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Aufsichtsrat der Deutschen Bahn tagt: Wird Stuttgart 21 doch noch gestoppt?

Diese Woche entscheidet der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn über die Gelder für Stuttgart 21. Die Bahn kann kaum noch zurück, doch die Kritik wird immer lauter.

Jetzt fährt die Bahn schweres Gerät auf. Eine 120 Meter lange Bohrmaschine, so schwer wie hundert Autos, wird sich bald durch den Stuttgarter Untergrund fräsen. Sie soll den Fildertunnel baggern, eine gut neun Kilometer lange Doppelröhre Richtung Süden. Der Schacht ist einer der wichtigsten Bestandteile des Projekts Stuttgart 21. Hat das Schneidrad der Maschine erst einmal Fahrt aufgenommen, gibt es kein Zurück mehr, dann kommt der umstrittene Tiefbahnhof.
Es sei denn, der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn stoppt der Weiterbau noch. Am Dienstag treffen sich die 20 Kontrolleure im Bahn-Tower, um über die enormen Mehrkosten abzustimmen. Von ihrem Votum hängt eine Menge ab. Die Baustelle im Schwäbischen ist mehr denn je ein politisches Projekt. Denn hier entscheidet sich ein Stück weit, wer im September die Macht im Bund erringt.

Warum steigen die Kosten so stark?
Mitte der neunziger Jahre glaubte man noch, der Umbau des Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation samt 60 Kilometern Tunnel sei preiswert zu haben. 2,45 Milliarden Euro hatten die Planer angesetzt. Heute rechnet die Bahn offiziell inklusive möglicher Risiken mit bis zu 6,8 Milliarden – bald dreimal so viel wie einst. Je detaillierter man plane, desto teurer werde es, entschuldigen sich die Ingenieure. Sie fanden störende Leitungen im Boden, vergaßen wichtige Posten bei der Kalkulation, wurden von steigenden Materialpreisen oder von angeblich trägen Beamten überrascht. Einst warb Bahn-Chef Rüdiger Grube, Stuttgart 21 sei das „am besten geplante Projekt“ des Konzerns. Das sagt er schon lange nicht mehr. Ebenso lässt er sich nicht darauf ein, dass die aktuelle Summe das Ende der Fahnenstange ist. Bei einem so umfangreichen Vorhaben könne man eben nie wissen, sagt Grube. Bahn-Skeptiker wie der Münchener Verkehrsplaner Karheinz Rößler halten einen Anstieg der Gesamtkosten auf bis zu zehn Milliarden Euro für möglich. Kein Wunder: Die Eröffnung wurde von 2019 offiziell schon auf 2021 verschoben. In Bahn-Papieren ist vereinzelt von 2022 die Rede, der Bund geht von 2024 aus.

Wie wird der Aufsichtsrat entscheiden?
„Heute würden wir ganz sicher nicht zustimmen, würde uns der Vorstand dieses Projekt mit 6,5 Milliarden Euro Kosten vorlegen“, bekennt ein Aufsichtsrat. Doch Stuttgart 21 steht nicht mehr am Anfang - die Planung ist fast abgeschlossen, die Bauarbeiten haben begonnen. Dabei wissen die Konzern-Kontrolleure schon heute, dass sich der Tiefbahnhof niemals rechnen wird. Zustimmen können sie nur, weil ein Ausstieg mit mindestens zwei Milliarden Euro noch teurer käme - sagt zumindest die Bahn. Obendrein stünde man dann mit leeren Händen da, und ehe der Bau einer Alternative beginnen könne, dauere es mindestens zehn Jahre.
Allerdings taxieren die Bahnhofsgegner einen Ausstieg viel niedriger. Von „500 bis 600 Millionen Euro“ spricht Anton Hofreiter (Grüne), Vorsitzender des Bundestags-Verkehrsausschusses. Ideen für eine Alternative gibt es, etwa die des Schlichters Heiner Geißler, nur die Ferngleise zu verbuddeln und den Rest über der Erde zu lassen. Doch die Bahn hat diese Varianten gar nicht erst im Detail durchgerechnet.

Die Vertreter des Bundes werden den Plänen der Bahn dennoch ihren Segen erteilen. Obwohl Fachleute im Bundesverkehrsministerium in einem internen Papier noch Ende Januar gewarnt hatten, für eine Entscheidung gebe es wegen der Fülle offener Fragen „keine ausreichende Grundlage“. Offen ist noch, wie sich die Arbeitnehmer verhalten. Die Tendenz gehe in Richtung Zustimmung, heißt es in ihren Kreisen. An diesem Montag will sie der Vorstand noch einmal zu überzeugen versuchen. Gegenstimmen wären „ein verheerendes Signal“, sagt ein Manager. Die Bürger rücken derweil von der Idee ab. Nach einer neuen Emnid-Umfrage lehnen 54 Prozent das Projekt ab, mehr als je zuvor. 39 Prozent befürworten es. Bei der Volksabstimmung Ende 2011 hatten noch 59 Prozent für den Bahnhof gestimmt, 41 Prozent dagegen.

Warum ist S 21 für die deutsche Bahn so wichtig?

Zunächst einmal aus finanziellen Gründen: Die Kosten für Stuttgart 21 fallen gegen Ende des Jahrzehnts an. Ein Ausstieg würde die Bahn-Bilanz dagegen umgehend belasten, statt eines Rekordgewinns würde ein Verlust anfallen. Er könne sich nicht vorstellen, dass der Staatskonzern dann an den Bund die versprochene Dividende von 525 Millionen Euro zahlen könne, sagt Konzernchef Grube. Bei einem Ausstieg wären zudem die zahlreichen Zuschüsse aller staatlichen Ebenen für den Bahnhof erst einmal perdu. Viel wichtiger sind aber die politischen Festlegungen. Bahn-Chef Grube hat den Bahnhof zu seinem Baby gemacht und sogar seinen Verbleib im Amt daran geknüpft.

Welche Rolle spielt das Projekt für die Bundespolitik?
Angela Merkel hat 2010 ein Bekenntnis zu dem Tiefbahnhof abgegeben hat. Das bindet sie. Auch wegen des Desasters um den Flughafen BER: Noch ein scheiterndes Großprojekt kann sich die schwarz- gelbe Bundesregierung nicht leisten. Zumal es um die Glaubwürdigkeit der Union in ihrem Stammland Baden-Württemberg geht. Deshalb hat sich nun auch noch einmal Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, gebürtiger Badener, für den Bahnhof stark gemacht. Angesichts des politischen Drucks spielt es für die Vertreter des Bundes auch keine Rolle mehr, ob sich der Bahnhof jemals rechnet.

Umgekehrt frohlocken die Grünen: Sie haben bereits eine Landtags- und eine wichtige Kommunalwahl mit dem Thema gewonnen, nun soll die Skepsis zu Stuttgart 21 auch bundesweit Stimmen bringen. Auch der SPD kommt der neue Kostenstreit gelegen. „Wenn Merkel und Ramsauer das durchdrücken, ist es endgültig ihr Projekt“, freut sich ein SPD-Abgeordneter vom Fach. Nebeneffekt für die Sozialdemokraten: Sollte sie im Herbst an die Regierung kommen, ist ein Ausstieg vermutlich nicht mehr möglich. Sie können also heute kritisieren, ohne später Konsequenzen ziehen zu müssen.

Welche bundesweiten Folgen hat der Bau?
Vermutlich wird erst einmal die Bahn auf den Mehrkosten für den Tiefbahnhof sitzen bleiben - ob sich die Projektpartner, also Stadt und Land, beteiligen müssen, wird wohl erst vor Gericht entschieden. Kein Problem, sagt die Bahn - dann werden eben die Schulden des Konzerns pro Jahr um 200 Millionen Euro weniger abgebaut. Die Investitionen in Gleise, Bahnhöfe und neue Züge sollten jedenfalls nicht leiden. Doch die Erfahrungen mit dem Konzern, etwa der Sparkurs im Vorfeld des geplanten Börsengangs 2008, macht skeptisch. Er wird kaum hinnehmen, einen höheren Schuldendienst zu schultern. Es gibt eine Menge Stellschrauben: Ticketpreise könnten steigen, die Netzsparte könnte höhere Trassenpreise von den Bahn-Firmen für die Nutzung der Gleise verlangen, der Kauf neuer Züge könnte vertagt werden, ebenso wie Investitionen in Engpässe. Alles würde über kurz oder lang den Kunden treffen.

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