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Atompolitik: Die Zeit der Spalter

Nicht nur in den Unionsparteien gibt es Krach um die Atomanlagen – auch zwischen den Betreibern

Das baden-württembergische Atomkraftwerk Neckarwestheim I könnte das erste sein, das Ende April oder Anfang Mai seinen Betrieb einstellen muss. Das hat der Chef der Betreiberfirma EnBW, Hans-Peter Villis, auf der Bilanzpressekonferenz vor wenigen Wochen in Karlsruhe selbst so eingeschätzt. Allerdings sagte einer seiner Sprecher zwei Tage später: „Wir werden alles in unseren Möglichkeiten Stehende tun, damit Neckarwestheim I länger am Netz bleibt.“ Es gebe dazu „positive Signale sowohl aus der Bundes- als auch der Landespolitik“, fügte er noch hinzu. Den Bundesumweltminister kann er nicht gemeint haben. Denn Norbert Röttgen (CDU) hat mehrfach gesagt, über eine mögliche Laufzeitverlängerung für die Atomanlagen werde im Rahmen des geplanten Energiekonzepts entschieden. Und das soll frühestens im Oktober vorliegen. Bis dahin wäre dann auch der Altreaktor Biblis A vom Netz gegangen.

Das wollen die Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Stefan Mappus und Hessens, Roland Koch (beide CDU) unbedingt verhindern. Ihre Umweltministerinnen, Tanja Gönner und Silke Lautenschläger haben schon vor der Bundestagswahl gemeinsam ein Papier erarbeitet, das sie als „Blaupause“ für die Laufzeitverlängerung verstehen. Unter dem Titel „Strategie- und Schrittfolgepapier Kernenergie“ haben die beiden CDU-Politikerinnen zusammengetragen, wie die Atomkraftwerke noch länger laufen könnten. Das Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt, zeigt vor allem zweierlei: Es ist rechtlich nicht einfach, die Laufzeiten zu verlängern. Und es ist vielleicht sogar noch schwieriger, die Zusatzgewinne der Konzerne abzuschöpfen, wie das im Wahlkampf von den Unionsparteien immer gefordert worden ist.

Gönner und Lautenschläger wollen die Laufzeiten auch der alten Atomkraftwerke von ihrem Sicherheitsniveau abhängig machen: Laufzeitverlängerung gegen Investitionen in die Sicherheit der Anlagen. Dagegen sieht Röttgen das strategische Problem, dass die Atomkraftwerke mit ihrer ständigen Produktion großer Mengen Strom (Grundlast) die Netze für die erneuerbaren Stromquellen quasi verstopfen. Der Energieexperte des Öko-Instituts Felix Matthes sagt: „Die von den Unionsparteien und der FDP behauptete Technologieneutralität ist ein Mythos. Man muss sich entscheiden.“ Das scheint Röttgen ähnlich zu sehen. Dass das Stromnetz ausgebaut werden muss, sehen alle so. Doch die Frage, wie es ausgebaut werden muss, ist nach Matthes’ Einschätzung eben nicht mehr „technologieneutral“ zu beantworten. Soll das Stromnetz für die Aufnahme nichtstetiger Stromquellen wie Wind oder Sonne fitgemacht werden, bedeutet das, dass weniger Grundlaststrom gebraucht wird. Wer also tatsächlich den Umstieg auf erneuerbare Energien bei der Stromerzeugung bis 2050 geschafft haben will, kann die „Brückentechnologie Kernkraft“ nicht unendlich lange nutzen. Das sagt Röttgen seit Wochen in jedem Interview, das er gibt.

Das sehen Gönner und Lautenschläger dezidiert anders. In ihrem Papier setzen sie schon voraus, dass es zu einer ganz schnellen Laufzeitverlängerung nicht kommen wird. Deshalb hat Gönner für das Atomkraftwerk Neckarwestheim I nach der Revision im Oktober 2009 einen gedrosselten Betrieb zugelassen, um es noch etwas länger über die Zeit zu bringen. Doch das sei die „ultima ratio“, heißt es in dem Papier.

Die zweite Möglichkeit, die alten Meiler länger zu betreiben, wäre eine Strommengenübertragung von einem anderen Atomkraftwerk. Unproblematisch wäre das im Fall des 2003 stillgelegten Reaktors in Stade. Die Strommengen gehören Eon. Wollte EnBW die rund 4,8 Gigawattstunden kaufen, müsste der Konzern mindestens 72 Millionen Euro auf den Tisch legen, hat der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Franz Untersteller (Grüne) errechnet. Und das sind nur die Kosten für die Stromerzeugung. EnBW könnte auch einen neuen Antrag an das Umweltministerium stellen, Strommengen von einem neueren Meiler auf die Altanlage zu übertragen. Damit ist der Konzern jedoch schon einmal gescheitert.

Gäbe es zwischen den vier Atomkraftwerksbetreibern ausreichend Einigkeit in dieser Frage, ließe sich das Problem ziemlich einfach lösen. Es ist ohnehin zu erwarten, dass die schleswig-holsteinische CDU-FDP-Regierung mit ihrer einen Stimme Mehrheit alles daransetzen wird, dass die beiden Vattenfall-Meiler Brunsbüttel und Krümmel, beide berüchtigt für ihre Pannenstatistik, nicht mehr ans Netz gehen. Der Konzern könnte sie also einfach stilllegen und seine so freiwerdenden Stromkontingente teuer verkaufen. Krümmel ist ein ziemlich neues Atomkraftwerk. Nach der Stilllegung dürften diese Strommengen aber ohne Zustimmung des Bundesumweltministers auf jede beliebige Anlage übertragen werden. Krümmel verfügt noch über 88,2 Gigawattstunden Strom. Mit dieser Menge könnten alle Altanlagen mindestens so lange betrieben werden, bis die Bundesregierung ihr Energiekonzept ausgehandelt hat.

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