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Politik: Aufruhr in schwarzen Roben

Frankreichs Richter protestieren gegen Justizpolitik

In Frankreichs Justizpalästen herrscht Aufruhr. Seit einer haben in fast allen Gerichten zwischen Calais und Marseille die Richter beschlossen, Prozesse zu vertagen, Beratungen zu verschieben und Termine abzusagen. Nur unabwendbar eilige Entscheidungen werden in der „Woche ohne Verhandlungen“ getroffen. Auf dem Höhepunkt dieser Bewegung protestierten die Justizangehörigen am Donnerstag bei landesweiten Kundgebungen gegen die „ungerechtfertigte Kritik“ von Präsident Nicolas Sarkozy und dessen Justizpolitik.

Ein Mordfall in der Loire-Stadt ist der Auslöser dieses ungewöhnlichen Konflikts zwischen den Richtern und dem von der Verfassung zum Hüter der Unabhängigkeit der Justiz berufenen Staatspräsidenten. Die Leiche eines 18-jährigen Mädchens war kürzlich zerstückelt in einem Teich gefunden worden. Als mutmaßlicher Täter wurde der 31-jährige Tony Meilhon verhaftet. Er ist mehrmals vorbestraft, unter anderem wegen Vergewaltigung eines Mithäftlings vor 14 Jahren, und war voriges Jahr nach Verbüßung seiner letzten Strafe unter Auflagen entlassen worden. Eine besondere Überwachung wurde aber nicht angeordnet.

Bei einem Blitzbesuch in Nantes nahm Präsident Sarkozy die öffentliche Erregung über diesen Fall zum Anlass, Justiz und Polizei „schwere Funktionsstörungen“ vorzuwerfen und denen Sanktionen anzudrohen, „die ein Individuum wie diesen mutmaßlichen Schuldigen“ ohne Aufsicht eines Bewährungshelfers aus der Haft entlassen. „Unsere Mitbürger erwarten, dass die Gesellschaft vor solchen Monstern geschützt wird“, wetterte er.

Vom Zornesstrahl des Präsidenten sehen sich die Richter in Nantes, und nicht nur dort, zu Unrecht getroffen. An allen Ecken und Enden fehle es der Justiz an Mitteln und Personal, protestierten ihre Berufsverbände. Das Budget des Justizministeriums sei zwar erhöht worden. Doch nach Angaben der EU-Kommission kommen in Frankreich auf 100 000 Einwohner nur neun Richter, während es im europäischen Durchschnitt zwanzig seien. In Nantes etwa seien drei Strafvollzugsrichter für 4000 Fälle zuständig. Wegen Überlastung würden die wenigen Bewährungshelfer nur mit den schwersten Fällen betraut. Meilhon, der zuletzt wegen Richterbeleidigung einsaß, gehörte nicht dazu.

Premierminister Francois Fillon warf den Richtern „Übertreibung“ vor. Aus dem Kassationshof, dem obersten Gericht, ist Unmut über die Richterschelte zu vernehmen. Schon als Innenminister hatte Sarkozy Richtern „Laschheit“ vorgeworfen. Aus Misstrauen gegenüber den Berufsrichtern will er jetzt im Zuge der nächsten Justizreform die Untersuchungsrichter abschaffen und Strafgerichte, wie schon die Schwurgerichte, mit Laienrichtern besetzen.

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