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Aufgezeichnet: Wie eine Berliner Studentin das Kairo dieser Tage erlebt

Tränengas, Erste Hilfe – und Schuldgefühle: Die 23-jährige Studentin Johanna Klauke wohnte bis Freitag letzter Woche gleich hinter dem Tahrir-Platz. Dem Tagesspiegel hat sie über ihre Erlebnisse berichtet.

Donnerstag, 26. Januar: Morgens haben wir im Arabischunterricht noch Witze gemacht. Darüber, dass so etwas wie in Tunesien hier nicht möglich sei. Wir dachten, die Ägypter sind viel zu unpolitisch und mehr an ihren Handys als an einer Revolte interessiert. Abends auf meinem Heimweg hatte ich dann den ersten Kontakt mit den Demonstranten.

Freitag, 27. Januar: Donnerstagabend funktioniert das Internet nicht, Freitagmorgen auch mein Handy nicht mehr. Nach dem großen Gebet strömen plötzlich die Menschenmassen auf den Tahrir- Platz. Es fallen Schüsse und es riecht nach Tränengas, das durch die Ritzen in unsere Wohnung dringt. Meine Mitbewohnerin und ich kleben die Fenster und Türen ab. Mit Tüchern vor dem Mund beobachten wir durch das Fenster, wie sich die Fronten der Demonstranten hin und her schieben. Wir sind sprachlos, bis ein bewusstloser Mann aus der Menge unter unser Fenster getragen wird. Schreie: „Wasser, Wasser“. Wir rennen nach unten. Die Polizei schießt mit Gummigeschossen auf die Demonstranten. Die Treffer der Patronen aus Hartgummi lassen ihre Haut aufplatzen. Es sind kleine, tiefe Fleischwunden, die wir notdürftig mit Taschentüchern versorgen.

Samstag, 28. Januar: Panzer rollen an meinem Fenster vorbei. Sie wecken mich. Der Boden vibriert. Es sind Bilder, die ich nur aus Filmen kenne. Um neun Uhr klingelt es Sturm an unserer Tür, ein Demonstrant, den ich vom Vortag kenne. Mit ausgetrocknetem Mund berichtet er, dass Menschen auf der Straße erschossen würden. Ich muss einkaufen gehen, unsere Vorräte sind aufgebraucht. Die sonst verstopften Straßen sind wie leergefegt, nur das Militär lungert herum. Im Hintergrund brennt das ägyptische Museum. Ich verabrede mich mit einem ägyptischen Kommilitonen am Tahrir-Platz. Das Handynetz funktioniert wieder. Eine Stunde später bekomme ich einen Anruf, dass ich sofort zum Büro des DAAD kommen soll. Um die 50 Lektoren, Praktikanten und Familien sind dort, die abwarten, Fernsehen schauen und ein Notlager mit Nachtwachen errichten.

Sonntag, 29. Januar: Mein Freund Rami telefoniert mit seinen Cousins in Shubera, der ihm von Vergewaltigungen berichtet. In Kairo sollen Kriminelle aus den Gefängnissen freigelassen worden sein. Es bilden sich Bürgerwehren, die Straßensperren errichten. Unser Hausmeister bewaffnet sich mit einem riesigen sudanesischen Schwert. Andere Nachbarn haben ihre Küchenmesser an Stöcke gebunden. Als wir Schüsse in nächster Nähe hören, verbarrikadieren wir uns für zwei Stunden im Keller.

Dienstag 1. Februar: Der Sprechchor des „Marschs der Millionen“ klingt kilometerweit. Auch unsere Arabischlehrer und ihre Kindern demonstrieren. Sie rufen uns an. Wir glauben an ein gutes Ende.

Donnerstag, 3. Januar: Wie aus dem Nichts tauchen Menschen auf geschmückten Pferden und Kamelen auf. Mit Schwertern und Peitschen bewaffnet reiten sie an unserem Haus vorbei. Auf Al Dschasira erfahren wir, dass es Mubarak-Anhänger sind, die Demonstranten verletzen. Auch Polizei in Zivil ist darunter. So habe ich mir Krieg vorgestellt.

Freitag, 4. Februar: Wir müssen ausfliegen. Im Konvoi werden wir von der Deutschen Botschaft zum Flughafen gefahren. Unsere Kameras und Pässe müssen wir abgeben, weil es Übergriffe auf Journalisten und Ausländer gegeben hat. Abends bin ich zu Hause bei meinen Eltern und habe das Gefühl, mit meinem goldenen, deutschen Pass einfach gegangen zu sein.

Dienstag, 8. Februar: Ich spüre, wie die unterbewusste Anspannung sich löst. Ich bin froh, aber auch traurig, wieder in Deutschland zu sein. Und während Ägypten nach und nach aus den Medien verschwindet und von anderen Themen verdrängt wird, spielen sich die Bilder aus Kairo immer wieder vor meinen Augen ab. Ich wünsche mir, bald wieder dort zu sein, um mich richtig zu verabschieden.

Aufgezeichnet von Hadija Haruna.

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