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Bundesumweltminister Norbert Röttgen gehört zu den Ausstiegsbefürwortern in der CDU. Lange gehörte der NRW-Parteichef damit zur Minderheit in der Partei.

© dpa

Atomausstieg: Röttgens Stunde

Atom und Koalition: Der Skeptiker fühlt sich bestätigt – die Nuklearfreunde sind kleinlaut. Schon bevor er Umweltminister wurde, hatte Norbert Röttgen die eigene Partei davor gewarnt, den Großkonflikt um die Atomkraft neu anzufachen.

Von Robert Birnbaum

Es gibt Fragen, auf die kann man eigentlich sehr knapp und präzise antworten. Was er von der Forderung des FDP-Generalsekretärs Christian Lindner halte, alle acht Alt-Atommeiler jetzt schon auf Dauer abzuschalten? Könnte Norbert Röttgen frei von der Leber weg reden, müsste er jetzt sagen: nichts. Aber erstens redet der Umweltminister gerne etwas länger, und zweitens ist Lindner trotz allem Koalitionspartner. Also kleidet Röttgen das „Nichts“ in eine leidlich höfliche Formel: „Da kann jeder seine Meinung dazu haben.“

Eine Meinung wie viele – tatsächlich ist der Reim, den sich führende Christdemokraten auf Lindners Vorstoß machen, noch sehr viel abschätziger. Sie sehen in der radikalen Abkehr des jungen FDP-Generals vom bisher ausgesprochen wirtschafts-, also atomfreundlichen Kurs seiner Partei weiter nichts als einen Beitrag zum Personal- und Positionskampf bei den Freien Demokraten. Ob Lindner damit mehr den Wirtschaftsminister Rainer Brüderle oder seinen eigenen Parteichef Guido Westerwelle herausfordern wollte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Einigkeit herrscht aber darüber, dass man den Zwischenruf als Sachbeitrag zur Atomdebatte nicht ganz ernst nehmen muss. Außer einer kurzen ersten Reaktion von Fraktionschef Volker Kauder – man habe ein Verfahren vereinbart, und so gehe das nicht – ist folglich keine weitere Wortmeldung aktenkundig.

Auch Röttgen besteht auf dem Verfahren, das schließlich die Bundesregierung festgelegt habe: Während des dreimonatigen Moratoriums erarbeitet die Reaktorsicherheitskommission die technische Grundlage für eine Neubewertung des Atom-Risikos, die Ethik-Kommission unter Ex-Umweltminister Klaus Töpfer sucht nach Wegen für einen gesellschaftlichen Konsens über die Frage, was als Risiko vertretbar ist und was nicht – und am Ende entscheiden Regierung und Parlamente. Diesen Prozess ebenso wie die beteiligten Persönlichkeiten solle man doch bitte „ernst nehmen“, sagt Röttgen. Das gilt noch mal Lindner. Von dessen Idee, mit den Atomkonzernen einen neuen Konsensvertrag auszuhandeln, hält der Minister übrigens auch nichts: „Es geht jetzt nicht um Verhandlungen“, sagt er, sondern um die „sachverständige, unabhängige Erarbeitung von Grundlagen für die politische Bewertung“.

Hinter diesem Verfahren steckt eine Art politische Brückentechnologie. Röttgen weiß besser als viele andere in der CDU, dass es in Sachen Atomkraft den gesellschaftlichen Konsens längst gibt: Bloß schnell raus aus dieser Technik. In der CDU sieht das aber längst noch nicht jeder so. In der Regierung, bei der Kanzlerin angefangen, hat man bis vor einem halben Jahr auch anders geredet und gehandelt. Die beiden Expertenkommissionen sollen Skeptikern und Frischbekehrten eine Brücke bauen, über die sie aufrecht zu grünen Ufern wechseln können.

Die Skeptiker sind übrigens recht still im Moment. Das liegt auch daran, dass in dieser Woche der Bundestag Sitzungspause hat und die meisten Parlamentarier daheim in den Wahlkreisen sind, fern von den meisten Reportermikrofonen. Doch im schwarz-gelben Wirtschaftsflügel macht sich auch zunehmend der Eindruck breit, dass diese Schlacht verloren ist. Das Tempo von Merkels Atomwende hat viele in den eigenen Reihen verwirrt, manche verbittert. Trotzdem glaubt kaum einer, dass sich der Schwenk rückgängig machen lässt. Selbst Fraktionschef Kauder, der im Streit um die Laufzeitverlängerung auf möglichst lange Laufzeiten gedrungen hatte – selbst Kauder sieht ja sein Weltbild durch die Katastrophe von Fukushima erschüttert.

Außerdem haben die Atomfreunde in der Union sich einen taktischen Fehler geleistet, der von ihren Widersachern genau vermerkt worden ist: Noch bevor die Wahllokale in Baden-Württemberg öffneten, haben einige Merkels neuen Kurs öffentlich kritisiert. Wer den eigenen Wahlkämpfern in den Rücken gefallen ist, sagt ein Unionsmann, der verhält sich nach der Niederlage besser erst mal kleinlaut.

So bleibt den Freunden des Atomstroms wohl nur noch, die Probleme eines raschen Ausstiegs zu betonen: hohe Kosten für den Umstieg in erneuerbare Energien und den Ausbau der Netze, juristische Unwägbarkeiten um Schadenersatzansprüche bei Abschaltung von Reaktoren, die Angst vor steigenden Strompreisen für den Verbraucher und die Wirtschaft. „Den Umstieg gibt es nicht umsonst“, sagt einer aus dem schrumpfenden Kreis der Atom-Befürworter. „Das müssen wir den Leuten dann aber auch in aller Deutlichkeit sagen.“

Röttgen hätte damit vermutlich nicht mal allzu viele Probleme. Schon bevor er Umweltminister wurde, hat er die eigene Partei davor gewarnt, den Großkonflikt um die Atomkraft neu anzufachen. In Merkels „Herbst der Entscheidungen“ konnte er sich nicht durchsetzen. Am Montag im CDU-Präsidium hat Röttgen daran erinnert und so noch mal jeden wissen lassen, dass Baden-Württemberg weiter von der CDU regiert sein könnte, wenn man auf ihn gehört hätte. Öffentlich kostet er das Gefühl, recht gehabt zu haben, etwas gedämpfter aus: „Ich denke nur gelegentlich darüber nach und rede nicht so viel darüber.“

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