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Auch in Ebeleben (Thüringen) gab es einen Brand in einer geplanten Flüchtlingsunterkunft.

© dpa

Auflistung der Regierung: In NRW und Sachsen gab es die meisten Angriffe auf Flüchtlingsheime

1027 Attacken auf Flüchtlingsheime hat die Polizei bundesweit im vergangenen Jahr registriert. Nun gibt es eine Auflistung, wo und wie es dazu kam.

Von Frank Jansen

Margret M. schlief an der Seite ihrer drei Kinder, als im Zimmer nebenan die Scheibe splitterte. Eine Brandflasche krachte in den Raum, in dem normalerweise der elfjährige Sohn der Flüchtlingsfrau aus Simbabwe nächtigte. Dass er in der Nacht zum 28. August 2015 bei der Mutter war, rettete ihm vermutlich das Leben. Der Anschlag auf die Unterkunft für Asylbewerber im niedersächsischen Salzhemmendorf hätte zu einer Katastrophe führen können wie einst die Morde in Mölln und Solingen. Die Staatsanwaltschaft wertet denn auch den Angriff auf die afrikanische Familie als versuchten Mord. Ob es dem Täter und seinen Helfern etwas nützt, dass sie diese Woche im Prozess am Landgericht Hannover Geständnisse ablegten, bleibt offen. Margret M. und die Kinder werden den Schrecken der Nacht im August nie vergessen.

Und Salzhemmendorf ist nur ein Ort auf der Landkarte des Schreckens. 1027 Attacken auf Flüchtlingsheime hat die Polizei bundesweit im vergangenen Jahr registriert. Wo und wie Rassisten pöbelten, schlugen, zündelten und sprengten ist nun der Antwort der Bundesregierung auf eine umfangreiche Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und ihrer Linksfraktion zu entnehmen. Auf 43 Seiten sind 988 Angriffe aufgelistet. Das war der Stand der Polizei am 20. Januar, durch Nachmeldungen ist die Zahl der Straftaten später noch  gewachsen. Doch das Papier der Regierung dokumentiert schon die Wucht des Hasses, in die Deutschland im vergangenen Jahr extrem zugenommen hat.

Auch diese Unterkunft für Asylbewerber in Salzhemmendorf wurde attackiert.
Auch diese Unterkunft für Asylbewerber in Salzhemmendorf wurde attackiert.

© dpa

Mehr als 360 „Sachbeschädigungen“, knapp 90 Brandstiftungen und in acht Fällen das  „Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion“ haben die Länderpolizeien an das Bundeskriminalamt gemeldet. Die Angriffe trafen oft leerstehende Gebäude, in die Flüchtlinge einziehen sollten. Aber wie in Salzhemmendorf wurden auch Flüchtlinge direkt attackiert. Die Regierung nennt fast 60 Fälle von einfacher Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung sowie drei versuchte Morde und einen versuchten Totschlag. Bei den mehr als 450 weiteren Straftaten geht es unter anderem um Volksverhetzung, Bedrohung, Beleidigung, Landfriedensbruch, Hausfriedensbruch, Verwenden verbotener rechtsextremer Kennzeichen, „Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“ und schweren Diebstahl.

Eine Liste mit 988 Attacken

Die Liste der 988 Angriffe ist nüchtern gehalten. Datum, Ort, Bundesland und „Deliktsart“ werden genannt, außerdem sind Attacken mit einem Kreuzchen gekennzeichnet, wenn ein rechtes, also rassistisches Motiv zu erkennen ist. Das ist bei 822 Fällen so, dennoch sind viele Täter nie als Extremisten aufgetreten, bevor sie ihre Wut auf Flüchtlinge in kriminelle Aktionen umsetzten. Sicherheitskreise vermuten, etwa 70 Prozent der Angreifer seien Normalbürger, die sich  aufgeputscht haben. Oft mit Alkohol, manchmal auch mit der Hassmusik rechter Bands.

So war es bei den  Brandstiftern von Salzhemmendorf, doch als Neonazis waren sie nicht bekannt. Einer der Täter gehörte sogar der örtlichen Feuerwehr an. Wie auch der Flüchtlingsfeind, der in der Nacht zum 4. Oktober im sauerländischen Altena auf dem Dachboden eines Mehrfamilienhauses ein Feuer legte. In einer der Wohnungen lebten sieben Syrer, darunter eine schwangere Frau. Sie blieben unverletzt. Dieser Fall wird  in der Liste der Bundesregierung nicht als versuchter Mord genannt, sondern „nur“ als besonders schwere Brandstiftung.

Bei der Aufzählung der Tatorte ist die ganze Republik betroffen. Kein Bundesland fehlt, aber es gibt Unterschiede. Die meisten Attacken auf Flüchtlingsunterkünfte, insgesamt 219, hat Nordrhein-Westfalen gemeldet. Es folgt Sachsen mit 109 Delikten, die Krawalle von Heidenau sind auch dabei. Ein Blick auf die Zahl der Einwohner in beiden Ländern zeigt, dass der Hass auf Asylbewerber in Sachsen offenbar überproportional groß ist. Im Freistaat leben vier Millionen Menschen, in Nordrhein-Westfalen sind es mehr als 17 Millionen. Aber Sachsen meldet mit 109 Angriffen auf Flüchtlingsheime halb so viele wie NRW.

Die Polizei weiß oft wenig

Doch auch im Westen sind die Alarmzeichen nicht zu übersehen. Gerade im Ruhrgebiet. In Essen gab es zehn Attacken, in Duisburg, Dortmund und Bochum je sieben. Und der Blick in andere Regionen  ist auch wenig angenehm. In der Antwort der Regierung ist Köln mit zehn Angriffen auf Flüchtlingsheime genannt, München mit 13, in Hamburg sind es 14. Bei den Städten im Osten liegt Dresden mit 15 Delikten an der Spitze. Es folgen Gera mit zehn sowie  Wismar und Magdeburg mit je neun. In Sachsen-Anhalt fallen zudem zwei kleinere Städte auf. Aus Merseburg an der Saale meldete die Polizei zwölf Angriffe, in Oschersleben waren es neun.

Die mit Abstand am stärksten belastete Kommune bundesweit ist allerdings Berlin. 58 Attacken gegen Flüchtlingsunterkünfte wurden hier gezählt. „Quantität und Qualität fremdenfeindlicher Hetze haben massiv zugenommen“, sagt der Berliner Verfassungsschutz in einer Lageanalyse zu rechtsextremistischen Aktivitäten gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte in der Stadt. Die östlichen Bezirke seien deutlich schwerer belastet als die im Westteil, heißt es. Und das Internet wirke generell „als eine Art Katalysator“. Der Nachrichtendienst warnt auch vor einer „zunehmenden Gefährdung von Personen und Objekten, die mit dem Thema Flüchtlinge und Flüchtlingsunterkünften in Verbindung stehen“. Die Bedrohungslage betreffe „explizit“ Politiker und Journalisten „sowie Bürger, die sich im Bereich der Flüchtlingsarbeit engagieren“.

Ob die Polizei in Berlin und im Bund in der Lage ist, dem rassistischen Hass effektiv zu begegnen, bleibt unklar. In der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linksfraktion steht der lapidare Satz, „im Jahr 2015 konnten insgesamt zu 255 Delikten 563 Tatverdächtige ermittelt werden“. Gemeint sind  255 der aufgelisteten 988 Angriffe auf Flüchtlingsheime. Demnach weiß die Polizei bei knapp 75 Prozent der Attacken offenbar wenig.              

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