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Atompanne: Häufig, aber harmlos?

Eine neue Panne in einer französischen Nuklearanlage – die vierte, die innerhalb von zwei Wochen bekannt wurde – erregt beträchtliches Aufsehen im Lande. Die Behörden stehen in der Kritik.

Der Vorfall in dem nahe Tricastin in Südfrankreich gelegenen Atomkraftwerk, bei dem hundert Mitarbeiter nach offiziellen Angaben „leicht“ verstrahlt wurden, ereignete sich bereits am Mittwochmorgen; ein im Internet zirkulierender Bericht darüber wurde aber erst am Abend vom staatlichen Energiekonzern Electricité de France (EdF) bestätigt.

Wie Alain Peckre, der Direktor des Kraftwerks, am Donnerstag mitteilte, war es zu dem Vorfall bei Wartungsarbeiten an einem Reaktor gekommen, als nach der Öffnung eines Abzugsrohrs radioaktiver Staub in das Gebäude entwich. Alle 97 Mitarbeiter, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Halle aufhielten, sowie 32 andere, die sie vorher betreten oder sich in deren Nähe aufgehalten hatten, seien sofort zu Kontrolluntersuchungen gebracht worden.

Wie eine EdF-Sprecherin am Donnerstag berichtete, sind in etwa hundert Fällen „sehr leichte Verstrahlungen“ festgestellt worden. Die Strahlenbelastung habe jedoch „weniger als ein Vierzigstel des erlaubten jährlichen Grenzwertes“ betragen. Weder für Menschen noch für die Umwelt bestehe eine Gefahr. Die Aufsichtsbehörde für Nuklearsicherheit (ASN) stufte den Zwischenfall auf der von null bis sieben reichenden Risikoskala bei null ein. Zu derartigen Vorfällen kommt es nach Mitteilung der ASN „zu Hunderten im Jahr“. Normalerweise würden sie auch gar nicht bekannt gegeben. Wegen der in jüngster Zeit aufgetretenen Pannen, zwischen denen jedoch kein Zusammenhang bestehe, habe man sich zur Information der Öffentlichkeit entschlossen.

Vor zwei Wochen waren aus einer Reinigungsanlage in Tricastin sechs Kubikmeter uranhaltige Flüssigkeit ausgetreten und in kleine Flüsse gelangt. Zehn Tage nach diesem auf der Stufe eins als „Anomalie“ eingestuften Vorfall trat in einer Brennstäbefabrik bei Grenoble radioaktiv verseuchtes Wasser aus einem brüchigen Rohr aus (Stufe eins). Vor einer Woche erlitten 15 Arbeiter in einem Atomkraftwerk bei Grenoble aus unbekannten Gründen „leichte Verstrahlungen“. Der Vorfall wurde nicht klassifiziert.

Unabhängige Experten wie Bruno Chareyron von der privaten Kontrollorganisation Criirad traten den Verharmlosungen durch EdF und ASN entgegen. Nicht nur die Sicherheitsvorkehrungen, sondern auch die Kontrollen seien oft unzureichend. Wenn so viele Menschen in so kurzer Zeit kontaminiert würden, sei dies beunruhigend. Jede über das Normale hinausgehende Strahlendosis stelle ein Risiko dar, deren Effekte oft erst nach vielen Jahren erkennbar seien. Die Pannen müssten als Arbeitsunfälle registriert werden, damit die Betroffenen die Möglichkeit erhalten, im Fall späterer Erkrankungen Ansprüche geltend zu machen. Dies werde ihnen bei als harmlos geltenden Vorfällen aber verwehrt.

Konsequenzen aus den Vorfällen bei Tricastin will jetzt der dortige Weinbauverband ziehen und die Appellation d’Origine Contrôlée, die kontrollierte Ursprungsbezeichnung (AOC) „Coteaux du Tricastin“, ändern. „Im Esprit der Konsumenten passen Atom und Wein nicht zusammen“, erklärte Henri Bour von der örtlichen Winzervereinigung.

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