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Trauertag. Eine Frau sucht den Namen ihrer am 11. März 2011 durch den Tsunami getöteten Schwiegertochter. Rund 19 000 Menschen starben bei der Naturkatastrophe. Derzeit leben noch knapp 300 000 Menschen in provisorischen Unterkünften. Doch während die Tsunami-Opfer hoffen können, irgendwann wieder nach Hause zu dürfen, können die Menschen, die wegen der Atomkatastrophe in Fukushima Daiichi evakuiert wurden, womöglich jahrzehntelang nicht zurück.

© dpa

Atomkatastrophe in Fukushima: Die naturgegebene Staatskrise Japans

Genau zwei Jahre ist der Beginn der Katastrophe jetzt her. Doch Japan tut sich mit der Bewältigung der Folgen des Atomunglücks in Fukushima und dem Wiederaufbau nach dem Tsunami schwer.

Zwei Jahre nach dem Erdbeben und verheerenden Tsunami in Japan, die in Fukushima Daiichi eine Atomkatastrophe ausgelöst haben, steht das Land bei der Bewältigung der doppelten Katastrophe noch immer am Anfang. Mitsuhiko Tanaka, der in den 70er Jahren als Ingenieur in dem havarierten Atomkraftwerk gearbeitet hatte, lehnt die Atomenergie heute ab. Nach der Kernschmelze in drei Reaktoren sei die Situation zwar derzeit stabil. Doch vor allem das Brennelementebecken bei Reaktor vier beunruhigt Tanaka: „Es ist unklar, ob das Gebäude einem weiteren Erdbeben standhalten kann.“

Zum Unfallzeitpunkt war Reaktor vier wegen Wartungsarbeiten abgeschaltet. Der gesamte Reaktorkern war in das Brennelementebecken ausgelagert worden. Nun soll es entladen werden, die Brennelemente sollen in einem neuen Nasslager auf dem Gelände untergebracht werden. Die Arbeiten seien jedoch sehr komplex, berichtet Tanaka. Es könne bis zu zwei Jahre dauern, bis sie abgeschlossen seien. Das andere große Problem sei das kontaminierte Kühlwasser, das bei der Stabilisierung der havarierten Reaktoren ständig anfällt. Es werde in Behältern gelagert. In spätestens zwei Jahren gebe es dafür keinen Platz mehr. Deshalb sei die Möglichkeit, das kontaminierte Kühlwasser in den Pazifik einzuleiten, noch nicht vom Tisch.

„Wir sprechen von einer noch nie da gewesenen regelrechten Staatskrise“, sagt Shin’ichi Sakaguchi, der Beauftragte im Amt für den Wiederaufbau in Japan. Auf Einladung der Japanischen Botschaft und des Japanisch-Deutschen Zentrums ist Sakaguchi nach Berlin gereist, wo er bei einer Gedenkveranstaltung am heutigen Montag über den Wiederaufbau sprechen wird. „Heute leben noch immer etwa 292 000 Menschen in provisorischen Übergangswohnungen.“

Zuständig für den Wiederaufbau vor Ort seien die Kommunen selbst, sagte Sakaguchi. „Sie stehen den Einwohnern am nächsten und sind über die jeweils besondere Situation vor Ort am besten im Bilde.“ Allerdings fehle es dort nicht nur oft an Geld, sondern auch an Personal, weswegen für einige Wiederaufbauprojekte eigens Staatsbeamte in die Kommunen entsandt worden seien. Zudem habe die Regierung die nicht von der Katastrophe betroffenen Kommunalverwaltungen aufgerufen, ihre Mitarbeiter für die Verwaltungen der Katastrophengebiete freizustellen. Die Vermittlungsarbeiten habe der Staat übernommen, ebenso wie die dafür notwendigen Personalkosten.

Bislang, sagte Sakaguchi, habe Japan für den Wiederaufbau 13,1 Billionen Yen (rund 104 Milliarden Euro) ausgegeben. Für die ersten fünf Jahre seien insgesamt 23,5 Billionen Yen (188 Milliarden Euro) veranschlagt worden. Für die folgenden fünf Jahre seien zusätzlich vier Billionen Yen (rund 32 Milliarden Euro) veranschlagt. Diese Kosten beinhalteten allerdings nicht die Schadenersatzzahlungen wegen der Atomkatastrophe in Fukushima durch den Betreiber Tepco – bis jetzt sind 1,9 Billionen Yen (rund 15 Milliarden Euro) ausgezahlt worden.

Auch die Entsorgung der riesigen Mengen von Müll, die Erdbeben und Tsunami verursachten, bleibt eine große Aufgabe. „Insgesamt ist in dieser Region so viel Hausmüll angefallen wie sonst in elf Jahren, exklusiv der radioaktiv verstrahlten Abfälle“, sagte Sakaguchi. Der gesamte Tsunamischutt sei auf provisorischen Lagerplätzen gesammelt worden. „Er wird in Beton, Asphalt, Metall, Verbundwerkstoff getrennt und nach Möglichkeit der Wiederverwertung zugeführt.“ Was sich nicht für die Wiederverwertung eigne, werde verbrannt. „Geplant ist, dass neben den vorhandenen Müllverbrennungsanlagen zusätzlich 34 provisorische Verbrennungsanlagen in den Katastrophengebieten errichtet werden, so dass künftig täglich mehr als 5000 Tonnen Abfall verbrannt werden können.“ Einen geeigneten Entsorgungsplatz für radioaktive Abfälle und die abgetragene kontaminierte Erde zu finden, sei dagegen schwierig.

Direkt nach der Katastrophe sah es nach einer Änderung der japanischen Energiepolitik aus. Die Atomkontrollbehörde untersteht nicht mehr dem Wirtschafts-, sondern dem Umweltministerium. Neue Sicherheitsrichtlinien sollen bis zur Oberhauswahl im Juli vorliegen, sagt Tetsunari Iida, der in Tokio erneuerbare Energien lehrt. Doch seit dem Regierungswechsel ist mit einer Abkehr von der Atomenergie kaum noch zu rechnen. Nach der Oberhauswahl könnten nach den zwei Reaktoren in Oi weitere Atomkraftwerke wieder ans Netz gehen. Aktuell sind 46 von insgesamt 48 Atomkraftwerken im Land abgeschaltet. Über Fördersysteme für erneuerbare Energien wird zwar diskutiert, passiert ist jedoch wenig. Der Einsatz der Geothermie, für die es in Japan große Potenziale gibt, sei bisher daran gescheitert, dass die Standorte in Schutzgebieten bei heißen Quellen liegen. Iida hofft dennoch, dass sich erneuerbare Energien auch in Japan durchsetzen werden. Die grüne Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl, auf deren Einladung die beiden Experten berichteten, sagt: „In Japan hat sich die Wirtschaft offenbar durchgesetzt.“

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