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Politik: Atomenergie – Mythos ohne Kraft

ANFANG VOM AUSSTIEG

Von Dieter Fockenbrock

Der Atomausstieg beginnt in Stade. An diesem Freitag geht das erste deutsche Kernkraftwerk nach den Vorgaben des Atomkonsenses vom Netz. Für dieses Ziel sind einst Hunderttausende auf die Straße gegangen. Ihr Protest gegen Kernkraft und Endlager hätte die Nation fast gespalten, zeitweilig stand die Republik Kopf. Gewalttätige Auseinandersetzungen bedrohten sogar die innere Sicherheit dieses Staates. Als die grüne Friedens und Anti-Atom-Partei 1998 als kleiner Koalitionspartner an die Regierung kam, versprach sie ihren Wählern den Ausstieg: Atomkraft, nein danke. Aus dem einstigen Schlachtruf war längst ein in Konferenzräumen verhandelbares politisches Ziel geworden.

Jetzt wird es Realität. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist unspektakulär. Keine Feier, keine Ansprache, keine machtvolle Demonstration, kein Triumphzug. Kein Minister, der am Freitag einen Knopf drückt. Nicht einmal vernünftige Bilder fürs Fernsehen. Denn was sich im Innern des Reaktors abspielt, kann nicht besichtigt werden. Stade geht einfach vom Netz. Die Industrienation Deutschland nimmt Abschied von einer Technologie. Emotionslos und nüchtern.

Selbst Umweltminister Jürgen Trittin bemüht nicht das Wort vom „historischen Tag“. Der „symbolische Meilenstein rot-grüner Energiepolitik“ muss reichen. Dabei hätte Trittin durchaus Grund, etwas dicker aufzutragen. Immerhin hat die rot-grüne Bundesregierung am 14. Juni des Jahres 2000 einen Vertrag abgeschlossen, der seinesgleichen sucht. Die Atomindustrie gab dem massiven politischen und gesellschaftlichen Druck nach und verabredete mit der Regierung den geordneten Rückzug. Die Stromkonzerne sichern zu, ihre 19 Atommeiler bis zum Jahr 2021 abzuschalten und zu verschrotten.

Das ungewöhnliche Geschäft zwischen Staat und Wirtschaft funktioniert. Die Industrie steht fest zu ihren Vereinbarungen – noch. Denn die Unruhe wächst. Ist der Vertrag zum Atomausstieg nur eine Episode im langen Ringen um die Kernenergie? Ausgerechnet in diesem Jahr mehren sich die Stimmen, die das rot-grüne Atompaket aufschnüren wollen. Dass der Chef der Energiegewerkschaft, Hubertus Schmoldt, dafür plädiert, Kernkraftwerke länger als vereinbart laufen zu lassen, überrascht nur auf den ersten Blick. Schließlich sichern die emissionsfreien Atommeiler auch das Überleben der Kohlekraftwerke. Oder Angela Merkel. Wie ernst sind ihre Andeutungen, den Atomkompromiss nach einem Wahlsieg der Opposition 2006 zu lockern? Ist es ein Zufall, dass die Stromkonzerne jetzt davon reden, erst ab 2007 Entscheidungen über den Bau neuer Kraftwerke fällen zu wollen?

Die Regierung bewahrt Ruhe – demonstrativ. Denn Rot-Grün weiß nur zu genau, dass man die Geister selbst rief, die nun ihr Unwesen treiben. Zu hoch hat die Regierung offenbar ihre Klimaschutz-Ziele gehängt. Wer Kohlendioxid-Emissionen so drastisch reduzieren will wie Minister Trittin, der muss auch sagen, wie denn der Strom künftig produziert werden soll. Kohlekraftwerke, so viel ist klar, produzieren zu viel Abgase. Und Wind und Sonne werden nicht in der Lage sein, den Energieverbrauch zu decken. Da liegt es für die Kritiker des Ausstiegs nahe, das Ende der Kernkraft ein bisschen hinauszuzögern – der Umwelt zuliebe. Oder Atomstrom aus den Nachbarländern zu importieren, wenn es knapp wird.

Wer mit der Kündigung des Atomkompromisses spekuliert, treibt ein gefährliches Spiel. Einen Atomkompromiss würde es nie wieder geben. Schon eher eine Neuauflage der Proteste. Die Atomkraft ist keine zweite Machtprobe zwischen der Politik und dem Volk wert.

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