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Atomnovelle: Eine technische Frage mit politischer Wucht

Aus der Atomkatastrophe in Fukushima sollen Lehren gezogen werden. Nun liegt der Fragenkatalog vor, nach dem die Anlagen überprüft werden sollen. Mitte Mai wird darüber berichtet.

Berlin - Wenn es nur um das Ergebnis ginge, könnten die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP im Bundestag auch einfach einem Gesetzentwurf der Grünen zustimmen: Sie haben beantragt, die sieben ältesten Atomkraftwerke stillzulegen, weil sie Flugzeugabstürze nicht überstehen würden. Es geht aber nicht nur um das Ergebnis. Für die Bundesregierung geht es jetzt auch darum, ihr Moratorium plausibel zu machen. Direkt nach der Atomkatastrophe in Fukushima hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angekündigt, dass für die Dauer von drei Monaten die sieben ältesten Atomkraftwerke abgeschaltet werden müssten. Am Donnerstag benannte Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) noch einmal als Rechtsgrundlage dafür den Paragrafen 19, Absatz 3 des Atomgesetzes. Es gehe um „Gefahrenvorsorge“, sagte er.

Vor einer Woche einigten sich Merkel, Röttgen, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und die Ministerpräsidenten der fünf Bundesländer, in denen Atomkraftwerke betrieben werden, auf eine Sicherheitsüberprüfung sowie die Einsetzung einer Ethikkommission. Am Donnerstag nun beschrieb Röttgen gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Reaktorsicherheitskommission (RSK), Rudolf Wieland, wie das Moratorium genutzt werden soll. Bis Mitte Mai soll die RSK einen Bericht über die Sicherheitsüberprüfung der 17 deutschen Atomkraftwerke vorlegen. Dann soll die Ethikkommission diesen Bericht diskutieren. Und bis Mitte Juni könnte dann eine weitere Atomnovelle vorliegen, die zumindest einen Teil der Laufzeitverlängerung zurücknehmen dürfte und mit einiger Wahrscheinlichkeit die dauerhafte Stilllegung der sieben ältesten Meiler und des umstrittenen Atomkraftwerks Krümmel beinhalten könnte. So konkret hat Röttgen das natürlich nicht gesagt. Was da drinstehe, könne er noch nicht sagen, meinte der Minister am Donnerstag. Aber die Zeit des Moratoriums solle zur Recherche der Sicherheitsreserven der Atomkraftwerke, zur Bewertung und Entscheidung genutzt werden.

Die RSK ist ein Beratungsgremium, das der Umweltminister beruft. Die Mitglieder der Kommission arbeiten ehrenamtlich. In den folgenden Wochen sollen mehrere Expertenteams, die von der Gesellschaft für Reaktor- und Anlagensicherheit (GRS) gebildet werden, die Fragen abarbeiten, die sich aus dem bisher bekannten Unfallverlauf in Fukushima ergeben. Neben den Fachleuten der GRS würden auch Experten der Technischen Überwachungsvereine (Tüv), des Öko-Instituts, der Expertengruppe „Physikerbüro“ und andere Gutachter von Universitäten zurate gezogen werden. Zwischen 80 und 100 Fachleute sollen die 17 Atomkraftwerke auf bestimmte Fragen abklopfen. Diese Arbeit geschehe überwiegend auf „Papierbasis“, sagte Wieland. Nur wenn Unterlagen, die von den Betreibern oder der Länder-Atomaufsicht zur Verfügung gestellt werden, unplausibel seien, würde direkt vor Ort geprüft.

Die Überschriften, unter denen die Atomkraftwerke überprüft werden sollen, lauten: Erdbeben, Hochwasser, wetterbedingte Folgen und das Auftreten mehrerer Notfälle gleichzeitig. Weiter soll es um „zivilisatorisch bedingte Ereignisse“ gehen. Dahinter verbergen sich vor allem Flugzeugabstürze, sei es durch Unfälle oder Terrorangriffe. Allerdings schränkte Wieland am Donnerstag ein, dass die konkreten Fragestellungen zum Flugzeugabsturz noch nicht geklärt seien. Es soll aber nicht nur um Militärmaschinen gehen, gegen deren Absturz einige der deutschen Akw noch ausgelegt sind. Es soll auch um Verkehrsmaschinen gehen. Welche Fälle dann konkret betrachtet werden, also in welchem Aufprallwinkel ein Flugzeug auf welches Gebäudeteil stürzt oder wie viel Kerosin die Maschine getankt hat, soll noch entschieden werden, kündigte Wieland an. Weitere Überprüfungsthemen sind Gasfreisetzungen, Auswirkungen eines Unfalls auf Nachbarblöcke an den Standorten, wo nicht nur ein Atomkraftwerk steht, Angriffe auf rechnergesteuerte Steuer- oder Sicherheitskomponenten.

Über diese Fragen hinaus, die sich mehr oder weniger aus den Ereignissen in Fukushima ergeben haben, will die RSK aber auch Ereignisse in den Blick nehmen, die bisher einfach nicht bedacht worden sind. Es soll darum gehen, wie ein Atomkraftwerk reagiert, wenn die Batteriekapazität nach etwa zwei Stunden aufgebraucht ist. Was passiert, wenn der Strom ausfällt und mehr als 72 Stunden lang eine Notstromversorgung gewährleistet werden muss – bisher müssen die Atomkraftwerksbetreiber Dieselvorräte für 72 Stunden auf dem Reaktorgelände lagern. Was passiert, wenn das Nebenkühlwasser nicht mehr verfügbar ist, weil die Lagerbecken durch ein Hochwasser überspült wurden, wie jetzt in Japan geschehen. Was passiert, wenn nur noch sogenannte Notfallmaßnahmen möglich sind, also das Krisenmanagement, das seit nunmehr drei Wochen in Fukushima stattfindet. Bisher sind solche Fälle nur dann in den Blick genommen worden, wenn irgendwo auf der Welt ein konkreter Störfall stattgefunden hat, der es nahelegte, sich auch die deutschen Anlagen daraufhin noch einmal anzuschauen.

Die Grünen haben gleich am Donnerstag kritisiert, dass die RSK-Fragen keine harten Sicherheitskriterien ersetzen könnten. Das stimmt. Dennoch lässt sich aus den Fragestellungen einiges ableiten, was zum Ende der ältesten Atomkraftwerke beitragen dürfte. Beispielsweise die „Robustheit“ der Sicherheitssysteme. Genannt werden dabei Kriterien wie die „Redundanz“. Dabei geht es darum, in welcher Weise die Notstromsysteme mit dem Reaktor verbunden sind. Bei älteren Anlagen gibt es häufig nur eine Leitung, an der dann drei oder sogar vier Notstromaggregate hängen, deren Kabelstränge erst später getrennt werden. Im Brandfall könnten also alle Sicherheitssysteme gleichzeitig ausfallen. Das Problem ist nicht neu. Es ist altbekannt. Deshalb kritisiert beispielsweise der Sprecher der atomkritischen Initiative „Ausgestrahlt“, Jochen Stay, die gesamte Sicherheitsüberprüfung als „überflüssig“. Die Defizite seien lang bekannt und müssten nicht erst ermittelt werden. Das gilt auch für das Kriterium „räumliche Trennung“. Damit ist beispielsweise gemeint, dass eine Not-Steuerungswarte außerhalb des Reaktorgebäudes, im besten Fall sogar verbunkert, vorhanden sein sollte. Wenn die Hauptsteuerzentrale nicht mehr genutzt werden kann, besteht sonst das Risiko, dass Anlagen überhaupt nicht mehr unter Kontrolle gebracht werden können, weil es etwa zu gefährlich ist, dort noch zu arbeiten, weil Strahlung frei wird.

Eine direkte Folge des Fukushima-Unglücks ist auch, dass die RSK erstmals die Brennelementebecken in den Blick nimmt, in denen die abgebrannten Brennelemente abklingen, bevor sie in Castor-Behälter verpackt und in einem Trockenzwischenlager verstaut werden können. Dass Zwischenlager ein Risiko darstellen könnten, war den Sicherheitsfachleuten schon seit Jahren klar. Deshalb ist es in Deutschland auch nicht üblich, wie in Japan, Nasszwischenlager über einen langen Zeitraum zu nutzen. Stattdessen sind Zwischenlager bei den Reaktoren gebaut worden, in denen die Brennstäbe so lange lagern können, bis in ferner Zukunft ein Endlager zur Verfügung steht.

Das klingt alles ziemlich technisch. Und das ist es auch. Die RSK überprüft auch keine ganz neuen und überraschenden Ereignisverläufe. Aber sie nimmt die Risiken in den Blick, die bisher unterschätzt wurden, obwohl es schon seit Jahren eine Diskussion über die Anpassung an den Klimawandel gibt. Welche Risiken sich daraus möglicherweise für Atomkraftwerke ergeben, ist jedoch bisher kaum beachtet worden. Dabei geht es um Hochwasser, Niedrigwasser – das heißt zu wenig Kühlwasser – oder auch Erdrutsche durch Starkregenereignisse.

Auch wenn Umweltverbände diesen Stresstest überflüssig finden: Es dürfte der Regierung schwerfallen, dagegen an zu argumentieren, wenn beim Stresstest herauskommt, wie begrenzt die Sicherheitsreserven der Atomkraftwerke sind. Die Debatte, wie viel Risiko die Gesellschaft zu welchem Preis zu tragen bereit ist, soll in der Ethikkommission das erste Mal geführt werden. Welche Entscheidungen die Regierung daraus ableitet, ist zwar offen. Andererseits ist ihr der Schock von Fukushima doch offenbar so in die Knochen gefahren, dass sich einige nicht unwesentliche Teile des Kabinetts schon ziemlich festgelegt haben, welche Schlüsse sie ziehen wollen. Ob das dann ein Energiekonsens ist, ist aber damit noch nicht entschieden.

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