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Aufstrebende Weltmacht: Die Mär vom grimmigen Drachen

Chinas Aufstieg und seine Exportstärke lösen weltweit Ängste aus – dabei kopiert Peking nur die Erfolgsrezepte der alten Industrienationen

Wenn Amerikas Wahlkämpfer über die Verarmung der Mittelschichten räsonieren, dann suchen sie die Schuldigen gern in China. Mal machen sie die Regenten in Peking dafür verantwortlich, dass die Löhne der Arbeitnehmer schrumpfen. Mal beschuldigen sie Chinas Unternehmen des Diebstahls von geistigem Eigentum, der Amerikas Wohlstand koste. Dann wieder erheben sie den Vorwurf, das Reich der Mitte erziele durch die Manipulation des Wechselkurses seiner Währung extreme Handelsüberschüsse und bedrohe das Land mit „Deindustrialisierung“. Dementsprechend verspricht auch der Präsidentschaftsbewerber mit den besten Aussichten, der demokratische Senator Barack Obama, er werde, einmal ins Amt gewählt, gegenüber China „aggressiv die Interessen amerikanischer Arbeiter“ vertreten. Ähnliche Ansichten werden auch in Europa zusehends populär. Mehr als die Hälfte aller Deutschen sehen in Chinas hohem Wirtschaftswachstum eine Gefahr für Deutschland, ergab eine Umfrage des Allensbach-Instituts. Immer mehr Europäer würden „den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas als Bedrohung ansehen“, warnte darum Manuel Barroso, Präsident der EU-Kommission. Er forderte, Peking solle endlich gegen Produktpiraten vorgehen und Handelshürden beseitigen. Das Handelsdefizit „explodiere“ und sei „unhaltbar“, China müsse endlich seine Währung zum Handel freigeben und aufwerten lassen.

So verbreitet sich der Eindruck, China betreibe eine Art Wirtschaftsimperialismus und beraube die alten Industrienationen ihres Wohlstands. Doch viele der dazu vorgebrachten Argumente halten der Überprüfung nicht stand. So kann von einer „Deindustrialisierung“ in Amerika oder Europa keine Rede sein. Zwar ging etwa in den USA seit 2000 fast ein Fünftel aller Industriearbeitsplätze verloren. Aber Ursache für diesen Verlust war vor allem die steigende Automatisierung. Die Produktion nahm dagegen sogar zu. Dementsprechend beträgt der Anteil der Industrie an der US-Wirtschaftsleistung seit mehr als zehn Jahren konstant rund 14 Prozent.

Fragwürdig ist auch die Klage über wachsende Handelsdefizite mit China. Nicht nur, dass sich auch Deutschland oder Japan schon seit Jahrzehnten mit enormen Exportüberschüssen auf Kosten anderer Länder zusätzliche Einkommen verschaffen. Ein großer Teil des chinesischen Exporterfolgs geht zudem auf die Verlagerung von Fabriken innerhalb Ostasiens zurück. So wachsen zwar Europas Importe aus China, aber gleichzeitig sind jene aus Japan oder Südkorea erheblich geschrumpft. Insgesamt war der Wert aller EU-Importe aus Ost- und Südasien im Jahr 2006 nicht größer als im Jahr 1998.

Zumindest zweifelhaft ist auch der Vorwurf, China halte den Wert seiner Währung, des Renminbi Yuan, künstlich niedrig, um seine Exportwaren billig zu halten. Zwar ist unbestreitbar, dass Chinas Zentralbank alle hereinströmenden Dollar, Euro und Yen kauft und den Kapitalverkehr mit dem Ausland eisern kontrolliert, um eine zu schnelle Aufwertung des Yuan zu verhindern. Darum legte sein Kurs gegenüber dem Dollar seit 2005 trotz dessen Kursverfalls am freien Markt um gerade mal zwölf Prozent zu. Durch diese enge Koppelung an den Dollar wertete der Yuan im gleichen Zeitraum gegenüber dem Euro daher um rund 15 Prozent ab und verschaffte Chinas Waren in der EU Preisvorteile.

Doch die gleiche Politik haben auch die Japaner noch bis vor wenigen Jahren verfolgt, ohne dass sie dafür geächtet wurden. Und auch am westdeutschen Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg hatte das Festkurssystem einen großen Anteil, mit dem die westlichen Industrienationen bis 1973 ihre Finanzmärkte im Zaum hielten. Die festen Kurse sorgten für langfristige Sicherheit der Kalkulation – genau das, was Chinas Wirtschaftsplaner nun auch für ihre Unternehmen beanspruchen. „Fast alles, was China vorgeworfen wird, haben die alten Industrienationen für ihren eigenen Aufstieg früher selbst betrieben“, hält denn auch Gudrun Wacker, Chinaexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), den Kritikern der Pekinger Wirtschaftspolitik entgegen. So würden in der Chinadebatte allzu oft die tatsächlichen Zusammenhänge ausgeblendet, konstatiert SWP-Expertin Wacker. Dass Chinas Aufstieg weltweit Ängste auslöse, liege wohl weniger an der Wirtschaftspolitik des Landes, als an seiner Größe. Auch Taiwan oder Südkorea seien mit ähnlichen Methoden in den Kreis der Wohlstandsnationen aufgerückt. Aber jetzt, so Wacker, komme „so ein Riese dazu, und das viel schneller als erwartet“, das wecke eben Unruhe bei den alten Führungsnationen.

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