auffassung vertreten, dass der Bundesrat einer Änderung zustimmen müsse. Nur drei Länder sehen das anders: Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Innen- und Justizministerium haben in einem Gutachten festgehalten, dass eine „moderate Laufzeitverlängerung“ auch ohne Zustimmung des Bundesrats beschlossen werden könne. Bis Ende des Monats sollen sich die verschiedenen Ministerien darauf einigen, was „moderat“ in juristischem Sinne bedeuten soll. Allerdings haben mehrere Länder angekündigt, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, falls die Laufzeitverlängerung am Bundesrat vorbei beschlossen werden soll. Baden-Württemberg und Bayern haben angedeutet, im Gegenzug gegen das Atomausstiegsgesetz von 2002 nach Karlsruhe zu ziehen, weil der Bundesrat damals nicht gefragt worden sei.

Was ist mit den Unternehmen?

Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass die Konzerne für eine Laufzeitverlängerung zur Kasse gebeten werden sollen. Eine Gewinnabschöpfung von mindestens der Hälfte solle mit ihnen vereinbart werden. Doch ist es schwierig, eine rechtlich haltbare Vereinbarung darüber zu schließen. Das Bundesfinanzministerium plant unterdessen zur Haushaltskonsolidierung die Einführung einer Brennelementesteuer, die jährlich 2,3 Milliarden Euro einbringen soll. Wie hoch die Zusatzgewinne ausfallen, ist umstritten. Dass sie im zweistelligen Milliardenbereich liegen werden, ist aber ziemlich unumstritten. Die Konzerne argumentieren, mit der Brennelementesteuer werde ihr Gewinn unter Einbeziehung der Körperschaftsteuer um mehr als die Hälfte gemindert.

Wie steht es um die Sicherheit?

Die drei Südländer haben schon vor dem Regierungswechsel eine Variante ins Spiel gebracht, nach der keine Zahlen für die Laufzeitverlängerung genannt werden. Stattdessen sollen höhere Auflagen an die Sicherheit der Anlagen gestellt werden. Je nach Aufwand für die Nachrüstinvestitionen würden vor allem ältere Anlagen vermutlich unwirtschaftlich werden. Das Kriterium dafür sollte die sogenannte Periodische Sicherheitsüberprüfung sein. Dass diese Aussage nicht allzu viel bedeuten muss, zeigt der Fall der Laufzeitübertragung vom nie in Betrieb gegangenen Atomkraftwerk Mühlheim- Kärlich auf den hessischen Meiler Biblis B. Nach Angaben der hessischen Atomaufsicht ist die Sicherheitsnachrüstung ein „laufender Prozess“. Deshalb brauche es nun keine weiteren Auflagen.

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