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hinten schwarzer Kastenbau (Akw), vorne beiger Kastenbau (Zwischenlager)

© dpa

Atomenergie: Deutschland droht Atommüll-Chaos

Nach dem Aus für das Zwischenlager Brunsbüttel ist völlig offen, wo mehr als 30 Castoren bleiben sollen. Das Endlagergesetz wird kommende Woche aber vermutlich trotzdem beschlossen.

Nachdem das Oberverwaltungsgericht Schleswig die Betriebsgenehmigung für das Zwischenlager Brunsbüttel kassiert hat, könnten neun Castoren mit abgebrannten Brennelementen aus dem benachbarten Atomkraftwerk demnächst illegal dort stehen. Ähnliches droht für acht Castoren im Zwischenlager des Atomkraftwerks Unterweser in Niedersachsen. Dort steht ein vergleichbares Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg noch bevor.

Für die anderen Standortzwischenlager hat das Gerichtsurteil, sollte es rechtskräftig werden, zunächst keine Auswirkungen. Denn diese verfügen über gerichtsfeste Genehmigungen. „Aber eins ist klar: Komfortabler ist die Situation nicht geworden“, sagte der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) dem Tagesspiegel. Stuttgart hatte in der Debatte über das in der kommenden Woche im Bundestag abschließend verhandelte Endlagersuchgesetz angeboten, sechs Behälter mit mittel radioaktivem Atommüll aus der Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague zu übernehmen, die 2015/16 zurückgenommen werden müssen. Die Kieler Landesregierung hatte zugleich das Zwischenlager Brunsbüttel als möglichen Standort für die Rücknahme von 14 bis 16 Castoren aus Sellafield angeboten. Robert Habeck (Grüne) sagte am Donnerstag: „Wir halten das Angebot aufrecht, es müssen aber höchste Sicherheitsstandards erfüllt sein, und es muss natürlich rechtssichere Genehmigungen geben.“

Solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, bleiben die Castoren aber zunächst, wo sie sind. „Wir können sie ja nicht auf die Straße stellen“, sagte der Kieler Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) der Nachrichtenagentur dpa.

Auch auf die Verabschiedung des Endlagersuchgesetzes dürfte das Urteil keine großen Auswirkungen haben. Allerdings dürfte es der Bundesregierung schwer fallen, bis Anfang 2014 ein rechtssicheres Konzept vorzulegen, wohin die 26 Castoren aus der Wiederaufarbeitung rollen sollen, wenn sie, wie es im Gesetz vorgeschrieben werden soll, nicht mehr im Zwischenlager Gorleben gelagert werden dürfen. Außerdem werden sich nach Einschätzung der SPD-Bundestagsabgeordneten Ute Vogt Anwohner auch andere Atomanlagen – Zwischenlager und Atomkraftwerke – „Gedanken machen“. Sie rechnet mit mehr Klagen auf eine Überprüfung des Terrorschutzes.

Weil es um Terror geht, bleiben viele Unterlagen geheim

Wie schwierig solche Verfahren sind, hat der Prozess vor dem OVG Schleswig gezeigt. Weil es um Terrorismus ging, konnte und durfte das BfS viele Unterlagen nicht vorlegen, die womöglich bewiesen hätten, dass es die Gefahren ordentlich geprüft hat. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Maria Flachsbarth sagte dem Tagesspiegel: "Wir wollen ja Terroristen keine Gebrauchsanleitungen liefern." In einer ersten rechtlichen Bewertung des Urteils, das dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es, dass die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden alle drei Jahre sogenannte Lastannahmen treffen, in denen Szenarien möglicher Terrorangriffe, die dafür verwendeten Waffen und Strategien vorgegeben werden. "Die Lastannahmen sind geheim und können nicht vorgelegt werden", heißt es in dem Papier.

Das BfS hat offenbar nicht nur gegen den Widerstand der Energiekonzerne die Auswirkungen von Flugzeugabstürzen in den Genehmigungsverfahren für die Zwischenlager geprüft, sondern 2006 im Genehmigungsverfahren für das zentrale Zwischenlager in Gorleben auch eine Einbeziehung des A 380 vorgeschlagen. "Das Bundesumweltministerium hat mit Erlass vom 17.7.2006 seine Auffassung begründet, weshalb der A 380 in dem Genehmigungsverfahren nicht zu unterstellen ist", heißt es in der Bewertung. Nachdem der A 380 im Jahr 2008 die ersten Linienflüge aufnahm, hat das BfS jedoch eine zusätzliche Überprüfung eines A-380-Szenarios unternommen, das 2010 abgeschlossen wurde. Das OVG Schleswig hatte in seinem Urteil moniert, dass 2003 vor der Genehmigung des Zwischenlagers eine Überprüfung des A 380 als mögliches Risiko nicht vorgenommen worden war.

Viele rechnen mit einer Klagewelle von Anwohnern

Kaum war das Urteil in Sachen Atommüll-Zwischenlager in Brunsbüttel gesprochen, brach dort die Hölle los. Schwere Gewitter mit Starkregen hinterließen in der Stadt überschwemmte Straßen und vollgelaufene Keller. Das Wetter war zwar keine Reaktion auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Schleswig, die Betriebsgenehmigung des Zwischenlagers aus dem Jahr 2003 außer Kraft zu setzen. Aber es passt ganz gut. Schließlich ist Brunsbüttel der Standort, der nicht nur den im benachbarten, im Jahr 2011 stillgelegten Atomkraftwerk produzierten Atommüll beherbergen soll, sondern darüber hinaus womöglich 14 bis 16 Castor-Behälter mit radioaktivem Müll aus der Wiederaufarbeitung im britischen Sellafield.

Der Fall reicht in die Frühzeit des ersten Atomausstiegsbeschlusses aus dem Jahr 2000 zurück. Damals war die Wiederaufarbeitung verboten und der Bau von Standortzwischenlagern beschlossen worden. Zwischen 2001 und 2003 hat das zuständige Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) die meisten der zwölf dezentralen Zwischenlager genehmigt. Der aus den Wiederaufarbeitungsanlagen zurückzunehmende Müll aus La Hague und von 2015 an aus Sellafield sollte im zentralen Zwischenlager in Gorleben unweit des umstrittenen Erkundungsbergwerks für ein mögliches Endlager gelagert werden.

2004 klagte ein Ehepaar, das nicht weit vom Zwischenlager Brunsbüttel einen Hof betreibt, gegen die Genehmigung. 2007 wies das OVG Schleswig die Klage ab. 2008 hob das Bundesverwaltungsgericht dieses Urteil auf. Im Gegensatz zum OVG Schleswig gestand das Bundesverwaltungsgericht Anwohnern ein Klagerecht zu, damit gerichtlich überprüft werden kann, ob dem Schutz vor terroristischen Anschlägen durch den gezielten Absturz von Verkehrsflugzeugen oder Angriffe mit panzerbrechenden Waffen Genüge getan worden ist. Das Bayerische Verwaltungsgericht hatte in den Klagen gegen die Zwischenlager Gundremmingen, Ohu (Isar) und Grafenrheinfeld ein solches individuelles Klagerecht verworfen und die Genehmigungen damit rechtskräftig gemacht. Dagegen ist beim Zwischenlager Unterweser in Niedersachsen ein ähnliches Verfahren noch anhängig. Auch im Fall Unterweser war eine Klage von Landwirten vom zuständigen Oberverwaltungsgericht Lüneburg zunächst abgewiesen und vom Bundesverwaltungsgericht wieder ans OVG Lüneburg zurückverwiesen worden. Einen Verhandlungstermin für die Neubefassung mit der Klage gibt es aktuell noch nicht.

Das BfS wie der Betreiber des Zwischenlagers Vattenfall könnten nun beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde dagegen einlegen, dass das OVG Schleswig keine Revision zugelassen hat. Diese Beschwerde könnte bis zu vier Wochen nach dem Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründung noch eingelegt werden. Bis das Bundesverwaltungsgericht darüber nicht entschieden hat, ist das Urteil nicht rechtskräftig. Solange ändert sich für die neun in Brunsbüttel gelagerten Castor-Behälter zunächst nichts. Sollte das Urteil rechtskräftig werden, müsste die Kieler Atomaufsicht wohl eine Anordnung erlassen, die Castoren zunächst weiter dort zu lagern. Denn eine Genehmigung für die Lagerung anderswo liegt ebenfalls nicht vor. Das sieht das Konzept der standortnahen Zwischenlager nicht vor. BfS wie Vattenfall wollen nun zunächst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten.

Der Hinweis auf das Restrisiko reicht den Gerichten nicht mehr

Cornelia Ziehm, Atomrechtsexpertin bei der Deutschen Umwelthilfe und Rechtsanwältin, sieht in dem aktuellen Urteil eine Veränderung der Rechtsprechung bestätigt, die das Bundesverwaltungsgericht mit seinen Rückverweisungen angelegt hat. Terroristische Angriffe könnten nicht mehr als „hinnehmbares Restrisiko“ definiert werden, sagt Ziehm. Das wird nach Einschätzung von Ute Vogt, die für die SPD im Gorleben-Untersuchungsausschuss gesessen hat, „auch Anwohner anderer Anlagen zum Nachdenken bringen“. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hatten Anwohner der acht ältesten, inzwischen stillgelegten Atomkraftwerke mithilfe der Umweltorganisation Greenpeace für eine Aufhebung der Genehmigungen geklagt. Einen ähnlichen Weg könnten Anwohner der noch weiter betriebenen Atomkraftwerke wie auch der Zwischenlager, sowohl der standortnahen als auch der zentralen wie Gorleben, nun wieder gehen. Ute Vogt sieht nach dem Urteil für die bevorstehenden Genehmigungsverfahren für die 26 Castoren aus Sellafield und La Hague, die 2015 und 2016 zurückgenommen werden müssen, jedenfalls neue Klagerisiken voraus und befürchtet, „dass der Zeitplan ins Wanken kommen könnte“. Zumal die Genehmigungen im Schnitt rund zwei Jahre gedauert haben.

Das BfS hat übrigens bei der Genehmigung der Zwischenlager gegen den Widerstand der Betreiber bereits geprüft, ob sie einem Flugzeugabsturz „gängiger Verkehrsmaschinen“ widerstehen könnten. Für die Zwischenlager Lingen, Grohnde, Brokdorf, Unterweser, Krümmel und Brunsbüttel sowie Neckarwestheim hält das BfS die Bauwerke auch im Fall eines gezielten Flugzeugabsturzes für standsicher. Im Fall der Zwischenlager Grafenrheinfeld, Biblis, Gundremmingen, Isar und Philippsburg könne ein Flugzeugabsturz dagegen „zu größeren Schäden mit einem Einsturz von Wänden und des Daches führen“. Allerdings weist das BfS darauf hin, dass die Castoren selbst nach den untersuchten Szenarien einen solchen Absturz dennoch überstehen würden. 2010 hat das BfS dann für alle Zwischenlager auch Szenarien mit dem größten 2003 noch nicht zugelassenen A 380 untersucht und ist weiterhin der Auffassung, dass die Zwischenlager und die Castoren auch das überstehen würden. Das abgeschaltete Atomkraftwerk Brunsbüttel, in dessen Abklingbecken noch Brennelemente lagern, bevor sie verpackt und ins Zwischenlager gebracht werden können, würde dagegen einem Absturz auch einer kleinen Verkehrsmaschine nicht standhalten.

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