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Politik: Auf der Gangway kehrtgemacht

Georgiens Präsident sagt in letzter Minute beim GUS-Gipfel ab – wegen neuer Spannungen mit Russland

Die Kellner des Nobelrestaurants „Pritschal“ in Schukowka im Nordwesten Moskaus schafften es gerade noch, die überzähligen Gedecke abzuräumen, bevor Putin und die anderen hohen Gäste eintrudelten. Buchstäblich in letzter Minute hatten mehrere Staatschefs ihre Teilnahme am informellen Gipfel der UdSSR-Nachfolgegemeinschaft GUS abgesagt: Saparmurat Nijasow, der „Führer aller Turkmenen“ macht am Kaspischen Meer Urlaub, der Armenier Robert Kotscharjan ist angeblich erkältet. Unpässlich ist auch Moldawiens Wladimir Woronin, Viktor Juschtschenko dagegen entschuldigte sich mit den Wirren in der Ukraine.

Dessen georgischer Kollege Michail Saakaschwili machte sich gar nicht erst die Mühe, nach einem plausiblen Grund zu suchen. Nachdem er schon auf der Gangway war, drehte er sich auf dem Absatz um, wie Radio „Echo Moskwy“ berichtete. Der Grund: Saakaschwili hatte sich bis zuletzt um ein bilaterales Treffen mit Putin am Rande des Gipfels bemüht, der Kremlherrscher stand jedoch nicht zur Verfügung.

Das deuten Beobachter als extrem schlechtes Zeichen, denn die Spannungen mit Russland, die sich seit der Revolution der Rosen im November 2003 immer mehr hochschaukelten, eskalierten diese Woche dramatisch. Beide Seiten drohen inzwischen offen mit Einsatz von Gewalt. Die Positionen sind so verhärtet, dass offenbar selbst auf höchster Ebene keine Einigung mehr möglich ist.

Nichts geht mehr zwischen beiden, seit Georgiens Parlament am Dienstag eine Resolution verabschiedete, die den Abzug russischer Friedenstruppen aus Sudossetien und Abchasien fordert. Beide Regionen hatten sich nach Kämpfen mit Tiflis Anfang der 90er Jahre für unabhängig erklärt, Moskau unterstützt die Separatisten offen. Eben darum, so Georgiens Parlamentschefin Nino Burdschanadse, handle es sich bei den Blauhelmen nicht um eine Friedensmission, sondern um „Versuche Russlands, Teile Georgiens zu annektieren“.

Auch in Georgien selbst spitzte sich die Lage zu: Präsident Saakaschwili entließ den zuständigen Minister Chaindrawa, nachdem dieser die Forderung des Parlaments nach einem Abzug der russischen Friedenstruppen aus Georgien kritisiert hatte. Die Europäische Union zeigte sich am Donnerstag „tief beunruhigt“ über die andauernden Spannungen zwischen Russland und Georgien sowie über jüngste Grenzstreitigkeiten in Südossetien.

Ende letzter Woche hatte Georgien zudem neue Verhandlungen zu Russlands Aufnahme in die Welthandelsorganisation WTO verlangt. Kandidaten müssen sich ihre Aufnahme durch bilaterale Verhandlungen mit allen Mitgliedern absegnen lassen. Nachverhandlungsbedarf sah Tiflis vor allem wegen des Embargos gegen georgische Weine und Mineralwasser, das Moskau Ende März mit Qualitätsmängeln begründete. Georgien geht von politischen Motiven aus und erwägt den GUS-Austritt.

Das hätte automatisch auch den Abzug der russischen Blauhelme zufolge, denn offiziell unterstehen diese der GUS. Russlands Verteidigungsminister Sergej Iwanow trat daher die Flucht nach vorn an und drohte Donnerstagabend offen mit militä rischer Intervention: Eigentliches Ziel der Manöver, die momentan im russischen Kaukasus stattfinden, sei es, den Schutz russischer Bürger im Ausland zu üben: in Abchasien und Sudossetien, wo 60 Prozent der Bevölkerung einen russischen Pass haben.

Die Kampfhandlungen, fürchtet Pawel Felgenhauer, einer der prominentesten Militärexperten Russlands, würden noch vor Manöverende am 27. Juli beginnen und mit „gleicher Heftigkeit wie momentan im Libanon geführt“ werden. Der Grund: Spätestens Ende Oktober schneien die Pässe zu.

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