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Politik: Auf eigene Kosten zum Zahnarzt?

Rürup-Kommission erwägt, Behandlung aus Kassenkatalog zu streichen / Ärzte: Dann beißen die Deutschen zurück

Berlin. Nach Kanzler Gerhard Schröder hat auch die Opposition einschneidende Reformen in den Sozialsystemen gefordert. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) sprach sich für „mehr Eigenverantwortung“ aus. In Deutschland dürfe nicht länger „in den Kategorien der Besitzstandswahrung“ gedacht werden. Schröder hatte zuvor einen „harten Reformweg“ angekündigt. In der Rürup-Kommission zur Gesundheitsreform wird für gesetzlich Krankenversicherte indes eine Eigenbeteiligung 900 Euro im Jahr und die komplette Streichung von Zahnbehandlung und Zahnersatz aus dem Leistungskatalog erwogen.

Von Antje Sirleschtov

und Rainer Woratschka

Für die ambulante ärztliche Behandlung und für Medikamente sollten Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen eine Selbstbeteiligung von 900 Euro pro Jahr zahlen, forderte Kommissionsmitglied Bernd Raffelhüschen in der „Bild“-Zeitung. Nur Kinder sollten davon ausgenommen sein. Die Kassenleistungen für Zahnbehandlungen müssten ab 2005 zunächst pro Jahr um je zehn Prozent verringert und ab 2014 ganz gestrichen werden. „Eine nachhaltige Reform der Sozialsysteme wird zwangsläufig eine höhere Selbstbeteiligung und die Streichung von Leistungen wie Zahnbehandlung und Zahnersatz vorsehen müssen“, sagte der Freiburger Finanzwissenschaftler. Der Kassenbeitrag könne dadurch im Schnitt von 14,4 Prozent auf 12,4 Prozent gesenkt werden.

Das Bundessozialministerium wollte diese Vorschläge nicht kommentieren. Eine Sprecherin verwies allerdings auf die von Ministerin Ulla Schmidt (SPD) geplante Gesundheitsreform, die keine Ausgrenzung von Kassenleistungen vorsehe, sondern deren Optimierung. Der Vorsitzende des Klinikärzte-Verbands Marburger Bund, Frank Ulrich Montgomery, wandte sich gegen Raffelhüschens Vorschlag. „Dass man künftig die Armen an ihrem Gebiss erkennt, ist in unserem Sozialsystem nicht denkbar“, sagte er dem Tagesspiegel. Die Deutschen seien zwar bereit, mehr für eine verbesserte Zahnprothetik zu bezahlen. Die komplette Streichung der Zahnbehandlung aus dem Leistungskatalog der Kassen ließen sie sich aber nicht gefallen. „Da beißen sie zurück.“

Auch die empfohlene Selbstbeteiligung bezeichnete Montgomery als „nicht machbar und durchsetzbar“. Auf Dauer lasse sich zwar „die bisherige Ein-Klassen-Medizin nicht erhalten“. Aber das Grundproblem des Gesundheitswesens, die gerechte Finanzierung von immer mehr und teureren Leistungen für immer älter werdende Menschen, werde durch solche Vorschläge nicht gelöst.

Nach Ansicht von CSU-Chef Stoiber werden „einschneidende Reformen“ im Gesundheits-, aber auch im Renten- und Arbeitsmarktbereich jedoch nicht zu verhindern sein. In seiner Neujahrsansprache sagte er, das Land befinde sich in „einer der schwersten Strukturkrisen seines Bestehens“. Der CSU-Chef mahnte: „Gegenwärtig leisten wir uns mehr, als wir erwirtschaften. Wir leben in unverantwortlicher Weise auf Kosten unserer Kinder und Enkel.“

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