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Die EU-Außenbeauftragte Ashton und der US-Außenminister Kerry in Genf.

© AFP

Update

Atomgespräche mit dem Iran fortgesetzt: Nur ein erster Schritt

Die Gespräche über das umstrittene Atomprogramm Teherans sind am Samstag in Genf fortgesetzt worden. Auch der russische Ressortchef Sergej Lawrow will dazu stoßen. Doch selbst wenn es zu einer Vereinbarung kommt, wartet schon die nächste Herausforderung.

Am Freitagnachmittag hatte es noch so ausgesehen, als könnte den Verhandlungsführern der sogenannten 5+1 und dem Iran ein echter Erfolg glücken. Am Abend aber zeichnete sich ab, dass sich die Gespräche noch bis Samstag hinziehen werden. Jedenfalls werde dann auch der russische Außenminister Sergej Lawrow in Genf erwartet, hieß es aus Verhandlungskreisen.

Die fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat (USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich) sowie Deutschland sind sich zwar, was aus Verhandlungskreisen in Genf zu hören war, ziemlich nahe gekommen, was erste vertrauensbildende Schritte im Atomstreit betrifft. Noch vor wenigen Monaten hätte das niemand so rasch erwartet. Trotzdem ist der Weg hin zu einer vollständigen Lösung in jedem Fall noch weit. US-Außenminister Kerry sagte bei seiner Ankunft in Genf, es gebe "weiterhin erhebliche Differenzen" mit Iran, die er dann mit seinem iranischen Amtskollegen Mohammed Dschawad Sarif besprechen wollte.

Die Gespräche über das umstrittene Atomprogramm Teherans in Genf gingen am Samstagvormittag in den dritten Tag. Zunächst wird das am Vorabend unterbrochene Treffen zwischen dem amerikanischen und dem iranischen Außenminister, John Kerry und Mohammed Dschwad Sarif, fortgesetzt. Danach gehen dann die Verhandlungen des Irans und der fünf UN-Vetomächte plus Deutschland (5+1) auf Außenministerebene weiter. Nur China wird mit einem Vizeaußenminister vertreten sein.

Der russische Ressortchef Sergej Lawrow brach am Morgen von Moskau zu den Verhandlungen des Irans und der fünf UN-Vetomächte plus Deutschland (5+1) auf, wie das Außenministerium der Agentur Interfax mitteilte. Vizeaußenminister Sergej Rjabkow hatte angekündigt: „Wir erwarten, ein Ergebnis zu erreichen, das langfristig sein wird und auf das die Welt gewartet hat.“

Der iranische Vizeaußenminister Abbas Araghchi bezeichnete das fünfstündige Treffen zwischen Kerry und Sarif zwar als konstruktiv, betonte jedoch, dass beiden Seiten noch eine Menge Arbeit bevorstehe. Daher sei ein Durchbruch machbar, aber noch fraglich. Geplant ist ein schriftliches Abkommen zwischen dem Iran und den sechs Staaten.

Obwohl noch keine Details bekannt sind, gehen Beobachter davon aus, dass der Iran als Gegenleistung für eine Lockerung der Wirtschaftssanktionen Teile seiner Urananreicherung einstellen wird.

Sollten die so genannten 5+1 zusammen mit Iran tatsächlich am Wochenende noch zu einer Vereinbarung kommen, kommt es dann erst einmal darauf an, dass beide Seiten die vereinbarten "vertrauensbildenden Schritte" tatsächlich gehen werden.

Also ob Iran beispielsweise seine Urananreicherung auf 20 Prozent einstellt und damit beginnt, das bereits derart angereicherte Material zu reduzieren. Denn dieses kann relativ rasch zu waffenfähigem Uran verarbeitet werden. Je weniger Iran davon besitzt, umso weiter ist der Weg zur Atombombe, so die Überlegung der 5+1. Gleiches gilt für den Abbau von Zentrifugen, womit der Iran seine Kapazitäten zur Anreicherung reduzieren würde.

Und die 5+1 müssen ihre Zusagen einhalten.

Allerdings sollen wohl die für Iran besonders schmerzhaften Sanktionen im Öl- und Finanzsektor nicht aufgehoben werden. Dagegen wurde davon gesprochen, iranische Konten zu öffnen, die in den USA seit der iranischen Revolution 1979 eingefroren sind. Zudem könnten möglicherweise medizinische Güter sowie Ersatzteile für die zivile Luftfahrt wieder uneingeschränkt eingeführt werden.

Gelingt eine derartige Einigung, wartet aber schon die nächste Herausforderung: Die Frage, wie nicht nur vertrauensbildende Schritte, sondern eine Lösung des Atomstreits aussehen könnte. Ein solches umfassenderes Abkommen soll dann sicherstellen, dass der Iran nicht unter dem Deckmantel eines zivilen Atomprogramms an Atomwaffen arbeitet.

Nach zehn Jahren: Warum nähert man sich jetzt an?

Seit rund zehn Jahren wird über Irans Atomprogramm gestritten. Dass nun in Genf tatsächlich eine Vereinbarung abgeschlossen werden könnte, liegt vor allem an einer veränderten Haltung der Iraner. Der Iran hat ein großes Interesse daran, dass die Sanktionen gelockert werden, die im Zuge des Atomstreits gegen Teheran verhängt worden sind. Allein die Ölexporte sind in den vergangenen eineinhalb Jahren um die Hälfte zurückgegangen. Das bedeutet einen monatlichen Einnahmeverlust von rund fünf Milliarden Dollar, schreibt das "Wall Street Journal".

Der Ausschluss des Iran aus dem Swift-Netzwerk macht es nicht nur dem Staat quasi unmöglich, am weltweiten elektronischen Zahlungsverkehr teilzunehmen. Auch die privaten Unternehmer leiden massiv darunter, dass sie Zulieferer aus dem Ausland nur noch bar bezahlen können. Komplettiert wird die wirtschaftlich dramatische Situation durch eine Inflation von rund 30 Prozent und eine hohe Jugendarbeitslosigkeit.

Der neue Präsident Hassan Ruhani hatte bereits im Sommer damit Wahlkampf gemacht, Iran aus der außenpolitischen Isolation herauszuführen und so die wirtschaftliche Lage wieder zu verbessern. Dass das nicht ohne eine andere Tonart und ein Einlenken im Atomstreit gehen würde, dürfte dem erfahrenen Politiker, der selbst Chefunterhändler in Sachen Atom war, klar gewesen sein.

Die Atomgespräche traten in den vergangenen Jahren auf der Stelle

Der promovierte Politikwissenschaftler und Theologe Ruhani, der 1978 Revolutionsführer Chomeini ins Exil folgte, ist kein Reformer sondern ein moderates Mitglied der "Gründungselite" der Islamischen Republik. So besitzt der neue Präsident offenbar auch das Vertrauen von Chomeinis Nachfolger Ali Chamenei, der als oberster religiöser Führer das letzte Wort bei allen wichtigen Entscheidungen im Iran hat. Bei Ruhanis Vorgänger Mahmud Ahmadineschad, der darüber hinaus auch diplomatisch ausgesprochen ungeschickt agierte, war das zuletzt nicht mehr der Fall. Auch deshalb traten die Atomgespräche in den vergangenen Jahren auf der Stelle.

Mit Ruhani hat sich aber nicht nur der Inhalt der Verhandlungen, sondern auch der Ton deutlich geändert. Das dürfte ebenfalls geholfen haben, die Verständigung zu verbessern.

Israel ist strikt gegen ein Abkommen mit Iran

Benjamin Netanjahu bleibt sich treu. Wenn es um ein Zwischenabkommen mit dem Iran geht, gibt er den kompromisslosen Polterer. Seine Regierung fühle sich nicht an eine mögliche Vereinbarung der internationalen Gemeinschaft mit Teheran gebunden, sagte Israels Ministerpräsident. Diese Übereinkunft sei ein monumentaler Fehler, weil sie einseitig den Iran begünstige. Dieser müsse nichts geben, bekomme aber quasi alles. Schließlich werde der Druck der Sanktionen vom Land genommen. Mit ihm sei ein solcher „Deal des Jahrhunderts“ jedenfalls nicht zu machen. Nach Netanjahus Überzeugung setzt Teheran alles daran, in den Besitz von Atomwaffen zu kommen. Dies sei das wahre Ziel des iranischen Nuklearprogramms - und eine existenzielle Bedrohung für Israel. Doch die Weltgemeinschaft, auch da ist sich der 64-Jährige sicher, lässt sich von den anders lautenden, wohlklingenden Worten täuschen. Vor allem misstraut der konservative Likud-Politiker dem iranischen Staatschef. Netanjahu hält Hassan Ruhani für einen Wolf im Schafspelz, der genau weiß, was man im Westen hören möchte und damit seine wahren Absichten kaschiert. Sowohl auf politischer als auch auf militärischer Führungsebene ist in Israel kaum einer bereit, den Ankündigungen Teherans Glauben zu schenken. Man setzt - der Sicherheitsdoktrin des jüdischen Staates folgend - auf die eigene Stärke, bis hin zu einem denkbaren Präventivschlag.

Mahmud Ahmadinedschad an unnachgiebig wirkender Haltung schuld

Schuld an dieser unnachgiebig wirkenden Haltung ist nicht zuletzt Ruhanis Vorgänger. Mahmud Ahmadinedschad hatte während seiner achtjährigen Präsidentschaft keine Gelegenheit ausgelassen, dem "zionistischen Gebilde" mit Vernichtung zu drohen. Israel kam zu dem Schluss, dass Teheran allen Bekundungen zum Trotz Böses im Schilde führt. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Insofern ist der sich nun im Atomkonflikt abzeichnende Kompromiss für die Verantwortlichen in Jerusalem ein schwerer Schlag. Zum einen, weil sie überzeugt sind, dass allein der Iran davon profitiert. Zum anderen, weil klar wird, wie isoliert Israel inzwischen dasteht. Die Welt mag sich zwar über einen lang ersehnten Kompromiss freuen. Doch gleichzeitig fühlt sich der jüdische Staat mehr denn je, vor allem zu Unrecht, an den Rand des Geschehens gedrängt. Für Israels Regierende ist die Botschaft klar: Wir sind auf uns allein gestellt. Wie immer.

Der US-Außenminister? Spielt wieder eine wichtige Rolle

Es ist noch nicht allzu lange her, da schien es, als habe sich Amerika politisch vom Nahen Osten und seinen zahllosen Problemen verabschiedet. Zu groß war offenbar die Enttäuschung, dass sich in der Krisenregion nichts zum Besseren wenden wollte - trotz aller Anstrengungen. Statt Lob und Dank für den unermüdlichen Einsatz zu bekommen, musste sich die Supermacht ständig anhören, warum dies und jenes so nun mal nicht funktioniere. Kein Wunder, dass Washington sich zurückzog. So sah es zumindest in der ersten Amtszeit von US-Präsident Barack Obama aus. Doch egal, ob der Eindruck trog oder seine Berechtigung hatte - seit einigen Monaten sind die Vereinigten Staaten wieder im Nahen Osten präsent. Und ihre diplomatischen Bemühungen haben ein Gesicht: das von Außenminister John Kerry. Israel, Ägypten, Jordanien, Palästinensergebiete, der 69-Jährige ist ständig in der Region unterwegs. Seine Pendeldiplomatie zeigt Erfolge: Syriens Machthaber Baschar al Assad konnte dazu genötigt werden, sein Chemiewaffenarsenal offen zu legen und zerstören zu lassen. Kerry gelang es auch, die skeptischen Palästinenser und die misstrauischen Israelis wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Und nun hat der US-Politiker möglicherweise dem Iran Zugeständnisse im Atomkonflikt abgerungen. Mehr geht kaum. Auf derart breiter Front zu agieren, hat Sinn. Im Nahen Osten hängt fast alles mit fast allem zusammen. Dem Iran kommt aber in strategischen Fragen eine zentrale Rolle zu. Die Islamische Republik ist in der Region eine einflussreiche Großmacht. Gelingt es den USA, Einvernehmen mit dem Iran herzustellen, hätte dies vermutlich Folgen für andere Krisenherde.

Teheran könnte zum Beispiel Assad fallenlassen und die Hisbollah aus Syrien abziehen. Nicht ausgeschlossen auch, dass Iran die von ihr finanzierte Schiiten-Miliz dazu anhält, auf Angriffe gegen Israel zu verzichten. Das wiederum würde womöglich die Gemüter in Jerusalem etwas beruhigen. Und Amerika notwendigen Freiraum verschaffen, im Nahen Osten etwas zu bewegen. (mit dpa)

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