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Atomausstieg: Norbert Röttgen - ein einsamer Sieger

"Die Gesellschaft möchte den Konsens", sagt Norbert Röttgen. Es ist seine Art, der CDU zu verstehen zu geben: Ich hatte recht. Doch ein Sieg ist der Atomausstieg für den Umweltminister trotzdem nicht

Von Robert Birnbaum

Links von ihm erzählt der Alte von damals, rechts hört der Grüne aufmerksam zu. Nur der Hausherr in der Mitte lächelt versonnen zum Glasdach über dem frisch renovierten Innenhof hoch. Norbert Röttgen wirkt selbst auf offener Bühne schnell mal wie einer, dessen Gedanken über den schnöden Alltagsdingen abschweifen. An diesem Tag hätten sie allen Grund dazu. Er ist nämlich historisch, der Tag. Das Bundesumweltministerium ist 25 Jahre alt geworden, Klaus Töpfer ist zur Feier gekommen und Jürgen Trittin. Röttgen war noch Jura-Student in Bonn, als Töpfer 1987 verkündete: „Wir müssen eine Zukunft ohne Kernenergie erfinden.“ Als Trittin im Jahr 2000 den rot-grünen Atomkonsens unterschrieb, war Röttgen einfacher Abgeordneter. Vor ein paar Stunden hat er im Kabinett die Hand für den schwarz-gelben Atomausstieg gehoben.

Eigentlich ist er stolz wie Bolle. Er war immer dafür. Vor einem halben Jahr hat er verloren. Jetzt hat er gewonnen. Aber liegt es nur am langen Atem dieser Feierstunde, wenn man den Verdacht nicht loswird, dass es trotzdem kein Sieg war?

Donnerstag früh wartet der Umweltminister in der Regierungsbank im Reichstag darauf, dass er drankommt. Röttgen steht heute auf der Rednerliste der Bundestagsdebatte zum Atomausstieg unter „ferner liefen“. Das erste Wort zur Regierungserklärung hat die Kanzlerin, das zweite der Vizekanzler. Die Reihenfolge ist der historischen Bedeutung des Ereignisses geschuldet, hat aber auch mit den delikaten Verhältnissen in der Koalition speziell in der Atomfrage zu tun. Philipp Rösler, der neue FDP-Chef, hat da eine böse Niederlage eingesteckt; umso wichtiger, jetzt wenigstens das Protokoll der Hierarchie zu wahren. Viel nützt das Rösler übrigens nicht; mitten in seiner Rede tönt es von einer grünen Hinterbank: „Da war ja selbst der Westerwelle besser“, ein zweiter ruft flehend: „Guido!“, und man kann nicht genau erkennen, ob Westerwelle hinter seiner dauerhaft vorgehaltenen Hand nicht doch ganz fein lächelt.

Aber jetzt hat erst einmal Angela Merkel ihre Rede angefangen, und zwar an jenem 11. März, an dem in Japan die Erde bebte und das Meer tobte und ein Atomkraftwerk in ein Inferno verwandelt wurde. „Das Restrisiko der Kernenergie habe ich vor Fukushima für vertretbar gehalten“, sagt die CDU-Chefin. „Ich habe eine neue Bewertung vorgenommen.“

Claudia Roth schüttelt so energisch den Kopf, dass ihr giftgrüner Schal sachte mitschwingt. Neue Bewertung ist gut, heißt das Kopfschütteln – da waren wir vor drei Jahrzehnten schon! Trittin in der ersten Reihe der Fraktionsvorsitzenden verzieht ironisch die Mundwinkel. „Willkommen, gnädige Frau, im 21. Jahrhundert!“, wird er hinterher ätzen: „Sie waren die Dagegen-Partei!“

Trittin fallen bei Bedarf noch viel bösere Sticheleien ein, aber für diesmal überlässt er es dem SPD-Kollegen Frank-Walter Steinmeier, ein Feuerwerk abzubrennen. Dass jemand dazulerne, dröhnt Steinmeier, dagegen werde er nie etwas sagen – aber dass sich Merkel jetzt hier als Erfinderin der Energiewende aufführe, „das zieht einem doch die Schuhe aus!“. Ein „Irrtumsbereinigungsgesetz“ sei das, nicht mehr, die Rückkehr an den Punkt, an dem Rot-Grün vor zehn Jahren schon war. „Die Gesellschaft war immer schon weiter als Sie!“

Das ist nun zwar, was die Sozialdemokratie angeht, zeithistorisch nicht ganz richtig. Erhard Eppler hat gerade erst in einem Aufsatz nachgezeichnet, was für ein mühsames Geschäft es war, die Industrie- und Steinkohlepartei auf grüne Gedanken zu bringen. Aber trotzdem war die SPD schneller da, wo Schwarze und Gelbe jetzt hinwollen. Sie hat vor allem nicht deren Kurvenfahrt hinter sich, diese ganze unselige Geschichte der Laufzeitverlängerungen in Merkels „Herbst der Entscheidungen“. „Epochal“ habe Guido Westerwelle das damals genannt, erinnert Steinmeier: „So schnell können Epochen vorbeigehen!“ Dazu dieser Herr Röttgen: „weltweit unübertroffen“!

Röttgen hat diesmal die Arme verschränkt beim In-die-Höhe-Gucken. Was soll er sonst auch tun? Damals vor einem halben Jahr, das war seine Niederlage. Der eigene Fraktionschef Volker Kauder hat sie ihm beigebracht, der jeden Versuch hintertrieb, die viel beschworene „Brücke“ Atomkraft kurz zu halten. Der FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle hat ihn ins Leere laufen lassen. Und die eigene Kanzlerin hat keinen Finger gerührt zu seinen Gunsten in der symbolisch so bedeutsamen Laufzeitenfrage. Ein anderer, der seinerzeitige Kabinettsstar Karl-Theodor zu Guttenberg zum Beispiel, hätte vielleicht in dem Moment mit Rücktritt gedroht. Röttgen hat die Niederlage geschluckt und den Rest des Energiepakets als „Meilenstein“ gepriesen. Dass nur der Rest gemeint war, ist längst vergessen. Dass er heute wieder von „Meilenstein“ spricht, diesmal Atomausstieg inklusive, erfreut das Kabarett. Meilensteine können wehtun, wenn sie einem auf die Füße fallen.

Hätte er damals den Konflikt schon auf die Spitze treiben sollen? Aber das ist nicht seine Art; man könnte auch sagen: Es ist nicht die Art seiner Generation. Norbert Röttgen, 46 Jahre, geboren im rheinischen Regierungsbeamtendorf Meckenheim, kam in die Politik als ein Kind der Strickjackenzeit. Die Strickjacke umhüllte den massigen Leib des Helmut Kohl, der vom Rebellen aus der Pfalz längst zum Alleinherrscher geworden war, durch die Einheit historisch geadelt. Röttgen, 1994 ins Parlament eingezogen, litt wie viele seiner Altersgenossen unter den Diskussionsverboten, die den Unangreifbaren umgaben. Heimlich traf sich die Truppe mit jungen Grünen beim Italiener – die legendäre „Pizza-Connection“. Immer mal wieder formulierten sie renitente Positionen – für eine Reform des Staatsbürgerrechts, für Tibet, für den Klimaschutz. Kohl fand das gesittete Aufbegehren der „Jungen Wilden“ ganz amüsant und bunte Tupfer im christdemokratischen Schwarz nützlich. Die Jungen entwickelten früh den gelinden Masochismus des Realpolitikers im Umgang mit Niederlagen. In der Breite der Partei galt die Generation Röttgen als Außenseitertruppe. Fast logisch, dass sie nach Kohls Ende zum engsten Kreis der Seiteneinsteigerin Merkel wurden.

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Warum Röttgen ein Außenseiter bleibt

Heute sitzen sie an den Schaltstellen von Partei und Regierung: Ronald Pofalla und Eckard von Klaeden im Kanzleramt, Peter Altmaier und Günter Krings in der Fraktion, Hermann Gröhe als Generalsekretär im Adenauer-Haus. Sie sind keine Gruppe mehr, in manchem Konkurrenten; Röttgen war eh immer Solitär. Trotzdem eint sie eine Denkweise. Und vieles von dem, was sie wollten, ist erreicht. Die Union sagt heute „Integration“, über Staatsbürgerrecht streitet keiner mehr. Etwas vom Außenseiter-Image ist trotzdem geblieben. Es prägt sogar ihr Selbstbild. Kaum einer von ihnen käme so schnell auf die Idee, von sich zu sagen, er sei das Epizentrum der CDU. Vielleicht kann das einer nicht mehr, der Kohl als Sonnenkönig erdulden musste.

Vielleicht ist es aber auch einfach nur realistisch. Gegen Atomkraft zu sein, zum Beispiel, ist in der CDU nach wie vor alles andere als Mainstream. Röttgen ist das nur zu bewusst. Ob man sich nicht besser mehr Zeit gelassen hätte mit all diesen Gesetzen, wegen der Gründlichkeit, fragt Töpfer beim Ministeriumsgeburtstag. „Wir haben eine Gelegenheit beim Schopf gefasst“, antwortet Röttgen. In dem Satz schwingt noch die Angst mit, dass schon zwei, drei Wochen später die Gelegenheit verstrichen wäre. Gut möglich, dass die anderen wieder die Oberhand bekommen hätten.

Die anderen sitzen am Donnerstag pflichtgemäß im Reichstag und hören zu, wie ihre Kanzlerin ihnen die Atomwende erklärt. Merkels Rede zielt eigentlich auf die eigenen Reihen, eine Mischung aus Rechtfertigung, Erklärung, Werbung für die „Herkulesaufgabe“ und Seelenpflege für die Verlierer, die in der Formulierung gipfelt, dass sie die Bedenkenträger in Union und FDP weder als „Ideologen“ noch als „Spinner“ betrachte, sondern als Menschen mit sehr berechtigten Anliegen. Der Beifall bleibt blamabel dürftig.

Der Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs wird später betonen, dass er „immer noch“ skeptisch sei, ob das alles funktionieren wird. Fuchs hat einen sehr roten Kopf dabei. Er darf nicht sagen, dass er den Atomausstieg für Unsinn hält, anstrengend für einen, der aus seinem Herzen sonst keine Mördergrube macht. Nur dass er Röttgen Beifall klatscht, wäre zu viel verlangt.

Für Leute wie Fuchs ist Röttgen immer noch der Agent des Gegners im eigenen Lager. Bei der Abstimmung in der Unionsfraktion über das Atomgesetz haben acht Abgeordnete Nein gesagt und weitere acht sich enthalten. Das ist praktisch folgenlos, aber symbolisch wichtig. Nicht nur CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt hält es für ausgemacht, dass etliche sich verweigerten, „weil sie einem den Erfolg nicht gönnten“.

Doch ist es ein Erfolg – oder ist es nicht einfach nur so, dass die Dinge zwangsläufig in seinem Sinne liefen, als der Reaktor in Japan explodierte? Wenn man Beteiligte nach seiner Rolle in den vier Tagen im März fragt, in denen die Atom-Koalition sich in ein Ausstiegsbündnis verwandelte, ergibt sich ein interessantes Bild. Röttgen hat die Wende auch direkt vorangetrieben. Vor allem aber hat er als eine Art Drohung gewirkt. Merkel musste damit rechnen – und hat einkalkuliert –, dass sich ihr Umweltminister öffentlich jedem Versuch widersetzen würde, es auf ein „weiter so“ ankommen zu lassen. Die beiden haben kein schlechtes Verhältnis, aber sie wissen jeder vom anderen, wo Grenzen liegen. Spätestens seit Röttgen sich den Landesvorsitz im größten CDU-Verband NRW erkämpft hat, ist auch sein Machtwille offenkundig.

Am Tag, als der Reaktor in Fukushima explodierte, war Röttgen in Bonn. Er hat gleich einen Krisenstab gebildet. Und da hat einer daran erinnert, wie es die CDU vor einem Vierteljahrhundert fast die Macht gekostet hätte, als Friedrich Zimmermann die Ortschaft Tschernobyl für eher nebensächlich erachtete – Umweltpolitik war da noch ein Referat im Innenministerium. Röttgen hat sich mit seinen Experten beraten und dann vor Kameras erklärt, dass in Japan möglicherweise eine Kernschmelze in Gang sei.

Damit war klar, dass Röttgen es nicht mitmachen würde, die Katastrophe kleinzureden. Trotzdem war für Merkel am Ende entscheidender, dass Westerwelle, dass Horst Seehofer, dass der Wahlkämpfer Stefan Mappus die Radikalwende unterstützten.

Röttgen ist dafür der, der die Abneigung der anderen auf sich zieht. Dass ausgerechnet dieser Kerl recht behalten soll, der die Notoperation auch noch mit philosophischen Predigten feiert! „Fukushima ist eine neue Menschheitserfahrung“, sagt Röttgen im Bundestag, von einer „großen Chance für unser Land“ spricht er. Aber am übelsten nehmen sie ihm den Satz: „Die Gesellschaft möchte den Konsens.“ Es ist seine Art zu sagen: Hättet ihr besser schon vor einem halben Jahr auf mich gehört, als ich gewarnt habe, die CDU dürfe nicht letzter Verteidiger der Kernkraft sein!

Es ist ein Glück für den Minister, dass er erst kurz vor Mittag vor halbleerem Saal spricht; die Beifallsverweigerung bei Union und FDP fiele sonst noch mehr auf. Aber nicht nur diese Seite des Hauses mag ihn heute nicht. Noch viel mehr und noch viel offensichtlicher missachten ihn die Grünen. Ausgerechnet die, alte Kumpels aus Bonner Tagen. Neulich noch hat er in einem Interview verkündet: „Schwarz-Grün ist nicht tot.“

Doch während Röttgen redet, empört sich Renate Künast mit sprechender Gestik über den hohen Ton da vorn vom Podium. Später geht sie sogar bei Fuchs vorbei, ein kurzer Wortwechsel, Fuchs legt der Grünen-Kollegin beruhigend die Hand auf den Arm. Röttgen spricht immer noch, als Trittin aufsteht und zur Frau Kanzlerin vorschreitet. Merkel hat bis dahin in ihrem Sessel gehangen, als ob sie jetzt gerade der Jetlag von der Washington-Reise voll erwischt hätte. Als Trittin auftaucht, wird sie sofort hellwach. Kaum ist ihr Minister fertig, zieht sie sich mit dem Grünen in eine Hinterbank zurück. Man sieht, wie Trittin etwas erklärt und Merkel zustimmend nickt.

Merkel braucht die Grünen. Sie will den Konsens. Die Grünen haben nichts gegen den Konsens, Trittin schon gar nicht, sofern der Preis stimmt. Aber so was bespricht man nicht mit dem Verbündeten von gestern. Das verhandelt man auf Augenhöhe mit der Chefin.

Und so erlebt Norbert Röttgen an diesem Tag eine sehr eigentümliche Situation: ein Sieger, von dessen Sieg keiner etwas wissen will. Immerhin, am Montag bei der Feierstunde im Ministerium hat Klaus Töpfer dem jungen Kollegen aufmunternd auf die Schulter geklopft. Alle, die nach ihm selbst als Umweltminister gekommen seien, hat Töpfer gesagt, hätten hinterher Karriere gemacht; Merkel sei ja sogar Bundeskanzlerin geworden. „Also, alles noch drin, Röttgen“, raunzte der Ältere freundschaftlich. Aber dann hat er aus dem Augenwinkel gesehen, wie Trittin eine Handbewegung gemacht hat, und da hat Töpfer nachgeschoben: „Trittin – sowieso!“ Der Grüne lacht. Netter Gedanke: Er wird schneller Kanzler. Und Röttgen? Nun ja, zu spät.

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