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Politik: Auch in Europa lernen Jugendliche das Töten

Die Bundesregierung fordert, das Mindestalter für Soldaten anzuheben. Die internationale Konferenz in Berlin befasst sich mit der, laut Fischer, "schlimmsten Form politisch motivierten Kindesmissbrauchs"Lars von Törne Ein 15-jähriger Kämpfer der Kosovo-Befreiungsarmee UCK patrouilliert mit einem Maschinengewehr in der Hand in den Straßen der Stadt Prizren.

Die Bundesregierung fordert, das Mindestalter für Soldaten anzuheben. Die internationale Konferenz in Berlin befasst sich mit der, laut Fischer, "schlimmsten Form politisch motivierten Kindesmissbrauchs"Lars von Törne

Ein 15-jähriger Kämpfer der Kosovo-Befreiungsarmee UCK patrouilliert mit einem Maschinengewehr in der Hand in den Straßen der Stadt Prizren. Ein 16-jähriger britischer Soldat kommt bei einem Manöver der Marine in Dartmoor ums Leben. Und ein siebenjähriges kurdisches Mädchen kämpft in einem Kinder-Regiment der Arbeiterpartei PKK gegen die türkische Armee. Das sind nur drei Fälle, in denen Minderjährige in Europa als Soldaten eingesetzt werden. Während ihre Altersgenossen noch zur Schule gehen oder eine Ausbildung beginnen, lernen sie das Handwerk des Tötens - oder werden selbst verletzt und getötet. Weltweit dienen nach Angaben der Vereinten Nationen derzeit rund 300 000 Kinder und Jugendliche als Soldaten.

Der Einsatz von Kindersoldaten ist dabei keineswegs nur auf Bürgerkriegsregionen und Entwicklungsländer beschränkt. Selbst in Europa kämpfen derzeit tausende junger Männer unter 18 Jahren in Armeen oder werden dafür ausgebildet, sagte Lotte Leicht, Leiterin der internationalen Bürgerrechtsorganisation "Human Rights Watch". Dies ist das Ergebnis einer Studie, die am Montag in Berlin auf der Europäischen Konferenz über den Einsatz von Kindersoldaten vorgestellt wurde.

Allein in der britischen Armee, so Leicht, dienen über 6500 Jugendliche unter 18 Jahren. Darunter seien auch 800 Mädchen. Nach Angaben von Leicht setzt Großbritannien die Jugendlichen unter anderem auch in ihren KFOR-Truppen im Kosovo ein. Seit 1992 seien 92 Jugendliche im Alter von 16 und 17 Jahren während des Dienstes gestorben.

Neben Großbritannien ist den Angaben zufolge in 20 weiteren europäischen Staaten die Rekrutierung von Heranwachsenden unter 18 Jahren erlaubt. Danach haben seit Anfang der 90er Jahre vor allem in den Bürgerkriegen in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Tschetschenien, Nagorny-Karabach und in der Türkei tausende Kinder und Jugendliche gekämpft. Aber auch in anderen regulären Streitkräften in Europa leisten Minderjährige Militärdienst.

"Das ist die schlimmste Form politisch motivierten Kindesmissbrauchs", sagte Außenminister Joschka Fischer zur Eröffnung der dreitägigen Veranstaltung, zu der 250 Vertreter von Regierungen und Nichtregierungsorganisationen auf Einladung des Auswärtigen Amtes nach Berlin gekommen sind. Es sei pervers, "Kinder als Tötungsmaschinen abzurichten", sagte Fischer. Er forderte eine strafrechtliche Verfolgung des Einsatzes von Kindern und Jugendlichen als Soldaten. Die Teilnehmer der Konferenz, unter ihnen auch Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, forderten, das Mindestalter für den Militärdienst um drei Jahre anzuheben und weltweit auf 18 Jahre festzulegen. Außenminister Fischer kündigte an, dass die Bundesregierung sich bei den Regierungen der anderen NATO-Länder dafür einsetzen werde, das Mindestalter für eine Rekrutierung zu erhöhen. Nur so könne der Einsatz von Kindersoldaten in Zukunft von Institutionen wie dem künftigen internationalen Strafgerichtshof in Rom effektiv verfolgt werden.

Bisher billigt sogar die UN-Kinderrechtskonvention den Einsatz junger Männer in der Armee ab 15 Jahren. Seit Jahren schon fordern das UN-Kinderhilfswerk Unicef und andere Organisationen, die Grenze auf 18 Jahre anzuheben. Verhandlungen darüber waren jedoch in der Vergangenheit immer wieder von Ländern wie Großbritannien, USA oder den Niederlanden verzögert worden, wie Unicef kritisierte. Im Januar des kommenden Jahres wollen die Regierungen nun in Genf erneut über das Zusatzprotokoll beraten.

Die britische Regierung wies am Montag die Kritik an ihrer Praxis zurück und betonte, man rekrutiere zwar junge Leute ab 16 Jahren, diese würden aber nicht bei bewaffneten Konflikten eingesetzt. Der neue britische Verteidigungsminister Geoffrey William Hoon kündigte in Berlin an, seine Regierung werde die Anstrengungen der Bundesregierung gegen den Einsatz von Kindern als Soldaten unterstützen. Nach seinem Antrittsbesuch bei Verteidigungsminister Rudolf Scharping erklärten beide Minister, sie unterstützten die aktuelle Initiative, das Mindestalter für Soldaten anzuheben. Es müsse weltweit sichergestellt werden, dass Minderjährige nicht zu Militäraktionen gezwungen werden, sagte Hoon. Sowohl Scharping als auch sein britischer Kollege stellten sich generell hinter die Forderung von Außenminister Fischer, dies in einer internationalen Vereinbarung festzulegen. Zu weiteren Einzelheiten wollten sie sich jedoch nicht äußern. © 1999

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