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Politik: Atomausstieg

"Bundeskanzler Schröder hat der Industrie ein neues Angebot zum Atomausstieg gemacht" - so oder ähnlich hat es am 21. Februar in vielen Zeitungen gestanden.

Von Robert Birnbaum

"Bundeskanzler Schröder hat der Industrie ein neues Angebot zum Atomausstieg gemacht" - so oder ähnlich hat es am 21. Februar in vielen Zeitungen gestanden. "Strommengen statt Kalenderjahre" hieß Schröders neue Losung. Die Botschaft schien klar: Wieder einmal hat der Kanzler in das derzeit schwierigste innenpolitische Projekt der Regierung persönlich eingegriffen und den Kontrahenten die Richtung gewiesen. Und genau so sollte die Botschaft auch beim Publikum ankommen. Tatsächlich geschehen war freilich etwas anderes. Das Strommengen-Modell war zu dem Zeitpunkt, als es Schröder öffentlich verkündete, schon Gegenstand der Expertengespräche zwischen Regierung und Industrie. Es gab ein detailliertes Konzept; das Copyright teilen sich Wirtschaftsminister Müller und Umweltminister Trittin sowie Trittins Staatssekretär Baake. Aber sowohl der parteilose Kanzler-Vertraute Müller als auch der Grüne Trittin haben jeder Versuchung widerstanden, damit öffentlich vorzupreschen.

Dass diese Bescheidenheit gerade beim Atom-Thema etwas Neues war, ist sattsam bekannt. Schließlich hat Trittin vorher mehr als einmal den Kanzler durch Forderungen, Drohungen und Ultimaten erzürnt, was Schröder mit Rüffeln bis hin zur kaum verhüllten Rausschmiss-Drohung quittierte. Doch wenn ihr erstes Regierungsjahr die rot-grünen Koalitionäre eines gelehrt hat, dann dies: Streitereien lohnen sich nicht. Die Atomindustrie zum Beispiel hat es stets verstanden, Differenzen im Regierungslager zu ihren Gunsten zu nutzen. Und das Publikum hat den Zank nicht als Zeichen ernsthaften Ringens um die beste Lösung gedeutet, sondern als Beleg für die Unfähigkeit zu regieren. Seither hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: Gewinnen können wir nur als Team. Darum hat Teamchef Schröder den Vorschlag verkündet, der wohl die Basis für einen Atomkonsens bilden wird. Getreu einem Motto, das ein Koalitionär schon vor einiger Zeit in die Formel gefasst hat: "Aller Lorbeer für den Chef."

Der schöne blaue Hintergrund für die Fernsehkameras ist früh aufgebaut, im ersten Stock des Kanzleramts. Man hat es an diesem Novembertag eilig. Der Bundeskanzler hat den Holzmann-Betriebsrat und den Chef der IG Bau zum Gespräch gebeten und per Fax zur Pressekonferenz eingeladen. Die Erwartungen sind nicht sehr hoch. Denn in Frankfurt hat Holzmann den Insolvenzantrag schon gestellt und nach Tagen aufgeregter Diskussionen gilt das Schicksal von 17 000 Arbeitsplätzen als besiegelt. Doch eine Viertelstunde vor der angekündigten Zeit tritt Schröder vor die Fernsehwand: Er werde es noch einmal versuchen, durch persönlichen Einsatz. Sein Auftritt ist ein reines Fernsehereignis. Erlaubt sind nur drei Fragen - die Antworten hinterlassen mehr Rätselraten als Klarheit. Schröder will intervenieren, soviel ist klar. Aber mit welchen Mitteln? Symbolisch, um zu zeigen, dass er die Sorgen um die Arbeitsplätze ernst nimmt? Oder ernsthaft, womöglich mit Steuergeldern?

Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: Wenige Tage später ist die Holzmann-Pleite abgewendet. In Frankfurt skandiert die Belegschaft: "Gerhard, Gerhard." Der Kanzler ist der Retter. Doch der Jubel ist nicht allgemein. Schröder muss sich vorhalten lassen, die Aktion sei traditioneller SPD-Interventionismus, der zum Bild des Modernisierers schlecht passt. Desto größer ist die Freude in der SPD, vor allem bei denen, die sich die Serie der Wahlniederlagen des Herbstes vor allem dadurch erklären, dass unter Schröder der Gerechtigkeitssinn der SPD gelitten, ihr Sinn für die kleinen Leuten nachgelassen habe. Die Holzmann-Intervention findet nach den Wahldebakeln und vor dem Dezember-Parteitag der SPD statt. Sie hilft Schröder in der SPD. Der Kanzler hat übrigens in diesem spektakulären Fall nicht nur vor den Kameras agiert. Schon vor der Ankündigung der Intervention hat Kanzleramtsminister Bury intensiv die Verhandlungen zwischen den Banken begleitet. Nach dem Erfolg ermahnt Schröder seine Partei. Diese Intervention bleibe eine Ausnahme.

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