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Biblis A und B (RWE), Inbetriebnahme: 1974 bzw. 1976.

© ddp

Atomkompromiss: Die Folgen des Energiekonzepts

Die Bundesregierung hat sich nach langem Streit auf ein neues Energiekonzept geeinigt. Wie sieht das aus und welche Folgen hat das?

Mit Superlativen hat die schwarz-gelbe Koalition am Montag nicht gespart. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einer „Revolution“. Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) sprach von einem „epochalen“ Energiekonzept. Vor gut drei Jahren, als die damalige große Koalition in Meseberg ihr Klima- und Energiepaket verabschiedet hat, klangen die Bewertungen ziemlich ähnlich.

Wie sieht der Atomkompromiss im Detail aus?

Die sieben ältesten Anlagen sollen acht Jahre länger laufen, die zehn jüngeren Anlagen bekommen eine Laufzeitverlängerung von 14 Jahren. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) konnte sich mit seiner Forderung, alle Anlagen zumindest das Sicherheitsniveau der drei jüngsten Atomkraftwerke aufzurüsten, nicht durchsetzen. Zwar sollen die Konzerne verpflichtet werden, ihre Anlagen kontinuierlich auf den „Stand von Sicherheitsforschung und Nachrüsttechnik“ zu bringen. Doch das kann weder konzeptionelle Mängel mildern, die im Anlagendesign begründet sind, noch werden die Anlagen zumindest gegen den Absturz leichterer Verkehrsmaschinen gesichert. Röttgen sagte am Montag, er rechne pro Anlage mit Nachrüstkosten von 500 bis 600 Millionen Euro – eine Zahl, die seine Längerkollegen, mit denen er über das Sicherheitsniveau verhandelt hatte, für „zu hoch“ halten. Das Zugeständnis an Röttgen ist, dass die alten Meiler „nur“ acht Jahre Nachschlag bekommen haben. Die acht, beziehungsweise 14 Jahre Laufzeitverlängerung werden in Strommengen umgerechnet. Bis 2016 wird, wie bisher, angenommen, dass jedes Atomkraftwerk 95 Prozent seiner Nennleistung auch erbringt. Von 2017 an wird diese fiktive Strommenge auf 90 Prozent reduziert, und weitere fünf Jahre später schließlich auf 85 Prozent festgelegt. Die „Atomjahre“ der Laufzeitverlängerung werden also unwesentlich kürzer sein, als die bisher berechneten Reststrommengen.

Was bringt die Entscheidung den Stromkonzernen?

Für die vier betroffenen Unternehmen Eon, RWE, EnBW und Vattenfall eröffnet der Plan der Regierung Merkel die Chance auf zusätzliche Gewinne in dreistelliger Milliardenhöhe, kalkuliert der Energiewissenschaftler Felix Matthes vom Öko-Institut. Matthes, einer der führenden unabhängigen Experten für die deutsche Stromwirtschaft, legte am Montag seine auf Basis der Beschlüsse von Sonntagnacht aktualisierten Berechnungen vor. Demnach werden die Konzerne bei Umsetzung des Kabinettskonzepts bis zum Jahr 2037 127 Milliarden Euro an zusätzlichen Gewinnen erwirtschaften, wenn der Strompreis wie zu erwarten bis 2020 wieder auf das Vorkrisenniveau von 65 Euro je Megawattstunde steigt. Davon sollen über eine neue befristete Steuer auf Kernbrennstoff bis 2016 rund 13 Milliarden Euro in die Bundeskasse gelenkt werden. Für die Folgejahre ist eine noch zu vereinbarende freiwillige Abgabe geplant, die weitere 17 Milliarden Euro aus den Konzernkassen für den Klimaschutz mobilisieren soll. Unterm Strich will die Bundesregierung also lediglich ein Viertel der zu erwartenden Zusatzgewinne abschöpfen, obwohl führende Koalitionspolitiker bisher stets eine hälftige Teilung der Gewinne zwischen Betreibern und Staat angekündigt hatten. Hinzu kommt, dass die Regierung es erlauben will, die Brennelementsteuer als Betriebsausgabe mit dem allgemeinen Konzerngewinn zu verrechnen und so die Gewinnsteuern zu senken. Die tatsächliche Belastung der Unternehmen wird so bei den Zahlungen für die Körperschafts- und die Gewerbesteuer voraussichtlich noch einmal um rund fünf Milliarden Euro vermindert. Dementsprechend stiegen die Kurse für die Aktien von Eon und RWE gestern gleich nach Börsenöffnung um mehrere Prozentpunkte.

Für die Aussicht auf die enormen Zusatzgewinne handeln sich die Strombosse allerdings auch ein erhebliches zusätzliches Risiko ein. Denn mit dem Bruch des Konsensvertrages aus der Zeit der rot-grünen Bundesregierung riskieren sie mit dem nächsten Machtwechsel einen umso härteren Gegenkurs. In diesem Fall werde der nur kurzfristige Ausstieg aus dem Ausstieg „vermutlich sehr teuer“, erwartet der Energieökonom Uwe Leprich von der Hochschule des Saarlandes. Denn „einen Kompromiss wie im Jahr 2000“ werde es dann „mit Sicherheit nicht mehr geben“.

Was bedeutet das Konzept für die erneuerbaren Energien?

„Der Wettbewerb hat keine Lobby“, so hat der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, die Laufzeitverlängerung kommentiert. Damit spricht er an, was die rund 800 Stadtwerke, die in ihrer Mehrzahl auf den Ausbau erneuerbarer Energien gesetzt haben, am meisten schmerzt. Das Oligopol der vier großen Energiekonzerne wird über die Laufzeitverlängerung weiter zementiert. Für den weiteren Umbau zu einer „nachhaltigen Energieversorgung“ sei die Laufzeitverlängerung „ein echter Tiefschlag“, sagt Professor Olav Hohmeyer. Er gehört zum Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), der im Frühjahr ein Gutachten für den Umbau des Stromversorgungssystems auf eine Komplettversorgung mit erneuerbaren Energien bis 2050 vorgelegt hat. Hohmeyer lehrt an der Universität Flensburg Energie- und Ressourcenwirtschaft. Er analysiert, dass der „Systemkonflikt“ zwischen Atomstrom und den erneuerbaren Energien „auf Kosten der Erneuerbaren gelöst werden soll“. Denn im Entwurf für ein Energiekonzept, das Röttgen und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) am Montag vorgestellt haben, wird bereits angekündigt, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) so verändert werden soll, dass Wind- und Solarstrom „stärker in den Markt integriert werden sollen“. Dazu soll eine Marktprämie an die Produzenten erneuerbarer Energien gezahlt werden, die ihren Strom nur dann ins Netz einspeisen, wenn er dort auch gerade gebraucht wird. Anstatt mit flexiblen Regelkraftwerken das fluktuierende Angebot der erneuerbaren Energien zu steuern, sollen also die Windräder nur dann Strom erzeugen, wenn er zufällig auch gerade gebraucht wird. Weitere Ideen dieser Art finden sich im Energiekonzept unter dem Stichwort „Netz- und Systemintegration“. Hohmeyer hält das Konzept für einen „großen Rückschritt für die Energiepolitik in Deutschland“.

Das sehen die Koalitionäre naturgemäß ganz anders. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, sagte dem Tagesspiegel, er sei „ausgesprochen zufrieden mit dem Ergebnis“. Wochenlang hatte er für eine möglichst lange Laufzeitverlängerung gefochten und dabei immer öfter vor allem den Umweltminister als Hindernis für einen Kompromiss eingeschätzt. Nun sagt er: „Man hätte zwar noch etwas mehr machen können, aber so ist die Zustimmungsfreiheit 100 Prozent garantiert.“ Er rechnet damit, dass die Umsetzungsgesetze für das Energiekonzept bis Ende des Jahres verabschiedet sein werden. Die baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) sieht in dem Papier einen „guten Wurf“. Denn der Ausbau der Offshore-Windenergie verlaufe nicht so schnell, wie das allseits erwartet worden sei. Im übrigen meint Gönner, dass auch Atomkraftwerke bis zu 50 Prozent ihrer Leistung flexibel gefahren werden könnten, um erneuerbare Energien im Netz zu ergänzen. Allerdings hat es diesen Fall noch nicht gegeben. Nur Atomkraftwerke, die über die Zeit gerettet werden sollten, sind mit verminderter Leistung gefahren worden.

Wie steht es um die Finanzierung?

Röttgen hat es als großen Erfolg verkauft, dass die Einnahmen aus den Versteigerungserlösen im Emissionshandel von 2013 an komplett für den internationalen und den nationalen Klimaschutz ausgegeben werden sollen. Jährlich rechnet er mit rund zwei Milliarden Euro. Dazu sollen die Beträge kommen, die die Konzerne über die Brennelementesteuer hinaus in einen Ökoenergienfonds abführen wollen. In den Jahren 2011 und 2012 sollen das je 300 Millionen Euro sein, in den Folgejahren bis zum Ende der Brennelementesteuer im Jahr 2016 sollen es je 200 Millionen Euro sein. Danach sollen neun Euro pro einer Milliarde Kilowattstunden Atomstrom für den Öko-Fonds fällig werden. Insgesamt rechnet Röttgen mit einem Investitionsvolumen für die Energieeffizienz und erneuerbare Energien von rund drei Milliarden Euro von 2017 an.

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