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Atomgipfel: Netanjahus Ausweichmanöver

Warum Israels Regierungschef Netanjahu nun doch nicht zum Atomgipfel nach Washington fährt.

Überraschend kam die Entscheidung von Benjamin Netanjahu nur für diejenigen, die immer noch nicht seinen Charakter und Stil kennen. Noch am Mittwoch hatte er sich zwar für eine Teilnahme an dem von US-Präsident Barack Obama einberufenen Nukleargipfel ausgesprochen. Zuvor aber hatte er das Thema Atomgipfel lange verschwiegen, was letztlich auf eine Nichtteilnahme seinerseits schließen ließ. Die offizielle Begründung dafür lautet, dass die Regierung bei dem Gipfel mit heftigen Angriffen auf Israel rechnete. Vor allem die muslimischen Staaten unter den mehr als 40 Teilnehmerstaaten würden Netanjahu unter Druck zu setzen versuchen, weil Israel zusammen mit den Atommächten Indien, Pakistan und Nordkorea den von 190 anderen Staaten unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat.

Auch Israel ist, nach weltweiter Ansicht, Atommacht. Gemäß dem sogenannten Atomspion Mordechai Vanunu besitzt der jüdische Staat schon seit Jahrzehnten mindestens 200 Atombomben und wohl auch einige Wasserstoffbomben, allesamt im Reaktorzentrum Dimona in der Negevwüste hergestellt. Doch noch länger gilt die israelische Atomdoktrin der „atomaren Ambivalenz“, der Vernebelung des atomaren Potenzials. Es gilt, was insbesondere der heutige Staatspräsident Schimon Peres, der auch „Vater von Dimona“ genannt wird, sinngemäß so formuliert hat: Israel wird niemals als Erster eine Atombombe zünden.

In Jerusalem ist man überzeugt, dass in Anwesenheit Netanjahus ausgerechnet die beiden arabischen Staaten, mit denen man durch Friedensverträge verbunden ist, Ägypten und Jordanien, zusammen mit der Türkei auf eine „atomwaffenfreie Zone Nahost“ drängen wollten, mit eindeutiger Zielrichtung gegen Israel. Netanjahu wird beim Atomgipfel nun durch einen seiner vielen Vizes, seinen als politisch weitaus gemäßigter geltenden Freund, den Minister für Geheimdienste und Atomenergie Dan Meridor, vertreten, der allerdings vom kompromisslosen Hardliner Uzi Arad, Netanjahus nationalem Sicherheitsberater, begleitet wird.

Höchstwahrscheinlich hat Netanjahus Absage seiner Washington-Reise aber noch einen ganz anderen Grund, über den man in Jerusalem allerdings nicht zu sprechen bereit ist: Netanjahu fürchtet sich vor einem Treffen mit US-Präsident Obama, oder will zumindest eine solches derzeit vermeiden. Noch vor kurzem hatte er verzweifelt um ein solches gerungen, um persönliche und politische Spannungen zwischen ihm und Obama, Jerusalem und Washington, abzubauen. Stattdessen setzte ihn ein aggressiver Obama mit harten Forderungen und herabwürdigendem Verhalten derart unter Druck, dass das Treffen aus israelischer Sicht ein historischer Misserfolg wurde.

Seither ist Netanjahu Obama verbindliche Antworten auf dessen Forderungskatalog, insbesondere zu den Siedlungsaktivitäten und dem Verhandlungsprozess mit den Palästinensern, schuldig. Obwohl die von Washington gesetzte zeitliche Frist dafür längst abgelaufen ist, ließ Netanjahu vor wenigen Tagen verlauten, es werde noch einige Wochen dauern, bis er antworte. Diese Ankündigung war ein eindeutiges Zeichen dafür, dass Netanjahu Obama jetzt nicht begegnen möchte. Netanjahu geht wohl zu Recht davon aus, dass der amerikanische Präsident die bisherige vollkommene Rückendeckung für Israels Atompolitik zumindest infrage stellen würde, solange sich Jerusalem nicht positiv zu seiner neuen Nahostpolitik stellt.

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