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Nach über 30 Jahren Zwist über einen deutschen Endlagerstandort gibt es jetzt Bewegung.

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Update

Atommüll: Historischer Kompromiss zum Endlager

Bund und Länder haben sich auf einen historischen Kompromiss für die Suche nach einem Endlagerstandort geeinigt. Das wird auch allerhöchste Zeit.

Nach drei Jahrzehnten erbitterter Auseinandersetzungen über den Salzstock in Gorleben als mögliches Atomendlager hat sich eine Bund-Länder-Verhandlungsgruppe am Dienstag auf einen Neuanfang bei der Endlagersuche geeinigt. Damit sei das „letzte große strittige Thema des Atomzeitalters in einem parteiübergreifenden Konsens“ lösbar, sagte Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) nach fünfeinhalb Stunden Verhandlungen in Berlin. Dem Kompromiss zufolge können für das Endlager bundesweit Alternativen zum Standort Gorleben gesucht werden.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte dem Tagesspiegel: „Das ist weit über das Thema Endlager hinaus ein großartiges Zeichen für die politische Kultur in unserer Demokratie.“ Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte vor eineinhalb Jahren wesentlich dazu beigetragen, dass überhaupt über einen Endlagerkonsens verhandelt worden ist. Er hob hervor, dass sich Bund und Länder sowie die Fraktionen von Union, SPD, Grünen und FDP für ein Problem mit „theologischen Zeiträumen“ auf einen mindestens 30 Jahre dauernden „Konsensprozess“ geeinigt hätten. Sein niedersächsischer Kollege Stephan Weil (SPD) sprach von einem „neuen Kapitel in der Suche nach einem Endlager“. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin ergänzte, dass mit dem Endlagersuchgesetz „der Atomausstieg komplett gemacht“ werde.

Kritik kam vor allem von der Anti-Akw-Bewegung und von Umweltverbänden, die bemängeln, dass eine Einigung mit der Zivilgesellschaft bisher nicht gesucht worden sei. Das Misstrauen, dass die Suche doch wieder auf Gorleben hinauslaufen könnte, ist vor allem im Wendland groß, weil der umstrittene Standort vorläufig noch nicht aus dem neuen Suchlauf ausscheidet.

Schon Ende April oder Anfang Mai soll das Endlagersuchgesetz von den vier beteiligten Fraktionen in den Bundestag eingebracht werden. Das parlamentarische Verfahren soll bis zur Sommerpause abgeschlossen sein. Bis zum 5. Juli sollen Bundestag und Bundesrat das Gesetz verabschieden. Demnach soll die Endlagersuche neu beginnen, Gorleben bleibt zunächst im Topf, soll aber behandelt werden „wie jeder andere Standort, als gäbe es Gorleben gar nicht“, wie Kretschmann sagte. Die Bund-Länder-Verhandlungsgruppe will bis zum Sommer im Konsens eine Kommission berufen, die bis 2015 die Kriterien an ein Endlager erarbeiten soll. Dieser Kommission sollen zwölf Abgeordnete des Bundestags und Ländervertreter angehören, weitere zwölf Persönlichkeiten sollen Wissenschaft, Arbeitgeber, Gewerkschaften, Umweltverbände und Kirchen stellen. Bis 2031 soll ein Endlagerstandort gefunden sein, heißt es in dem Gesetzentwurf. Denn schon ein Jahr später laufen die Genehmigungen für die ersten Zwischenlager an den Kernkraftwerken aus.

Bundestag und Bundesrat sollen in den nächsten Jahren in einem mehrstufigen Gesetzgebungsverfahren alle relevanten Entscheidungen treffen – von der Bestimmung der Vergleichsstandorte bis hin zum endgültigen Endlagerstandort. Zunächst soll kein mögliches Endlagergestein – Salz, Ton oder Granit – ausgeschlossen werden. Alle Beteiligten versprachen „von jetzt an“, wie Kretschmann sagte, Transparenz, Pluralität und Beteiligungsmöglichkeiten für die Bevölkerung, um schließlich zu einem Endlagerkonsens zu kommen.

Endlager in Sicht

Nach dem historischen Endlagerkonsens „fängt die Arbeit erst an“, hat Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) am Dienstagabend festgestellt. Die Arbeit fängt damit an, dass ein Platz für die 26 Castoren gesucht werden muss, die aus den Wiederaufarbeitungsanlagen im britischen Sellafield und im französischen La Hague in den kommenden Jahren noch zurückgenommen werden müssen. Fünfeinhalb Stunden Verhandlungen haben nicht gereicht, um auch nur diese Frage zu lösen. Klar ist zunächst nur, dass die Castoren nicht im Zwischenlager Gorleben eingelagert werden sollen.

Altmaier wies darauf hin, dass die Betreiberunternehmen entsprechende Anträge auf Einlagerung der Castoren stellen müssten. Mit den Betreibern will er in den kommenden Wochen nun ins Gespräch kommen. Mit Eon, RWE, Vattenfall und EnBW will er aber nicht über die Frage diskutieren, wie hoch die Kosten der Endlagersuche für die vier Betreiberfirmen ausfallen werden. Rund zwei Milliarden Euro soll sie im günstigsten Fall kosten. Dafür müssten die Verursacher zahlen, so stehe es schon seit Jahren im Gesetz, argumentierte Altmaier. Dennoch ist absehbar, dass die Atomfirmen zumindest versuchen werden, einen Teil ihrer Ausgaben in Gorleben – insgesamt 1,6 Milliarden Euro – wieder einzuklagen.

Zum Auftakt der Gespräche am Dienstag erwarteten Atomkraftgegner die Unterhändler mit Trommeln und Transparenten. Sie forderten eine neue Endlagersuche unter Ausschluss von Gorleben. Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atominitiative Ausgestrahlt, warf den Verhandlern vor, mit dem Gesetzentwurf die geplante Endlager-Kommission zu entwerten: „Die Mannschaften gehen auf den Platz, und das Ergebnis steht schon fest.“ Er äußerte den Verdacht, dass Altmaier, der nach seinem Amtsantritt einen Zehn-Punkte-Plan mit Vorhaben vorgelegt hatte, die er noch umsetzen wollte, jetzt „irgendein Gesetz“ brauche, um wenigstens einen Erfolg vorweisen zu können.

Um die neue rot-grüne Landesregierung von Niedersachsen zum Konsens zu bewegen, hatte Altmaier vor zwei Wochen die Einsetzung einer 24-köpfigen Enquete-Kommission zugesagt, mit der nach seinen Worten die Beteiligung der Bürger an der Debatte über das Endlagersuchgesetz, die in 15 Monaten Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zu kurz gekommen sei, „nachgeholt werden“ solle.

Wie schwierig die Suche werden dürfte, ist schon jetzt absehbar. Der baden-württembergische Umweltpolitiker Andreas Jung (CDU) sagte schon vor einigen Tagen im „Südkurier“, dass die Tonschichten in der Nähe des Bodensees nun wirklich ungeeignet für ein Atomendlager seien. Der CDU-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, Peter Hauk, sagte im Deutschlandradio: „Eigentlich waren wir schon weiter. Wir hatten Gorleben.“ Spötter sagen deshalb, das Gesetz werde eben ein Suchgesetz und kein Findegesetz. Einen Hinweis, dass dieser Pessimismus nicht ganz unberechtigt sein könnte, geben die Zeitvorgaben, die in dem Konsenspapier gemacht werden. Demnach soll der Standortvergleich innerhalb von acht Jahren erledigt sein. Angesichts von Planungs-, Genehmigungs- und Bauzeiten von Endlagern ist das sehr optimistisch. Für das Endlager für schwach und mittel radioaktive Atomabfälle im Schacht Konrad bei Salzgitter hat es 30 Jahre von den ersten Untersuchungen bis zur Genehmigung gedauert. Seit 2007 wird das alte Erzbergwerk zum Endlager umgebaut – und ein Eröffnungstermin ist nicht in Sicht.

Doch so weit in die Realität wollten sich die Verhandler am Dienstag noch nicht hineinwagen. Bis Anfang Mai soll der Gesetzentwurf vorliegen und in den Bundestag eingebracht werden. Es soll eine Anhörung und ein öffentliches Symposium geben. Und bis dahin soll auch klar sein, wer in die Endlager-Kommission berufen werden wird. Der Auftrag an die Kommission soll „breit“ sein. Die CDU-Atompolitikerin Maria Flachsbarth erhofft sich von der Kommission Grundsatzdebatten bis zu der Frage, ob oberirdisch und rückholbar oder nicht rückholbar unterirdisch gelagert werden soll.

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