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Attentat in Norwegen: Was taugen deutsche Vorschläge für Sicherheitsmaßnahmen?

Der Schock nach den Anschlägen in Norwegen ist groß, auch in Deutschland. Prompt reagieren Politiker und Sicherheitsexperten mit Vorschlägen zur Eindämmung der Gefahr eines solchen Massakers in der Bundesrepublik.

Von Frank Jansen

Reflexhaft kochen nach dem Attentat von Oslo alte Streitthemen in Deutschland hoch. Einige Ideen sind wenig sinnvoll, andere könnten tatsächlich Risiken mindern. Was taugen die Vorschläge?

VORRATSDATENSPEICHERUNG

Vehement fordert der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl (CSU), den Sicherheitsbehörden das Instrument der Vorratsdatenspeicherung an die Hand zu geben, erst recht nach den Taten von Breivik. Im März 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht die deutschen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig erklärt. Alle deutschen Innenminister befürworten ein neues Gesetz, doch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bietet nur ein „quick freeze“ an, die kurze Speicherung von Daten bei konkretem Tatverdacht. Die schwedische EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström appelliert nun an die FDP-Fraktion, sich einer Neuregelung nicht länger zu verschließen.

Allerdings zeigt gerade das Beispiel Norwegen, dass die Vorratsdatenspeicherung wenig nützt, wenn ein Einzeltäter weitgehend abgeschottet Anschläge plant – dort hatte das Parlament im April ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Wenn die Sicherheitsbehörden keinen konkreten Verdacht haben, wissen sie nicht, auf welche von Internetprovidern gespeicherten Daten sie überhaupt zugreifen sollen.

Effektiv anwenden könnte die Polizei die Vorratsdatenspeicherung aber bei der Suche nach Hintermännern eines Terroristen. Wenn Telekommunikationsunternehmen und Provider Kundendaten sechs Monate speichern müssten, wie es das Bundesinnenministerium fordert, wäre es möglich, anhand der beim Täter entdeckten E-Mails und sonstigen Telekommunikationsverbindungen seine Kontakte zu erforschen. So könnten Mitglieder und Unterstützer einer Gruppierung enttarnt werden, die weitere Straftaten plant.

VERDÄCHTIGENDATEI

Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, hält es für nötig, im Internet auffällig gewordene Personen „zu registrieren und zu identifizieren“. Das würde auf eine Art Verdächtigendatei hinauslaufen. Witthaut erntet reichlich Protest – und das zu Recht. Der Begriff „auffällig gewordene Personen“ ist ungenau und lädt Internetnutzer ein, jedweden Wirrkopf zu denunzieren. Außerdem käme eine gewaltige Menge an zumeist unnützen Daten zusammen. Es erscheint auch im Hinblick auf Norwegen fraglich, ob die von Breivik ausgehende Gefahr mit Hilfe einer Verdächtigendatei erkannt worden wäre. Breivik soll zwar auf Internetseiten von schwedischen, niederländischen und britischen Ultrarechten Spuren hinterlassen haben, doch solche Kontakte dürften kaum reichen, um ein Terrorrisiko sichtbar zu machen. Witthaut verschweigt zudem, dass der Verfassungsschutz bereits die Aktivitäten von Extremisten registriert, auch wenn noch keine Straftaten begangen wurden. Darüber hinaus unterhalten die Sicherheitsbehörden die gemeinsame Antiterrordatei, über die Informationen zu Terrorverdächtigen eingeholt werden können. Allerdings wäre ein Anders Breivik wahrscheinlich auch dafür zu wenig auffällig gewesen.

Lesen Sie auf Seite 2 mehr über die Forderungen nach mehr Internetkontrollen, eine mögliche Verschärfung des Waffengesetzes und die Chancen ein neues NPD-Verbotsverfahren.

INTERNETKONTROLLEN

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles verlangt, es müssten mehr Polizisten rechtsextremistische Umtriebe im Internet beobachten. Abgesehen davon, dass dies eher zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes zählt, ist eine Aufstockung von szenekundigem Personal bei den Sicherheitsbehörden durchaus notwendig. Das betrifft nicht nur die Beobachtung der Aktivitäten von Rechtsextremisten. Sicherheitsexperten warnen schon länger davor, dass an den Rändern extremistischer Szenen die Gewaltbereitschaft steigt.

WAFFENBESITZ

Nach dem Amoklauf von Winnenden wurde das deutsche Waffengesetz verschärft. Das reicht aber Angehörigen der Opfer nicht aus. Sie haben zusammen mit der bundesweiten Initiative „Keine Mordwaffen als Sportwaffen“ Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Der Sprecher der Initiative, Roman Grafe, nimmt nun die norwegische Tragödie zum Anlass, erneut zu warnen: die Gefahr, die von Sportwaffen ausgehe, sei „nicht beherrschbar“.

Sollte das Bundesverfassungsgericht die Beschwerden akzeptieren, würde das Sportschießen in Deutschland erheblich erschwert oder sogar unmöglich. Betroffen wären viele. Der Deutsche Schützenbund zählt knapp anderthalb Millionen Mitglieder. Sie kollektiv zu bestrafen erscheint unverhältnismäßig. Außerdem schlösse ein Verbot nicht aus, dass Fanatiker wie Breivik versuchen würden, sich in einem anderem Land Waffen zu besorgen.

Sinnvoller ist hingegen der Vorschlag von EU-Kommissarin Malmström, die Regeln zum Verkauf von Waffen und sogenannter Alltagschemikalien, die zum Bombenbau genutzt werden können, zu verschärfen. Immerhin war Breivik im März den norwegischen Sicherheitsbehörden aufgefallen, als er über das Internet bei einer polnischen Firma Chemikalien erwarb. Die Kaufsumme war allerdings so gering, dass Breivik als unverdächtig galt. Strenge Kontrollen könnten das Risiko verringern, einen potenziellen Attentäter zu übersehen. Im September sollen nun die EU-Innen- und Justizminister bei ihrer Tagung in Polen über Malmströms Forderungen sprechen.

NPD-VERBOT

Andrea Nahles präsentierte auch die Dauerforderung ihrer Partei, beim Bundesverfassungsgericht einen zweiten Anlauf zu einem Verbotsverfahren gegen die NPD zu unternehmen. Fraglich bleibt aber, ob ein Verbot einem Gewaltexzess vorbeugen würde, wie ihn Breivik begangen hat. Und die Chancen, dass die Karlsruher Richter die Existenz der NPD beenden, sind nach dem Scheitern des Verfahrens im Jahr 2003 kaum gewachsen. Der Staatsrechtler Hans Peter Bull, damals Prozessbevollmächtigter der Bundesregierung, nennt inzwischen das Instrument des Parteiverbots „unbrauchbar“.

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