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Politik: Auf Abwegen

Jeder dritte Schulschwänzer wird laut einer Studie kriminell. Immer mehr Bundesländer drohen Blaumachern daher mit der Polizei

Ronald Schill, geschasster Innensenator in Hamburg, nimmt es mit der Pünktlichkeit nicht so genau. Gerne schwänzt der Rechtspopulist schon mal den Beginn einer Bürgerschaftssitzung, um sich danach im Blitzlichtgewitter auf die Hinterbank zu fläzen. In seiner Partei nimmt ihm das keiner übel. Hamburgs Schüler hingegen sind nun in das Visier der Law-and-Order-Politik geraten: Nach dem Willen der Schill-Partei sollen Schulschwänzer demnächst per Polizeitransport den Bildungszielen nahe gebracht werden.

„Es besteht dringend Handlungsbedarf“, sagt Hamburgs Innensenator Dirk Nockemann, „viele Schulschwänzer rutschen in ein kriminelles Milieu ab und begehen Straftaten“. Auch die Union hat das Thema entdeckt: Hessens Kultusministerin Karin Wolff (CDU) startet Anfang 2004 das Modellprojekt „Schulschwänzer“, um „notorische Verweigerer zurück auf die Schulbank“ zu bringen – notfalls mit Hilfe der Polizei.

Das Problem ist real, doch Patentlösungen sind nicht in Sicht. Rund eine halbe Million Schüler meidet regelmäßig den Unterricht, schätzt die Bertelsmann-Stiftung: Das Fernbleiben sei „ein wichtiger Risikomarker drohender Fehlentwicklungen“, so das Kriminologische Forschungsinstitut des früheren niedersächsischen Justizministers Christian Pfeiffer (SPD). Die Ursachen des Schwänzens lägen in Leistungsängsten, Familienproblemen, Drogensucht oder Mobbing. Das Institut stellte fest, dass Schulschwänzer dreimal häufiger durch Ladendiebstähle auffallen als andere – durch Gewaltdelikte sogar viermal häufiger. Jeder dritte Schwänzer habe angegeben, er „drehe Dinger“, zitierte „Focus“ das Deutsche Jugendinstitut in München.

Die Länder sind längst alarmiert: In Niedersachen werden Eltern per Telefon benachrichtigt, wenn ihr Kind nicht in der Schule auftaucht. Bremen überlegt, Vätern und Müttern, die ihre Kinder nicht regelmäßig zur Schule schicken, das Kindergeld zu kürzen. Berlin favorisiert Besuche von Lehrern im Elternhaus. Das Problem: Harte Verweigerer lassen staatliche Drohungen kalt. Praktiker berichten, dass abgelieferte Schwänzer wenig später wieder zur Hintertür hinausschlüpfen. Und Bußgelder beeindrucken kaum Familien, die von Sozialhilfe leben müssen.

In Hamburg orientiert man sich am „Nürnberger Modell“, das mittlerweile in ganz Bayern gilt: Zunächst wird das Gespräch mit dem Schüler gesucht. Bleibt das wirkungslos, stellt der Schulleiter einen Antrag auf Schulzwang. Dann kann der Schüler entweder täglich von einem Pädagogen zu Hause abgeholt werden – oder von der Polizei. In Kaufhäusern und Jugendtreffpunkten patrouillieren vormittags Zivilstreifen. SPD und GAL in Hamburg fordern, während der Schulzeit die Computerspiele in den Kaufhäusern abzuschalten und Spielhallen zu kontrollieren.

Die Schill-Partei profiliert sich derweil auf weiterem Terrain: Sie jagt nun auch Straftäter auf zwei Rädern oder vier Beinen. Demonstrativ erschien Innensenator Nockemann bei einer Razzia des Städtischen Ordnungsdienstes an der Außenalster: 15 Uniformierte durchstreiften in Zweiergruppen die Uferzone. In knapp drei Stunden deckten sie in der „Hochburg des Verbrechens“ (Schill) 80 Ordnungswidrigkeiten auf – meist Hunde, die unangeleint liefen, oder Radfahrer, die auf Fußwegen unterwegs waren.

Günter Beling[Hamburg]

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