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Politik: „Auch Kinder sind Bürger“

Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt über Familienpolitik, Ost-Förderung und seine Parteichefin

Die CDU erlebt sinkende Umfragewerte, Kritiker meinen, sie sei noch nicht gut aufgestellt für die Bundestagswahl 2006. Warum wirkt die Union nicht souverän?

Die Union liegt immer noch deutlich vor der SPD, und nach vielen Prognosen könnten Union und FDP eine Regierungsmehrheit bekommen. Aber es ist richtig: Wir lagen schon einmal besser in den Umfragen, vor allem nach dem Leipziger Parteitag vor einem Jahr, als die CDU klare Beschlüsse für eine künftige Regierungspolitik mit neuen Ansätzen fasste. Der Ansatz bleibt richtig: Die Lohnnebenkosten müssen sinken, und das geht nur mit einer Reform der Sozialversicherungssysteme. Sonst bestehen wir die Herausforderung der Globalisierung nicht.

2005 wird mit Blick auf die K-Frage auch von Personalpolitik bestimmt werden. Angela Merkel hat auf dem letzten Parteitag verdeutlicht, dass sie an ihre Sache glaubt. Glaubt auch die CDU an Frau Merkel?

Ich bin fest überzeugt, dass die Position von Frau Merkel in der Sache die einzig richtige für die CDU ist. Wir müssen diese mutigen Reformschritte machen, weil ein Nachsteuern der bisherigen Sozialsysteme nicht mehr genügt.

Welche Rolle spielt die Familienpolitik?

Angesichts der demographischen Veränderungen wegen des Geburtenrückgangs eine ganz wesentliche. Es besteht die Gefahr, dass mit der Überalterung der Gesellschaft die Interessen Jüngerer immer weniger berücksichtigt werden. Ich halte es daher für richtig, ein Familienwahlrecht einzuführen, um den Interessen der nachwachsenden Generation und der Eltern stärkeres Gewicht zu verleihen.

Also nicht mehr das Demokratieprinzip „ein Bürger, eine Stimme“?

Auch Kinder sind Bürger. Angesichts der drohenden Überalterung wird das Interesse der Alten das der Jungen immer stärker überlagern. Ich halte das Familienwahlrecht – also die Wahrnehmung des Stimmrechts für jedes Kind durch die Eltern – für eine Möglichkeit, dies auszugleichen. Auch ein Familiensplitting im Steuerrecht ist überlegenswert.

Was heißt das?

Es wäre eine Form der Familienförderung, die über Kindergeld und Freibeträge weit hinausgeht. Das Einkommen der Familie wird durch die Zahl der Familienmitglieder geteilt und versteuert. Kinderreiche vor allem mit mittleren Einkommen hätten Vorteile gegenüber kinderlosen Familien. In Frankreich gibt es dieses Splitting, das nicht zuletzt mittlere Verdiener mit Kindern entlastet. Gerade hier sehe ich bei uns Veränderungsbedarf. In Frankreich haben im Akademikermilieu viel mehr Frauen Kinder als bei uns, wo 40 Prozent der Akademikerfrauen kinderlos sind. Kinderfreundlichkeit ist in Deutschland leider zu oft nur ein Lippenbekenntnis. Es ist nun einmal so, dass die, die Kinder haben, auch etwas für die Gesellschaft tun. Wie sollen sonst unsere Sozialsysteme funktionieren? Das muss stärker gewürdigt werden. Das Ideal unserer Gesellschaft darf nicht das kinderlose Paar werden.

Die Bevölkerung schrumpft ja nicht zuletzt in den ostdeutschen Ländern...

... und das eben nicht nur durch Abwanderung. Im Osten stehen wir, was die Bevölkerungsentwicklung betrifft, vor dramatischen Veränderungen. Es wird Regionen geben, die sich entleeren, wenn man nicht gegensteuert. Wir müssen uns viel stärker fragen, wie Ostdeutschland in 20 Jahren aussieht und darauf schon heute unsere Politik abstellen.

Solche Prozesse lassen sich nur begrenzt steuern. Ist die staatliche Förderpolitik, Stichwort Solidarpakt, denn noch richtig dimensioniert, wenn der Osten eine Region mit schrumpfender Bevölkerung ist? Subventionieren wir nicht Investitionen in eine Region, die diese in solchem Umfang gar nicht brauchen wird?

Zunächst einmal sinken diese Solidarpaktmittel bis 2019 auf null. Aber es ist nicht richtig, die Infrastruktur dort stark auszubauen oder überhaupt erst zu bauen, wo man annehmen muss, dass die Bevölkerung deutlich abnimmt in den nächsten Jahrzehnten. Das muss gezielter geschehen. Vor allem kommt es auf die Stabilisierung der Wirtschaftsregion Ostdeutschland an, gerade im Wettbewerb mit den östlichen EU-Nachbarn. Für dieses Ziel müssen diese Mittel eingesetzt werden.

Müssen denn diese Mittel nur in die Infrastruktur gesteckt werden? Warum nicht auch in den Schuldenabbau oder Personal in der Wissenschaft?

Man kann nicht einmalige Einnahmen wie die Solidarpaktmittel für laufende, also auf Dauer angelegte Ausgaben verwenden. Personalausgaben aber sind dauerhaft, die kann ich nur durch laufende Einnahmen decken. Es geht nicht, Hochschulen attraktiver zu machen durch die Hilfsleistungen aus dem Westen. Der Solidarpakt ist dazu da, den Nachholbedarf des Ostens zu decken. Und der liegt in der öffentlichen Infrastruktur als Vorbedingung für die wirtschaftliche Erholung.

Ist dieser Nachholbedarf nach 15 Jahren so hoch? Einige Ost-Länder haben doch offenkundig Probleme, die Mittel noch ihrem Zweck entsprechend auszugeben.

Das gilt nicht für Sachsen. Im kulturellen Bereich haben wir sicher keinen Nachholbedarf mehr, auch nicht bei den Krankenhäusern oder im Wohnungswesen. Aber beim Straßenbau oder im Bereich Wasser und Abwasser. Auch beim Schulbau. Das Problem ist, dass einige Länder, voran Berlin, sich derart hohe laufende Kosten durch Personal aufgebürdet haben, und damit Schulden, dass sie angesichts der Zinszahlungen keine Eigenmittel für die Investitionen mehr haben. Dann werden die Solidarpaktmittel zweckentfremdet und nicht mehr für die Zukunft investiert, sondern für die Fehler der Vergangenheit. In dem Zusammenhang ist verständlich, dass man im Westen wenig Verständnis hat für hohe soziale Standards im Osten wie bei der öffentlichen Kinderbetreuung. Wir müssen sehr aufpassen, dass wir den Aufbaugedanken nicht diskreditieren durch eine Fehlverwendung der Mittel. Das Geld aus dem Solidarpakt ist keine auf ewig angelegte Kompensation für unterschiedliche Lebensverhältnisse, sondern eine Hilfe zur Selbsthilfe bei der Verbesserung dieser Verhältnisse.

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